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Politik 1 guter Mensch: Jacob Appelbaum

Politik: Foto: Malte Christians / dpa
Foto: Malte Christians / dpa
Der US-Hacker Jacob Appelbaum hilft seit vielen Jahren Dissidenten und politische Aktivisten auf der ganzen Welt dabei, anonym und sicher zu kommunizieren. Seit Wikileaks und PRISM ist er selbst in den Fokus der amerikanischen Geheimdienste und Behörden geraten und traut sich nicht mehr zurück in die USA.

Wenn Jacob Appelbaum einen Flug bucht, dann plant er bei Zwischenstopps und am Zielort immer ein bisschen mehr Zeit ein. Er hat sich daran gewöhnt, dass die Flughafen-Cops und Zollbeamten, die sonst die Menschenmassen gelangweilt durchwinken, plötzlich aufwachen, sobald er aus dem Flugzeug steigt. Mehr als ein Dutzend Mal wurde der amerikanische Hacker und Aktivist nach eigener Aussage bereits von amerikanischen Polizisten und FBI-Agenten am Flughafen festgehalten – die Beamten führten ihn in Hinterzimmer, konfiszierten seine Mobiltelefone und Computer, hielten ihn stundenlang fest und stellten seltsame Fragen: Wie stehen sie eigentlich zu dem Militäreinsatz in Afghanistan? Sind sie für uns oder gegen uns?

Sobald Appelbaum von einer seiner vielen Auslandsreisen zurückkehrt, sobald er zu Hause ankommt, wird ihm klar gemacht, dass er unter Beobachtung steht, dass man ihm nicht traut.

Der dunkle Zwilling von Zuckerberg

Der 30-Jährige Computerexperte ist so was wie ein dunkler Zwilling von Mark Zuckerberg: Er lebte ebenfalls lange an der Westküste, er gilt ebenfalls als Sonderling und er glaubt auch fest daran, dass Computer die Welt für immer verändern werden. Aber während der Facebook-Chef daran arbeitet, »die Welt offener und vernetzter« zu machen, kämpft Appelbaum für totale Anonymität und »das Recht darauf, alleine gelassen zu werden.« Und er kämpft auf vielen Fronten. Zum einen ist Jacob Applebaum der profilierteste Sprecher des Tor-Projekts, einer Organisation, die für Privatsphäre im Netz kämpft und eine Software zum Download anbietet, mit deren Hilfe man anonym im Netz kommunizieren kann. Seit Jahren reist er um die Welt und zeigt politischen Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten, wie sie mit Hilfe von Tor vermeiden, dass autoritäre Regime sie im Netz orten und verfolgen. Er hat viel Zeit in Südostasien, im Mittleren Osten und in Südamerika gearbeitet. Appelbaum ist aber auch der einzige bekannte amerikanische Unterstützer von Wikileaks und ist mit Julian Assange befreundet – erst vor kurzem enthüllte Wikileaks neue Details über die Überwachungspraktiken der NSA und privaten Spionagedienstleister.

Ende August 2013 nahm Jacob Appelbaum stellvertretend für Edward Snowden den Whistleblower Award der Organisation Transparency International in Berlin entgegen – in der Dankesrede wird deutlich, was ihn, Snowden und ihre Mitstreiter antreibt.

Drei Monate nachdem die Welt von den Überwachungsprogrammen PRISM, Tempora und X-Keyscore erfuhr, traut Appelbaum sich nicht mehr zurück in sein Heimatland. Er lebt zurzeit in Deutschland, »weil das derzeit der sicherste Ort für mich ist«, wie er kürzlich der taz verriet. Und er macht weiter seinen Job, zeigt Menschen, wie sie sich sicher und anonym im Netz bewegen können, nur dass er nicht mehr mit iranischen Dissidenten oder Aussteigern des Sinaloa-Kartells zu tun hat, sondern auch mit deutschen Netzaktivisten oder EU-Abgeordneten, die ihn zu den NSA-Aktivitäten befragten: »Es ist schon ironisch, dass ich jetzt zu einem der Menschen geworden bin, die ich in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt beschützt habe.«

