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Freizeit Höllenparty

Freizeit: Höllenparty
NEON-Redakteur Lars Gaede mag zwar keinen Metal, hat aber mit 2.000 Metal-Fans eine Kreuzfahrt gemacht. Seine Reportage darüber ist einer der Gewinner des diesjährigen Meridian-Reisejournalismuspreises.

Es ist heiß, Mittag, irgendwo im karibischen Meer, als sich der Weihnachtsmann entscheidet, etwas Dummes zu tun. Er stellt die Foster’s-Dose auf den Boden, streicht sich durch seinen langen Bart, streckt die Hände in den Himmel und kippt dann langsam vornüber. Sein heiseres Gebrüll erstickt, als ihn das Wasser des Schiffspools verschluckt. Zu seiner roten Bommelmütze – er muss das vergessen haben – trägt der Weihnachtsmann ein Kettenhemd. Ein schweres. Das Metall zieht ihn brutal runter. Fies, ich kenne das. Mir geht es mit Metal genauso.

Ich höre gern Hip-Hop, Indie, Singer-Songwriter. Ich mag Techno, New Wave, Punk, äthiopischen Jazz, notfalls sogar Blasmusik, seit ich in München wohne, täterä, jameinetwegen. Nur bei Metal schalte ich ab. Die Bandnamen (Anaal Nathrakh?), das Pathos, das Ins-Mikro- Grunzen, die Trollfrisuren und Jeanswesten. Ich verstehe das nicht, habe es noch nie verstanden. Und gerade deshalb bin ich an Bord eines Kreuzfahrtschiffs, mit einem verkleideten Weihnachtsmann, 2000 anderen Heavy- Metal-Fans und vierzig Heavy-Metal-Bands, die die Majesty of the Seas für vier Tage in einen schwimmenden Hörsturz verwandeln werden: Ich will lernen, den Metal zu lieben. Es ist ja der immer gleiche Vorwurf, den man hört, wenn man etwas nicht mag: »Depp, musst dich halt drauf einlassen.« Aber kann man wirklich alles gut finden, wenn man sich nur richtig damit befasst? Sogar Metal? Ich werde auf dem Schiff die ganze Zeit nichts anderes hören, weil ich das wissen will. Und weil mir nichts anderes übrig bleibt – ich kann ja nicht weg.

Erster Tag. Im Hafen von Miami erkennt man die Majesty of the Seas schon von Weitem. Die Taxis davor entlassen ihre Gäste wie Shuttles aus der Schattenwelt: blasse, langhaarige Menschen in schwarzen T-Shirts, schwarzen Pullovern, schwarzen Stiefeln, schwarzen Hosen. In einem normalblauen T-Shirt kommt man sich auffällig vor wie ein Ethnologe inmitten eines fremden Stammes: Die Population besteht zu siebzig Prozent aus Männern, Durchschnittsalter eher 35 als 25, Durchschnitts-BMI ebenfalls. Es geht durch eine Sicherheitsschleuse, den Check-in und das Pflichtwillkommensfotoshooting mit dem Bordfotografen (»Come on, do that devilhand!«), dann sind Charles und ich an Bord. Charles, den Fotografen dieses Artikels, habe ich erst im Taxi zum Hafen kennengelernt. Er sieht aus wie David Hasselhoff in gut. »Weißt du, ich hasse Metal«, war das Erste, was er sagte. Wir verstehen uns. Im Flur lachen wir über zwei Orks mit Rollköfferchen, die ihre Kabine nicht finden. Doch als wir unsere öffnen, sind wir erst mal stumm: Auf elf Quadratmetern sind ein Schrank, eine Garderobe, ein Schminktisch mit Spiegel, ein Stuhl, ein ganzes Bad mit Dusche und ein Bett untergebracht. Ein Bett. Es ist kaum mehr als einen Meter breit. »Happy Honeymoon!«, sage ich zu Charles. »Ich glaube, ich schnarche manchmal«, sagt er. Aus den Lautsprechern in der Decke dröhnt Metal.

Unsere Kabine hat ein Fenster, sie kostet pro Person 1133 Dollar, die billigsten (ganz unten, ohne Fenster) kosten 666 Dollar, die teuersten (Suite, ganz oben mit Balkon) 2333. In den Preisen sind Frühstück, Mittag- und Abendessen enthalten, dazu alle Getränke und Pizza rund um die Uhr – nur Alkohol nicht. Weshalb wir allein auf dem Weg von der Kabine aufs Deck von vier freundlich-nachdrücklichen Kellnern in Hawaiihemden gefragt werden, ob wir nicht ein Foster’s wollen, einen Gin Tonic oder eine Piña Colada in einem blau blinkenden Plastikbecher. Man braucht Nerven aus Stahl, um auf diesem Kreuzfahrtschiff auch nur fünf Minuten nüchtern zu bleiben. Doch das hat ja eh niemand vor.

