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Politik Auf ein Glas mit… Dorothee Bär (CSU)

Politik: Auf ein Glas mit… Dorothee Bär (CSU)
Im Wahlkampf 2013 trifft NEON junge Politiker dort, wo sie – hoffentlich – offen reden: In der Kneipe.

Wie wild kann es mit einer Konservativen eigentlich zugehen?

Wie der Hase läuft, wenn man sich mit der CSU verabredet, merke ich an der Sache mit der Wurstplatte. Zum Trinken hat die stellvertretende Generalsekretärin mich zu sich nach Hause eingeladen, nach Bad Kissingen: bayerisches Staatsbad im fränkischen Weinland, viele Sanatorien und Häuser mit Frauenvornamen, Haus Hildegard, Haus Thea, auf den Straßen ein bemerkenswert hohes Verhältnis von Gehhilfen zu gehenden Menschen. Bad Kissingen ist das Herz des Regierungsbezirks Unterfranken und Zentrum des Wahlkreises von Dorothee Bär, MdB, 35, im Internet @DoroBaer, weil Netzexpertin der CSU, außerdem glühende Anhängerin des FC Bayern München.

Ab 20 Uhr ist in der Weinstube Schubert reserviert, ich gehe ein bisschen früher hin. Die Weinstube ist ländlich, aber modern, viele Männer, mehr Gäste über vierzig als unter vierzig, CSU-mäßiger kann ein Lokal kaum sein. Der Kellner bestätigt mir, dass Frau Bär hier öfter zu Gast ist. Als ich nach der Karte frage, sagt er: »Es ist bereits Essen vorbestellt.« Diese Art gemütlicher Bevormundung nervt mich als in Bayern lebender Mensch an der Regierungspartei schon immer: Die Kruzifixe in den Klassenzimmern, die Nahrungsmittelrationen für Asylbewerber, und Dorothee Bärs Vorgesetzte, Christine Haderthauer, will an Haushalte mit Kleinkindern vorausgefüllte Anträge auf das Betreuungsgeld verschicken lassen.

300 Quadratkilometer, 5 Büros, 3 Kinder

Mit einer Viertelstunde Verspätung stöckelt Dorothee Bär herein, strahlt einmal durch den Raum, nickt den anderen Gästen zu, gibt mir höflich, aber distanziert die Hand und bestellt den fränkischsten aller Weißweine, einen Silvaner im Bocksbeutel, passend zur fränkischen Wurstplatte, die jetzt endlich kommt. Wir stoßen an, und bevor ich überhaupt etwas sagen kann, sagt sie: »So, jetzt erzählen Sie mal, was das hier für eine Verarschung wird.«

Nebenbei fischt sie eine Scheibe Wurst von der Platte. Bär ist seit über zehn Jahren in der Bundespolitik, ein paar Wochen vor unserem Treffen hat sie in der Stefan-Raab-Show »Absolute Mehrheit« den zweiten Platz gemacht, sie hat einen Wahlkreis mit über 3000 Quadratkilometern, fünf Büros, drei Kinder – sie ist es gewohnt, Ansagen zu machen, und das soll ich offenbar gleich merken. Ich erkläre, dass ich sie nicht verarschen, sondern nur in einer nicht ganz so politisch- förmlichen Situation treffen will, und erwähne, dass ich fast mit einer Absage gerechnet hatte, weil sie ja drei Kinder hat und ich weiß, wie wertvoll die Abende als Mutter mit Kleinkind sind. Ich spiele die billige Frauenkarte, schon klar, aber Dorothee Bärs Profipolitikerzüge entspannen sich merklich.

Sie findet Edmund Stoiber süß

Bär erzählt mir, dass sie »Erfahrungsfeministin« sei, durch Erlebnisse, die sie als junge Politikerin mit distanzlosen Kollegen hatte, und später als berufstätige Mutter. Zu ihrem Abstimmungsverhalten passt das nicht so gut: Als familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion verteidigte sie das Betreuungsgeld, von dem sogar die Familienpolitiker der CDU sagen, dass es für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein Schritt zurück sei. Von dem sie selbst vor ein paar Jahren in der Öffentlichkeit sagte, sie sei dagegen. Und nun? »Ich bin einfach dagegen, dass der Staat nur denen hilft, die ihr Kind in eine Krippe geben. Die Entwicklung, dass die Familien sich der Wirtschaft unterordnen sollen, gefällt mir nicht.« Aber Frau Bär, sage ich: Diese 150 Euro sind eine lächerliche Summe – und gerade deswegen doch eine enorme staatliche Geldverschwendung. Und das alles nur, um ein gesellschaftliches Zeichen zu setzen? »Das Betreuungsgeld ist ein absolutes Gewinnerthema für die CSU.« Sie arbeitet oft mit Familienministerin Schröder zusammen, sind sie befreundet? Bär verzieht unmerklich das Gesicht – sie guckt, als würde sie jetzt gerne wieder eine forsche Ansage machen. Aber dann sagt sie nur: »Wir kennen uns ja schon lange« – und bittet um Themawechsel.

