Anzeige

Politik »Die Mehrheit der Frauen arbeitet nicht in der Prostitution«

Politik: »Die Mehrheit der Frauen arbeitet nicht in der Prostitution«
Und jetzt wollen wir von dir wissen: Wie siehst du das? Sind wir wirklich schon weiter? Kann Sex-Arbeit einfach nur Arbeit sein? Hast du selbst Erfahrung mit Prostitution gemacht? Und was hältst du von der Debatte, die in Europa gerade geführt wird?

Halb Europa diskutiert derzeit über die Frage: Darf eine Gesellschaft Prostitution erlauben oder nicht? Die französische Regierung findet seit neustem: Nein. Auch viele deutsche Feministinnen wünschen sich ein Verbot des Gewerbes. Doch wem wird damit eigentlich geholfen?

Für die aktuelle Ausgabe von NEON habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob das wirklich geht: Prostitution als Beruf, für den man sich einfach so entscheiden kann. Ich habe dafür viele Frauen getroffen, die in der Sex-Arbeit unterwegs sind, ob als Escort-Dame, Masseurin, Bordellbetreiberin oder Edel-Prostituierte. Viele von ihnen engagieren sich auch politisch für ihre Rechte. Alle sagen: Das ist sicher kein Beruf, wie jeder andere. Es ist aber ein Beruf, den man gerne machen kann, wenn die Umstände passen.

Für die Recherche habe ich auch politische Gegnerinnen der Prostitution gesprochen, und Aktivistinnen die den Kampf der Sex-Arbeiterinnen für mehr Anerkennung unterstützen. Eine von ihnen ist die Menschenrechtsaktivistin Sonja Dolinsek. Sie studiert Geschichte an der Humboldt Universität in Berlin und schreibt gerade ihre Abschlussarbeit über die Wissenschaftsgeschichte der Prostitution. Außerdem betreibt sie seit drei Jahren menschenhandelheute.net, ein »Kritisches Online-Magazin gegen Ausbeutung«. Hier dokumentiert sie Daten zum Thema Menschenhandel und Zwangsarbeit, und veröffentlicht regelmäßig Debattenbeiträge und Analysen zu diesen Themen, aber auch zur Sexarbeit.

Sonja bezeichnet die Kampagne von Alice Schwarzer und EMMA, mit der ein Verbot der Prostitution in Deutschland erwirkt werden soll als »falsch und kontraproduktiv« . Unter anderem kritisiert Sonja den unterschwelligen Rassismus der Forderung, ausländische Prostituierte von der Einwanderung abzuhalten: Hier werde deutlich, »dass es nicht nur um die Disziplinierung der Sexualität ausländischer Frauen geht, sondern auch um die Kontrolle ihrer Migration.« Sonja unterstützte dagegen den »Appell FÜR Prostitution« des »Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen«, der mehr Rechte für Sexarbeiterinnen fordert. Dafür wird sie insbesondere online von Unterstützerinnen Schwarzers vehement angegriffen und als »Gegnerin der Frauen« beleidigt.

Wie kamst du dazu, dich so intensiv mit dem Thema Menschenhandel zu beschäftigen?
Ich habe mit einem Kollegen zusammen eine Lehrveranstaltung zum Thema gemacht. Wir haben mit dem Seminar so viele unterschiedliche Aspekte behandelt, dass wir das nicht einfach versickern lassen wollten. Auch die Studierenden fanden die Idee eines Blogs gut. Der Bedarf an verlässlichen Informationen und an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema ist groß: Es herrscht geradezu ein Zahlenkrieg und es gibt sehr viel irreführende und unpräzise Angaben.

Zum Beispiel?
Als ich mir mal angesehen habe, wie sich genau die Zahlen zum Menschenhandel in der EU zusammen setzen, habe ich fest gestellt, dass jedes Mitgliedsland andere Kriterien an die Daten legt, die sie liefern. Also Deutschland liefert BKA-Zahlen von vorrangig abgeschlossenen Strafverfahren. In den Niederlanden gilt jede Person, bei der eine Beratungsstelle Menschenhandel vermutet, bereits als Opfer. In den EU-Zahlen wird das alles aggregiert, ohne dass man am Ende weiß, wer jetzt was wie gezählt hat.

Der Menschenhandel wird in der Debatte oft als dunkler Zwilling der Prostitution behandelt. Prostitutionsrechtlerinnen bestreiten den Zusammenhang. Und du?
Grundsätzlich ist Menschenhandel ein bisschen wie »Terrorismus« in der Hinsicht, dass es sich als Schlagwort für viele Politiken und Interessen einsetzen lässt, die damit nichts tun haben, wie z.B. Verbote von Prostitution, der Ausbau von Grenzkontrollen oder repressive Aktionen gegenüber Roma. Zwangsprostitution und Sexarbeit sind aber zwei ganz unterschiedliche Sachen. Das zu vergleichen, ist so, wie Vergewaltigungen mit Sex gleich zu setzen. Natürlich ist das ein Akt sexueller Gewalt, aber er hat wenig mit Sexualität zu tun. Komplett voneinander zu trennen sind diese Bereiche aber auch nicht.

Inwiefern?
Es stellt sich immer die Frage, wo fängt die Zwangsprostitution an. Es gibt die Fälle von Frauen, die unter völlig falschen Vorzeichen in ein Land gebracht werden, nur um dort in der Prostitution sexuell ausgebeutet zu werden – gegen ihren Willen. Das ist die »klassische« Zwangsprostitution. Dann gibt es aber auch Fälle, und das sind sicherlich mindestens genauso viele, in denen Frauen wissen, dass sie hier als Prostituierte arbeiten werden, aber das dann zu viel schlechteren Konditionen tun müssen, als angenommen. Ähnlich wie die nepalesischen Bauarbeiter in Qatar zum Beispiel. Diese Frauen wurden nicht zur Prostitution gezwungen, befinden sich wohl aber in einer Zwangslage, man könnte von sexueller Zwangsarbeit sprechen.

