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Freizeit Trachtenfasching

Freizeit: Fotos: Simon Koy
Fotos: Simon Koy
Adventszeit

Seit elf Tagen läuft das Oktoberfest und dieses Jahr ist etwas anders. Alle lieben auf einmal Bayern! Die schicken Lederhosen, die zünftigen Dirndl, die schönen Hütchen – von Sylt bis Salzburg sind auf der Wiesn 2013 alle in voller Montur: die Teenies, die Hipster, die jungen Firmenangestellten. Kaufen konnte man diese »Trachten« dieses Jahr in allen Mainstream-Kaufhäusern. Nicht in Trachtengeschäften. Im Kaufhof in Hamburg, im Ernstings Family in Mainz, im Hallhuber in Berlin, im C&A in Bottrop. Und das taten auch viele. Dirndl, Karohemden, Lederhosen sind jetzt offenbar im Mainstream angekommen.

Soviel Zuneigung und Adaption ist für uns Bayern, ähm, verwunderlich. Wie es meine Freundin Irmi, 33, formuliert: »Ich heiße Irmgard. Ich weiß ganz genau, dass die Nichtbayern sich den Rest des Jahres über Bayern lustig machen.« Bayern sind die restlichen 50 Wochen des Jahres in den Augen der anderen provinziell, stockkonservativ, etwas zurückgeblieben und ganz sicher nicht cool.

Vermutlich kommen daher die, vorsichtig formuliert, spontanen »Abgrenzungsmechanismen«. Harry G lästerte erst über Dirndl…

…und dann über die Karnevalisierung und Überpreußung der Wiesn im Allgemeinen:

Er spricht vielen Münchnern und Bayern aus der Seele. Die hassen nämlich »Disneyland-Dirndl«, die ausschauen, als hätte Minnie Maus sich in Los Angeles aus viel rosa Tüll von einem alkoholisierten Goofy ein Bavarian Dirndl schneidern lassen – mit dicker Schleife auf Kopf und Bauch. Und die »Schießbuden-Lederhosen«, deren Stoff so billig ausschaut, als hätte man das Gewand für zehn Schuss an einem Schießstand gewonnen.

Wieso? Man ist empfindlich. Man spürt, dass es keine echte Zuneigung ist. Mein Verdacht wurde am Samstag auf dem Italiener-Wochenende jäh und unerwartet bestätigt. Ein junger Mann aus dem Ruhrpott versuchte mir ein Kompliment zu machen, indem er sagte: »Schönes Kostüm!«. Es ist kein Kostüm. Es ist Tracht.

Für Nicht-Bayern ist die Wiesn nur ein weiterer Termin in ihrem Event-Kalender des Jahres und die Faschingsdirndl und –lederhosen nur die passende Verkleidung:

  • : Blinkende Rentieröhrchen
  • Fasching: Von Clown bis Penis
  • Ostern: Blinkende Hasenöhrchen
  • Fußball-WM/EM: Vuvuzela, Deutschland-Blumenkette und Fanschminke
  • Oktoberfest: »Lederhose«, »Dirndl«, T-Shirt mit Lederhosenprint, Singender und tanzender Filzhut
  • Halloween: weiße Schminke, Kunstblut, alles mit Kürbis und Vampirzähnen.

Vermutlich ist die Annektierung des Oktoberfestes also nur ein Zeichen einer Eventisierung der feierwütigen, krisengeplagten Jugend. Karneval war ja immer schon ein Ausbruch aus dem Alltag, ein Fest, bei dem alle Standesunterschiede durch die Verkleidung aufgehoben wurden, eine Zeit des Exzesses. War einmal im Jahr. Heute wird alle zwei Monate ein neuer Verkleidungsevent ausgerufen mit Komabesäufnis. Und wenn’s das Oktoberfest der dusseligen Bayern ist. Eins, zwei drei, gesuffa.