Ein paar Wikinger grölen Schiffe an: »Your boat sucks!«

An Deck herrscht eine hysterische Heiterkeit aus Sich-ordentlich- auf-die-Schulter-Hauen, Rülpsen und »Beeeer!«- Gröhlen, wie man sie von Zehnte-Klasse-Fahrten kennt, kurz nachdem die Eltern aus dem Rückspiegel verschwunden sind. Eine Gruppe in Wikingerhüten steht an der Reling und grölt im Chor Schiffe an: »Your boat sucks!« Am Pool ist Arschbombentraining. Als die Majesty of the Seas im Sonnenuntergang den Hafen verlässt und die Skyline von Miami langsam am Horizont verschwindet, schlafen die Ersten schon ihren Rausch aus. Bei Metalern ist das ja praktisch: Haare vors Gesicht.
Die Majesty of the Seas gehört mit 268 Metern Länge noch zu den kleineren Kreuzfahrtschiffen. Hat aber trotzdem Platz für einen Basketballplatz (leer), eine Kletterwand (leer), ein komplettes Fitnessstudio (leer), zwei Whirlpools (voll) und zwei Schwimmbecken, von denen eines gerade von Roadies abgedeckt und zur Open-Air-Bühne umgebaut wird. Innen sieht die Majesty aus wie ein etwas abgewohntes Viersternehotel: überall dicke bunte Teppiche, große Spiegel, polierte Goldgeländer. Es gibt ein Casino, eine kleine Mall und zwei Konzertsäle, in denen sonst Senioren zu Musicals klatschen. Heute beginnt hier pünktlich um 17.30 Uhr: das Inferno.

Helstar springen auf die Bühne, dann Sabaton, dann Nile. Die Passagiere der Majesty lassen vor der Bühne ihre Haare fliegen. Charles und ich sitzen in einer der hinteren Sitzreihen und sind sprachlos. Die Musik ist brutal, irre laut, eine Gewalt aus Doublebassdrums, Bass, Gitarre, Aggrogesang. Doch während der Konzerte fällt mir ein noch größerer Grund dafür auf, warum ich wohl nie zum Metaler wurde. Es ist die Art, mit der die Musik präsentiert wird: die Breitbeinposen, gereckten Fäuste und Ich-bin-ein-böser-Krieger-Gesichtsausdrücke. Selbst wenn der Sabaton-Sänger in einer Art T-Shirt aus Stahlplatten auftritt oder Nile auf der Bühne ägyptische Geister beschwören: Sie tun es genauso ernst und augenzwinkerfrei, wie die Metalfans bei 25 Grad Lederjeans tragen, Stiefel und Flickenwesten aus den Achtzigern. Das ist dann nicht retro, das ist so. Die Ästhetik des Metal ist frei von Brechungen und ironischen Rückbezügen. Wenn man Zeitgeist als eine permanente Umdeutung ästhetischer Codes versteht, ist der Metal das Gegenteil davon. Deena Weinstein, eine Soziologin, deren Buch ich auf dem Flug nach Miami gelesen hatte, will diese anticoole, antihippe Einstellung sogar im typischen Gesichtsausdruck des Metalers erkannt haben: Während die Contenance der Coolen aus einer eingeübten Gleichgültigkeit und die der Hippen aus einer spöttischen Aufmerksamkeit bestehe, diene der absichtlich abwesend-betrunken wirkende Gesichtsausdruck der Metaler dazu, jedem zu zeigen, dass man all dieses Hipstertum – die »Hip-ocracy« – ablehne. Egal, ob tatsächlich per Gesicht, Musik oder Mode: Der Metaler entzieht sich der Alltagswelt und ihren Codes. Er braucht sie nicht. Er hat ja seine eigenen.

Als Helloween auf die Bühne kommen, gebe ich auf. Der Sänger, ein knapp Fünfzigjähriger mit Otto-Waalkes-Frisur, beginnt das Publikum zu beschwören wie ein böser Schamane. Er verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse, hebt langsam die Hände und schreit dann in einer Art gekrächztem Falsett: »ARE! YOU! METAL?« Der Saal tobt. Ich gehe ins Bett. Nach vier Stunden kann ich nicht mehr. Ich bin müde und nicht metal. In der Kabine hat irgendjemand aus dem einen Bett zwei gemacht und auseinandergeschoben. »Magic«, sagt Charles. Dann ist es still. Nur eine kleine Metalband in meinem Kopf spielt noch ein paar Zugaben, bis sie mich endlich schlafen lässt.

