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Politik Meine Meinung: Feuer frei!

Politik: Meine Meinung: Feuer frei!

Der Kampf gegen Drogen ist aussichtslos. Und zerstört ganze Gesellschaften. NEON-Autor Benedikt Sarreiter findet: Wir sollten das Zeug endlich legalisieren.

Text: Benedikt Sarreiter | Illustration: Frank Höhne

Neulich, an einem übermütigen Abend mit Freunden, konnte ich plötzlich nicht mehr richtig gehen. Statt »ich« sagte ich »isch«. Isch hielt ausufernde Monologe. Am nächsten Morgen war mir speiübel und mir fiel nicht mehr ein, worüber ich diskutiert hatte. Na ja, der Rotwein, ich trinke ihn meis­tens wie Wasser, und dann beginnt das Desaster. Ich habe in meinem Leben schon andere Rauschmittel ausprobiert, keines ließ mich so die Kontrolle verlieren wie Alkohol, von keinem ging es mir körperlich so schlecht. Und doch darf ich meine Wirklichkeit nur mit ihm mani­pulieren. Warum eigentlich?

Gut, es gibt Gesetze. Mit ihnen will der Staat mich und alle anderen vor dem Unheil der Drogensucht schützen. Nicht nur dieser Staat. 1971 rief Richard Nixon den »War on Drugs« aus, seitdem führt die Weltgemeinschaft Krieg gegen die internationale Drogenindustrie. Viel Geld wurde dafür ausgegeben, allein in den USA angeblich eine Billion Dollar. Trotzdem nehmen die Menschen weiter Drogen, produzieren und verkaufen sie. Es scheint nun ein­ mal ein Bedürfnis des Menschen zu sein, sich in andere Bewusstseinszustände zu versetzen (die primitivsten Völker haben Rauschrituale), und zwar nicht nur mit Alkohol und Zigaretten. Aus diesem Grund ist der Krieg gegen den illegalen Drogenhandel aussichtslos.

Das Geschäft, wie es jetzt läuft, zerstört ganze Gesellschaften. Mit dem Verkauf von Cannabis, Koks und Opiaten setzen Dealer und Kartelle jährlich je nach Schätzung zwischen 300 und 500 Milliarden Dollar um. Genug, um Privat­armeen zu unterhalten, Politiker zu schmieren und so insbesondere in Süd-­ und Mittelamerika über ganze Landstriche zu herrschen. Jeder deutsche Gelegenheitskokser trägt dazu bei. Militär­ und Polizeigewalt konnte die Macht der Mafia nicht brechen – aber vielleicht kann es eine Regierung, die den Handel mit den Substanzen selbst übernimmt.

Für eine Drogenlegalisierung setzen sich nicht nur Isch und ein paar Legalize­-it­-Rastafaris ein, sondern auch der frühere UN-­Generalse­kretär Kofi Annan, die frühere Bundespräsidentin der Schweiz, Ruth Dreifuss, und viele ehemalige Staatschefs südamerikanischer Nationen. Es gibt erste Veränderungen. In Uruguay wird es wohl bald erlaubt sein, Marihuana zu kultivieren und zu vertreiben. Chile denkt darüber nach, den Anbau von Gras für den Hausgebrauch zuzulassen. Im US-­Bundesstaat Colorado unterschrieb Ende Mai der Gouver­neur John Hickenlooper Gesetze, die den Besitz und Verkauf von Marihuana regeln, die Bürger Colorados können im Herbst dieses Jahres über eine Grassteuer abstimmen.

In Deutschland diskutiert niemand über die Drogenlegalisierung. Die repressive Drogenpolitik gilt als erfolgreich: Der Konsum geht angeblich seit Jahren zurück. Dabei wird übersehen, dass Bürger in unüberschaubarer Zahl zu Legal Highs greifen, also psychoaktiven Stoffen, die in immer neuen Kombinationen auftauchen, daher schwer zu verbieten sind – und die sehr gefährlich sein können, weil man oft nicht weiß, wie sie zu dosieren sind.

Es geht mir nicht nur um weiche Drogen. Irgendwann hat ja jeder mal Haschisch aus­ probiert, sogar Ulrich Wickert. Es müssen aber auch harte Drogen erlaubt werden. Der britische Pharmakologieprofessor David Nutt hat in einer in der Medizinzeitschrift »Lancet« veröffentlichten Studie die Auswirkungen von Rauschmitteln auf Einzelpersonen und auf die Gesellschaft untersucht. Demzufolge ist Alko­hol die gefährlichste Droge, gefolgt von Heroin und Crack. Ecstasy ist achtmal weniger zerstörerisch als Alkohol. Daraus folgt: Entweder man verbietet auch den Alkohol oder man lässt prinzipiell jedem das Recht, sich selbst zu schaden.

Der deutsche Staat gibt im Jahr um die vier Milliarden Euro für den Kampf gegen die Drogenkriminalität aus. Das Geld könnte man besser in therapeutische Hilfe für Süchtige und eine breitere Aufklärung stecken. Wenn man harte Drogen in Apotheken verkaufen würde, ließen sich die Potenz und die Reinheit des Rauschgifts kontrollieren. Der Konsum wäre also viel gesundheitsverträglicher. Durch eine offene Drogenpolitik erhöhen sich die Userzahlen nicht, das zeigen die Erfahrungen in Portugal, wo der Besitz einer geringen Menge jeglicher Droge entkriminalisiert wurde und sich die Zahl der Todesfälle durch Heroin in den ersten fünf Jahren seit Einführung der Regelung halbiert hat, weil sie nicht auf die Polizeiwache kommen, wenn sie erwischt werden, sondern zum Psychologen. Es wird Zeit, endlich nüchtern auf den Rausch zu blicken.