Der Kellner schenkt uns nach, ich frage nach der Stimmung in der Partei. Bär sagt, die sei so gut wie lang nicht mehr. Weil es der SPD so schlecht geht? Bär schüttelt den Kopf: »Wissen Sie was, ich komme aus einer dreistündigen Sitzung zum Wahlkampf, und ich glaube, der Name einer anderen Partei ist kein einziges Mal gefallen.« Die CSU, das fällt mir wieder auf, ist die Partei für Menschen, die in Bayern zu den Gewinnern gehören wollen, ohne sich dafür besonders anzustrengen. Bär macht das dieses Jahr zum vierten Mal. 2002 zog sie in den Bundestag ein, mit gerade mal 24 war sie die jüngste Abgeordnete in der Geschichte der CSU. »Der KT kam mit mir in den Bundestag und die Kristina Schröder, damals noch Köhler.« Und wie war das so? Jetzt breitet sich auf Dorothee Bärs Gesicht ein Grinsen aus, das Menschen für ganz große Erinnerungen reserviert haben – in ihrem Fall an Edmund Stoiber: »Ich war so happy, dass er unser Kanzlerkandidat wurde. Ich wollte unbedingt, dass er gewinnt!« Und dann erzählt sie noch, wie »süß« er gewesen sei, weil er ihr gleich nach der eigenen Niederlage seine Unterstützung für die schwere erste Zeit im Bundestag angeboten habe.

Jetzt muss ich noch mal auf die Wurstplatte zu sprechen kommen: Es ist für mich etwas ungewohnt, von einem gemeinsamen Teller zu essen mit jemandem, den ich kaum kenne. Mit einer Person, die Edmund Stoiber als »süß« bezeichnet, ist es wirklich seltsam, zumal ich selbst 2002 meine Rede bei der Abiturverleihung mit dem Kampfschrei »Stoppt Stoiber!« beendete. Bei so einer Brotzeit muss man immer wieder Redepausen machen, um das passende Stück Belag herauszupicken, man fragt sich, ob es jetzt okay ist, das letzte Stück Schinken zu nehmen. Für eine gelungene Brotzeit ist ein gewisses Maß an Vertrautheit schon Voraussetzung, und genau das ist wahrscheinlich der Grund, warum Dorothee Bär sie uns bestellt hat: Wer vom selben Teller isst, kommt sich näher.

Der Wein zeigt Wirkung

Es ist aber auch der Grund, warum ich kaum zum Essen komme und der Silvaner bei mir langsam Wirkung zeigt. Bei Bär auch, sie kichert jetzt und sagt: »Wenn ich das jetzt auf Twitter schreiben würde, gäb’s wieder einen Shitstorm.« Stoiber, sagt sie nämlich, verkörpere für sie alles, was ihr an Bayern und der CSU so gefalle: »Euer Hass ist unser Stolz, wie es auch beim FC Bayern heißt, das finde ich gut.« Das bayerische Abi, die bayerische Demografie (nur in Bärs Wahlkreis sterben mehr Menschen als dazukommen), die bayerischen Landschaften, die starke bayerische Wirtschaft, all das, sagt sie, mache andere neidisch. Und das freut sie. Einwandfreie Mia-san-mia-Rhetorik, die mich eigentlich abstoßen müsste, aber während sie das sagt, geht mir auf: So reden in Bayern ja viele Menschen, auch solche, die sich nicht als CSU-Anhänger definieren.

Ich frage Dorothee Bär, ob es sie ärgert, dass sich immer weniger junge Menschen für Parteipolitik begeistern. Sie behauptet, die CSU habe zurzeit wieder einen Mitgliederzuwachs, und hält mir einen Vortrag darüber, dass wir unsere Demokratie durch niedrige Wahlbeteiligung schwächen und dass einem Volksvertreter, den nur zwanzig Prozent der Wahlberechtigten gewählt haben, irgendwie die Legitimität fehle. »Die Menschen haben vielleicht das Gefühl, dass es relativ egal ist, wen sie wählen«, werfe ich ein. »Wer wirklich denkt, dass alle Idioten sind, muss selbst etwas tun«, sagt Bär. »Aber viele glauben, dass sie sich in der Partei hochdienen müssen, bevor sie etwas erreichen können.« Unsinn, sagt Bär – das sehe man an ihr: Sie habe sich nie verbiegen müssen, obwohl sie in vielen Bereichen andere Ansichten vertrete als die Mehrheit der CSU. In welchen? Sie habe gegen das Leistungsschutzrecht gestimmt und 2011 die Berliner Erklärung für Quoten in den Aufsichtsräten mit auf den Weg gebracht, dafür gebe es nicht mal in der CDU viele Befürworterinnen.

Eine junge Wilde, die nicht wehtut

Bär gießt uns den letzten Rest ein, um uns herum hat sich die Stube längst geleert. Ich bin erstaunt: Ich hatte erwartet, mich die ganze Zeit zu streiten, und habe stattdessen einen ziemlich netten Abend mit einem dieser Stoiber-Groupies verbracht, die ich eigentlich immer schrecklich fand. Und doch: Das Leistungsschutzrecht ist nicht gerade ein zentrales Thema der CSU, da kann man schon mal dagegen stimmen. Und eine Frauenquote haben in Deutschland viele gefordert, ohne dass sich deswegen jemand ernsthaft gedrängt fühlte, sie auch einzuführen. Wenn Bär eine junge Wilde ist, dann von der Sorte, die für das Parteiimage gut ist, aber niemandem wirklich wehtut.

Eine Woche nach unserem Treffen stimmt der Bundestag über eine Vorlage der Opposition für eine Frauenquote in Unternehmen ab. Dorothee Bär geht nicht hin. Über ihr Berliner Büro ist bekannt, dass dort ein Schild hängt mit der Aufschrift: »Die Partei hat immer Recht.«

Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom Juni 2013 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.