70.000 Tons of Metal: der Soundtrack zum Text

Als wir am nächsten Morgen auf das Pooldeck kommen, ist das Inferno schon wieder voll im Gange. Die Sonne brennt, doch die Band Arkona aus Russland erzeugt ihre eigene Dunkelheit. Schwere, langsame Riffs, die kleine, zierliche Sängerin erzeugt Töne wie ein tödlich verwundetes Tier, der (wirklich komplette) Wolf um ihren Hals hat das schon hinter sich. An der Bar neben dem Pool steht Scott, 35 Jahre, ein sehr muskulöser, sehr bärtiger Bergarbeiter aus Neuseeland. Er trägt eine Piña Colada und dazu einen pinken Schlapphut, pinke Hotpants und ein über dem runden Bauch abgeschnittenes pinkes T-Shirt. »Wette verloren«, sagt er entschuldigend, »als Erster gekotzt.« Ich bitte ihn, mir zu erklären, was genau er an Metal mag. Er überlegt kurz. Dass er Menschen stärker mache, sagt Scott dann. »Metal hat eine Energie, eine Kraft, die auf den Hörer abfärbt.« Aber fast noch wichtiger seien die Menschen: die anderen Metalheads. Scott erzählt, wie viel Angst er als Teenager hatte, als ihn jemand zum ersten Mal auf ein Napalm- Death-Konzert mitnahm. Dann habe er aber schnell gemerkt, dass Metaler zwar seltsam aussähen, aber die »entspanntesten und tolerantesten Menschen der Welt« seien. »Das ist das Ding«, sagt Scott: »Bei Metalern wird jeder akzeptiert. Es gibt kein Wer-ist-cooler-als-der-andere. So kitschig es klingt: Wir sind eine Familie.«

Rashida aus Brooklyn, als schwarze Frau eine Einpersonenminderheit an Bord, sagt auf die gleiche Frage: »Die Familie ist es.« Luzius, 23, BWLer aus Zürich, Sarah, 23, Bloggerin aus Helsingborg, und René, 27, Softwareentwickler aus Düsseldorf ebenfalls. Egal, wen ich frage, nach spätestens fünf Sätzen fällt dieses Wort. Vielleicht schweißt es zusammen, wenn man eine Musik mag (und auch so aussieht), die viele andere eher bescheuert finden. Vielleicht ist man auch eh ein Außenseiter und sucht sich dann eine Musikrichtung, bei der es den anderen auch so geht. In jedem Fall gibt es einen Vibe unter den Metalern, man spürt ihn überall auf dem Schiff. Die Leute sind auf fast rührende Art freundlich, einander zugewandt. Selbst mir gegenüber, obwohl ich schlecht verbergen kann, dass ich keiner von ihnen bin.

»Die Metaler sind immer am freundlichsten«, sagt die Kellnerin.

Vor der Reise hatte ich noch gestaunt, als ich in einer musikpsychologischen Studie der Uni Gießen las, der typische Heavy-Metal-Fan zeige eine »positiv-affektive Grundausrichtung« und »erhöhte Kooperationsbereitschaft «. Jetzt wundere ich mich nur noch über die charakterlichen Deformationen, mit denen das intensive Hören harter Musik schon in Verbindung gebracht wurde: mit zügelloser Sexualität, einem Hang zu Perversionen, Vergewaltigungen, Sekten, Satanismus, Inzest, Missbrauch, Selbstverstümmelung, Suizid, Mord und Amoklauf. Das einzig Beunruhigende hier an Bord ist die enorme Zahl der Biere, die die Metaler im Whirlpool trinken, ohne je auf die Toilette zu gehen. Die Metalpassagiere verbrauchen vier bis fünf Mal mehr Alkohol als normale Passagiere, allein 9000 Dosen Bier am Tag. »Trotzdem sind sie zehnmal freundlicher «, sagt die jamaikanische Kellnerin, die uns das Dinner bringt. »Metaler beschweren sich nie.«

