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Politik »Dann soll die SPD doch in die Opposition gehen«

Allerdings hat die SPD vor der Wahl eine Koalition mit der Linkspartei ausgeschlossen. Dieses Versprechen kann man doch jetzt nicht brechen.

Der Koalitionsvertrag steht. Und das einzige, was uns jetzt vor vier Jahren mit Merkel, Steinmeier, Gabriel und satten 4/5-Mehrheiten im Bundestag bewahren kann, ist die SPD-Basis. Die stimmt vom sechsten bis zum zwölften Dezember über den Koalitionsvertrag ab. Auf ein Nein hoffen die Urheber des Aufrufs »Wider die große Koalition«, der bisher von über 8000 Bürgern unterzeichnet wurde. Ich habe mit dem großartigen Schriftsteller Ingo Schulze (33 Augenblicke des Glücks, Neue Leben) gesprochen, der Mit-Initiator des Aufrufs ist.

Was ist denn so schlimm an der großen Koalition?
Mal ganz abgesehen von den Inhalten, könnte in dieser Konstellation durchregiert werden. Nicht nur die Opposition im Bundestag wäre schwach, auch der Bundesrat wäre sozusagen in der Hand der Regierung. Es wäre eine Lähmung jeglichen Widerspruchs, weil die Opposition nicht mal einen Untersuchungsausschuss fordern könnte. Demokratie lebt von Widerspruch. Zweitens wird sich die SPD den Forderungen der CDU mehr anschmiegen müssen als umgekehrt. Aber selbst wenn es da ein Patt gäbe, liefe das auf ein generelles: Weiter so! hinaus. Und das ist in jedem Fall schlecht für unser Gemeinwesen. Es würde nichts daran ändern, dass unsere Gesellschaft sich weiter ökonomisch und sozial polarisiert, dass immer mehr privatisiert und ökonomisiert wird. Dabei geht es doch darum, eine wirkliche Alternative für diese Gesellschaft zu artikulieren. Das muss letztlich auch zu einer Kritik der Wachstumsideologie und einer Abkehr von ihr führen. Drittens wird durch den neuerlichen Kniefall der SPD vor Angela Merkel auch auf absehbare Zeit ein parlamentarisches Bündnis jenseits von CDU/CSU/FDP unwahrscheinlich. Denn es braucht Zeit, um sich ideell und personell zu einigen, und das dann auch entsprechend zu erklären und zu verbreiten.

Dann soll die SPD doch in die Opposition gehen, das wäre alle mal besser. Diese Festlegung war idiotisch, das war immer noch Kalter Krieg. Jetzt ist diese Festlegung der Nasenring, an dem die SPD vors Volk geführt wird. Man muss ja nicht mit der Linken zusammengehen, es aber von vorn herein auszuschließen, ist nicht nachvollziehbar. Das hat man ja auch endlich zurückgenommen, was die Situation nur noch absurder macht: In vier Jahren ja, aber jetzt nicht. Als hätte sich plötzlich etwas geändert.

Die SPD kann in der Großen Koalition einige wichtige Vorhaben realisieren: Die doppelte Staatsbürgerschaft etwa, den Mindestlohn, den Ausbau von Ganztagsschulen.
In einer anderen Konstellation wäre diesen Punkte – und nicht nur diese! – leicht durchsetzbar. Das ist ja geradezu lächerlich, dass die SPD gegenüber der CDU darüber feilscht, obwohl sie es mit der Linken und den Grünen allemal durchbekäme. Das sind ja wichtige Fragen, aber die Gegenfrage ist doch naheliegend: Reicht das, um damit zukunftsfähig zu sein? Brauchte es da nicht ganz andere Entscheidungen? Unsere Gesellschaft hat kein Wachstumsproblem, sondern ein Gerechtigkeitsproblem. Es braucht ein ganz anderes politisches Selbstbewußtsein!

Was sind denn eigentlich die Alternativen zur Großen Koalition?
Ob Neuwahlen oder Minderheitsregierung oder was auch immer – was ist daran so schlimm? Vielleicht würde dann sogar eher über Grundsätzliches gesprochen. Wir müssen mal endlich über die wirklich wichtigen Fragen reden. Die Ansprüche der deutschen Politik – und nicht nur der deutschen – sind so zwergenhaft und verdruckst, als ginge es darum, in einem betriebswirtschaftlichen Seminar positiv aufzufallen. Es muß doch endlich ums Große und Ganze gehen, darum, zukunftsfähige Positionen zu erarbeiten, die dieses Land und die Welt gerechter machen und lebenswerter. Wir hören immer nur: Wachstum, Wachstum. Aber wir wissen überhaupt nicht mehr, was wir als Gesellschaft wollen!