Und wie ist das dann mit Armut? Ist es nicht schon Zwang, wenn eine Frau anschaffen gehen muss, weil sie kein besseres Auskommen hat?
Man kann wirklich sehr lange darüber diskutieren, was Freiwilligkeit ist, und ab wann Armut eine Zwangslage ist. Ich möchte das mal aus einer umgekehrten Perspektive betrachten: In Deutschland scheint es so zu sein, dass sich die Mehrheit der Frauen die als arm gelten, nicht als Prostituierte arbeitet, weil sie sich – trotz Armut – dagegen entschieden haben. Auch in anderen, wirklich armen Ländern gibt es immer noch genügend Frauen, die das ebenfalls nicht machen. Man muss also denjenigen, die unter gleich schlechten Bedingungen sich für die Prostitution entscheiden, zugestehen, dass sie sich dazu entschieden haben. Auch schlechte Alternativen sind Alternativen, obwohl man natürlich etwas gegen die Armut und fehlenden »besseren Alternativen« etwas tun muss.

Würde man aber nicht Menschenhändlern das Handwerk deutlich erschweren, wenn man das Gewerbe illegal macht, in das sie ihre Opfer so oft schleusen?
Prostitutionsverbote bewirken überall, wo es sie gibt, eine enorme Verschlechterung der Situation für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Sie sind weniger geschützt, sie können weniger verdienen, sie werden kriminalisiert und haben vor allem keine Rechte. Wenn sie Gewalt erfahren und das nicht als »Menschenhandel« zählt, können sie sich in den meisten Ländern nicht an die Polizei wenden, weil sie selber als Kriminelle gelten würden. Außerdem verschwinden sie nicht einfach! Sie werden bleiben und wir müssen dafür sorgen, dass sie in ihrer Tätigkeit Rechte haben.

Und was hältst du von einer Freier-Strafe?
Ich halte grundsätzlich nichts davon, mehr staatliche Kontrolle auf die Sexualität auszuüben. Und ich glaube auch nicht, dass es bei sexueller Zwangsarbeit helfen würde: Es kommen nämlich viele Strafverfahren wegen Menschenhandel zustande, weil ein Freier Anzeige erstattet. Das würde kaum einer machen, wenn er eine Strafe fürchten müsste. Ein sogenannter menschenrechtsbasierter Ansatz im Umgang mit den Opfern wäre hier besser: Betroffene von Menschenhandel ohne legalen Aufenthaltstitel sollten z.B. ein Bleiberecht und eine umfassende, bedingungslose Unterstützung erhalten. Sie sollten auch ihre Kinder zu sich holen dürfen – viele Betroffene von Menschenhandel sind ja auch Mütter. Soziale Maßnahmen sind notwendig, nicht unbedingt mehr Strafrechtsparagraphen.

Von Prostitutionsgegnern wird vor allem der Aspekt der körperlichen und psychischen Gewalt erwähnt. Sexarbeiterinnen seien davon überdurchschnittlich häufig betroffen. Prostitutionsaktivistinnen bestreiten das.
Die Untersuchungen, die das angeblich gezeigt haben, basieren auf Daten von Straßenprostituierten in Ländern, wo sie kriminalisiert sind. Da wundert es mich nicht, dass der Gewaltanteil hoch ist. In Deutschland betonen viele Sexarbeiterinnen das Gegenteil. Und ich finde, es ist doch eine Errungenschaft, dass es so viele Sexarbeiterinnen gibt, die keine Gewalterfahrungen gemacht haben. Man muss sie nicht immer damit abkanzeln, dass sie nur eine Minderheit seien. Das sollte stattdessen unser Ziel sein: Dass Prostituierte keine Gewalt in ihrem Job erfahren müssen. Und auch, dass wir uns darüber freuen anstatt uns über die fehlende aufzuregen, weil es nicht das Argument der Prostitutionsgegnerinnen und -gegner unterstützt.

Alice Schwarzer sagt, die Gewalt gegen die Frau steckt schon darin, dass ein Mann sie für Sex bezahlt.
Von so einem wischi-waschi Gewalt-Begriff halte ich nichts. Ist es denn auch Gewalt, wenn ich mich zu einem teuren Essen einladen lasse und dann Sex habe? Wo verläuft hier die Grenze? Und würden wir es als Gewalt sehen, wenn eine Frau einen Mann für Sex bezahlen würde? Ich glaube nicht. Ich persönlich finde ja, dass es auch einfach für Frauen akzeptabler sein sollte, für Sex zu bezahlen. Frauen wollen ja schließlich auch nicht immer eine Beziehung. Und viele Frauen haben ebenfalls keine Lust auf klischeehafte Dates mit einem vorprogrammiertem Balzverhalten, nur weil man nicht als »Hure« da stehen will, obwohl frau eigentlich nur Sex will, sich aber nicht immer traut, das offen zu kommunizieren.

Ist das nicht eine deprimierende Vorstellung?
Dass auch Frauen für Sex bezahlen? Warum denn? Man kann das natürlich konsumkritisch sehen. Und in einer idealen Gesellschaft könnten wir alle an Orte gehen, wo wir unsere sexuellen Wünsche frei ausleben könnten. Aber ganz ehrlich: Gerade die Prostitutionsgegnerinnen tragen zu so einer Gesellschaft nicht unbedingt bei. Das Beziehungsbild, was ich dahinter immer sehe, ist das der monogamen heterosexuellen Beziehung. Da sind wir doch schon viel weiter.