Darf natürlich nicht fehlen: Der Arschbomben-Contest

Auf dem Weg zurück zur Poolbühne muss ich mich beeilen, Kreator fangen gleich an, und diesmal will ich ganz nach vorne. Den Tag über war ich von Konzert zu Konzert näher an die Bühne herangerückt. Die Metalshow habe ich dadurch nicht besser verstanden, den Krach schon. Der Unterschied zwischen Punkkrach und Metalkrach ist: Metalmusiker können etwas. Das extrem schnelle Doublebassgeknüppel der Schlagzeuger und Gitarrensoli sind nicht unbedingt mein Ding, aber man merkt, dass die Metaler viel Zeit in Übungskellern verbringen. Handwerklich sind sie Virtuosen. Kreator hatte mir Scott empfohlen, der Neuseeländer in Pink: »Hart und schnell.« Vor der Bühne ist es schon voll, aber ich drängele mich einfach in die zweite Reihe. Kein Problem, sind ja nett, die Metaler. In dem Moment, in dem Kreator die ersten Takte spielen, passiert eine Explosion. Alle um mich herum schubsen, springen, es dauert nicht lange, bis ich den Hintern eines Crowdsurfers über meinem Kopf halte, die Dreads meines Vordermanns peitschen mir ins Gesicht. Wenn man nah genug an den Boxen steht, ist es völlig egal, ob man mag, was man da hört, oder wie affig die Posen sind: Die Bassdrum hämmert sich durch bis auf die Knochen, der Bass vibriert im Magen, die Gitarre sägt sich in den Kopf. Man wird von der Musik gepackt. Deshalb gibt es »Loudness Wars« zwischen Metalbands, die versuchen, sich auf den Konzerten zu übertrumpfen und Lieder, die »All men play on 10« oder »Blow your speakers« heißen: Spielt man Metal laut genug, überträgt sich dessen Kraft körperlich auf den Hörer. Wissenschaftler, habe ich gelesen, erklären das Gefühl mit einer Überstimulation von Neurotransmittern. Ich erkläre mir damit, weshalb Metaler ihre Köpfe schütteln: Irgendwo muss die Energie ja hin. Mir fehlt die Frisur dafür, ich schubse lieber, werde geschubst. Wenn ich falle, heben mich die anderen auf, und weiter geht’s. Endlich diesen Dreadtypen wegräumen. Ich kann es nicht leugnen: Ich habe gerade Spaß. Großen sogar. Der Sänger singt dazu: »Death to the world!« Und das ist wieder seltsam.

Ohrenbluten – So haben die Metaler der Redaktion Lars auf seine Reise vorbereitet:

Wahrscheinlich gibt es nicht viele Orte, an denen diese Zeile in diesem Moment absurder erscheint als an Deck eines Kreuzfahrtschiffes in einer warmen karibischen Nacht. Doch diese Frage stellt sich ja oft, wenn man Metaltexte hört: Was ist eigentlich dein Problem? Deena Weinstein, die Soziologin, unterscheidet bei Metaltexten zwischen zwei großen Themen: dem des Dionysischen – kurz gesagt: Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Und dem Chaos: Monster, Hölle, Desaster, Zerstörung, Tod, Rebellion. Für Optimismus und Liebe scheint da kein Platz, warum eigentlich nicht? »Weil es einfach nicht zur Härte der Musik passt«, sagt Miland »Mille« Petrozza, 45, Sänger von Kreator. Das ist das Praktische hier: Man kann alles ganz schnell klären. Wir sitzen ja in einem Boot. Es wäre komisch, sagt Mille, wenn man zu einem Kreator- Song über Blumenwiesen singen würde. »Metal ist düster, in seiner Sprache bildhaft, übertrieben, voller Pathos.« Also braucht man in den Texten große, epische Themen, die das tragen können. Im Kopf des Hörers soll eine neue Welt entstehen, in der er sich verlieren kann. »Metal ist Eskapismus, so wie ein guter Fantasyroman.«

Als wir aufwachen, ist das Schiff seltsam ruhig. Vor unserem Fenster marschieren Metaler mit Badehandtüchern über den Schultern einen Pier entlang. Wir müssen am Ziel der Reise angelangt sein: In Cockburn auf den Turks- und Caicosinseln. Von hier geht es zurück nach Miami. Um nach Cockburn zu gelangen, muss man durch einen Duty-Free-Shop, wie an einem Flughafen. Dahinter warten Touri-Beach-Bars, Touri-Klamottenläden, eine Touri-Galerie und ein Touri-Saftladen mit WLAN, weshalb jetzt erst mal alle einen Saft trinken.Charles und ich gehen ein paar hundert Meter am Wasser entlang und legen uns auf zwei Liegen unter einer Palme. Vor uns strahlt das Meer in einem Blau, von dem ich nicht mal wusste, dass es das gibt. Es weht ein leichter Wind. Alles ist perfekt. Nach einer halben Stunde frage ich Charles, ob er vielleicht den Konzertplan für heute Abend dabeihat. »Wozu?«, fragt er ungläubig.
»Ach, nur so«, sage ich.

Held der Arbeit: Lars Gaede erklärt im Helden-der-Arbeit-Interview, warum er seinen Arm jetzt in der Schlinge trägt und nun noch langsamer tippt als sonst.

Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom Mai 2013 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.

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