Der erste Hack mit zwölf Jahren

Jacob Applebaum ist ein Hacker aus dem Bilderbuch – oder besser: Der Fantasiewelt eines Hollywood-Regisseurs. Er trägt Hacker-Uniform, schwarze Stiefel, schwarze Socken, schwarze Hosen, schwarze Hornbrille und meistens ein dunkles T-Shirt mit einem anarchistischen Slogan (zum Beispiel »Fuck Politics – I just want to burn shit down«). Außerdem zitiert er gerne Science-Fiction-Filme wie »Tron« (»I fight for the user!«)

Appelbaum hatte eine beschissene Kindheit, und, wie er in Interviews gerne und oft erzählt, »eine verrückte Familie. Also wirklich so richtig, richtig verrückt.« Seine Mutter litt an Schizophrenie, der Vater später an Heroinsucht. Appelbaum verbrachte einige Jahre in einem Jugendheim und führte dort im Alter von zwölf Jahren seinen ersten Hack durch: Poliert man die PIN-Tastatur eines Sicherheitsschlosses erst blank und bestäubt sie, wenn ein Erzieher die Kombination eingegeben hat, mit Kreidestaub, kann man den Code ablesen – und nach Bettruhe das Heim verlassen. Er erinnert sich genau an den Moment: »Es war ein gutes Gefühl. Diese absolute Freiheit.«

Appelbaum brach die Highschool ab, lebte einige Jahre als Straßenpunk an der Westküste und brachte sich irgendwann das Programmieren bei. »Das Internet ist der einzige Grund, warum ich heute noch am Leben bin«, sagte Appelbaum in einem Interview, »es gab mir das Gefühl, dass die Welt noch nicht ganz verloren ist.«

Vielleicht ist es diese Biografie, diese totale Absenz von Heimat und Sicherheit, die Jacob Appelbaum auf die Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts vorbereitet hat: Paranoia ist in Zeiten von PRISM schließlich kein Syndrom mehr, sondern eine Kernkompetenz. Es mag sein, dass Appelbaum die Aufregung um die Geheimdienstskandale auch dazu nutzt, seinem Lieblingshobby nachzugehen: Im Auge des Shitstorms für noch mehr Randale zu sorgen. Er fuhr zum Beispiel 2005 auf eigene Faust in den Irak und arbeitete als Netzwerkadministrator der kurdischen Guerilla, wenig später fuhr er mit Computer nach New Orleans, das gerade durch den Wirbelsturm Katrina total zerstört worden war. Trotzdem brauchen wir Leute wie ihn, die sich nicht in die graubraune Masse der »Ich hab doch nichts zu verbergen«-Lemminge einreihen und sagen, was gerade passiert: »Sobald eine Information mal im Netz ist, kann man sie nicht mehr zurück nehmen. Und man braucht nicht viele Informationen, um das Leben eines Menschen zu zerstören.« Sein wichtigstes Instrument, um das Problembewusstsein zu wecken, sind die eigenen Hacker-Skills, erklärte er mal in einem Interview: »Ich demonstriere den Leuten, die ich berate, gerne live am Computer, wie Dienste oder Organisationen bei der digitalen Überwachung vorgehen würden. Wenn die Menschen sehen, was alles möglich ist, sind sie meistens ziemlich schockiert.«

Auch Drogendealer nutzen seine Technologie

Jacob Appelbaum verfolgt keine politische Agenda. Er weiß ganz genau, dass Tor auch von Menschen und Gruppen genutzt wird – Drogendealern, Nazis, Kinderpornohändler – mit denen er nichts gemein hat, außer dem dringenden Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden. »Mir ist einfach wichtig, dass es möglich ist, sicher, frei und anonym zu kommunizieren. Das ist alles!« – Werkzeuge interessieren sich nicht für die Intention des Nutzers, es gibt auch schlechte Menschen, die Auto fahren.

Wenn Appelbaum auf seinen Vorträgen gefragt wird, was man nach PRISM denn um Gottes willen tun solle, dann gibt er zwei Antworten, eine lange und eine kurze. Er sagt: Man müsse auf die Politik einwirken, dass sie Gesetze erlasse, laut denen Verschlüsselung standardmäßig in Computer und Handys integriert sind, wie es zum Beispiel auch beim Online-Banking geschehen sei. »Das Gute ist, dass Leute diese Techniken nicht bis ins Detail verstehen müssen, um von ihnen zu profitieren.« Und dann verteilt er Flyer, auf denen steht: »Macht beim Tor-Projekt mit. Heute noch!«

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