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Freizeit Ihh, Ironie!

Freizeit: Ihh, Ironie!
Wie seht ihr das? Habt ihr euch schon mal zum Trash-Fernsehen verabredet? Oder seid ihr schon mal ironisch auf ein Konzert gegangen? Und wenn ja: warum?

Endlich Winter! Die Post-Festival-Konzertflaute ist vorbei. Es kommen wieder Bands auf die Bühnen, für die man sich gern in die Garderobenschlange stellt. Man fragt vorher rum, wer auch noch Lust hat, bestellt Tickets und freut sich von da an auf die Babyshambles (ob Herr Doherty es packt?), Eko Fresh, Notwist oder sonst wen, den man gerade toll findet. So geht das jedes Jahr. Oder besser: Ging es bisher. Denn es hat sich etwas verändert. Plötzlich posten Menschen auf Facebook: »Wer geht mit zu DJ Bobo?! :-)!« Oder es fragen einen Kollegen in der Kantine, ob man nicht mitkommen wolle: »Zu was?« – »Na Scooter! Haha! Das wird bestimmt lustig!«

Es ist erstaunlich. Noch vor Kurzem hätten sich dieselben Menschen lieber ihr Innenohr gesprengt, als sich zwei Stunden lang in einer Riesenhalle mit Eurodance bedröhnen zu lassen – und dafür auch noch fünfzig Euro auszugeben. Heute suchen sie sich eine Gruppe Spaßwilliger zusammen, besorgen sich ein paar Accessoires (Leuchtstäbe!) und begeben sich kichernd zwischen Kirmesraver.

Das bedeutet nicht, dass man damit sein Selbstbild als geschmackssicherer Popkon­sument revidiert. Im Gegenteil. Sich schon auf dem Parkplatz vor der Konzerthalle über die tiefergelegten Opel Corsas mit Heckscheibenstickern totzulachen und vor der Bühne dann neben den echten Fans auf möglichst alberne Weise rumzuhampeln, ist ein Akt der Selbstvergewisserung: Gott sei Dank bin ich nicht ei­ner von diesen Volldödeln, die das hier ernsthaft mögen!

Natürlich kann es – wie es die New Yorker Publizistin Susan Sontag in ihrem Essay »Notizen zum Camp« beschreibt – total befreiend sein, sich einen guten Geschmack des Schlechten anzueignen. Sich also nicht nur krampfhaft an vermeintlich ernsten, hochkulturellen Dingen zu erfreuen, sondern genauso an Flash-Gordon-Comics, Federboa-Dresses oder kitschigen Lampen. Aber eben: wirklich erfreuen. Obwohl etwas eigentlich schlecht ist. Das ist cool oder auch souverän. Sich über andere und ihren Unterschichtengeschmack lustig zu machen, ist es nicht.

Der Drang zur Distinktion, der sich da Bahn bricht, ist zwar an sich nichts Schlechtes. Aus dem radikalen Wunsch, etwas anders zu machen als die Mehrheit, sind die größten Schätze des Pop entstanden. Nur: Sich ironisch unter ein Vokuhila-Publikum zu mischen, das gerade etwas feiert, das man selbst lächerlich findet, bringt ja nichts Neues hervor. Es ist de­struktiv, zynisch, reiner Voyeurismus. Wie ein Besuch im Menschenzoo.

Das gilt auch für das noch populärere Pa­ral­lelphänomen: das ironische Fernsehen. Fremdschämsendungen wie das »Dschungelcamp«, »Germany’s Next Topmodel«, »Frauentausch«, »Traumfrau gesucht«, »Bauer sucht Frau«, »Deutschland sucht den Superstar« et cetera haben ein Publikum aktiviert, das gern gemeinsam auf der Couch sitzt, um bei Chips und ­Cola ein paar Landwirten beim Balzen und dürren Mädchen beim Heulen zuzusehen und sich dabei über die »Assis« zu amüsieren – obwohl man es natürlich schlimm findet, wie ­brutal die da vorgeführt werden: »Oh Gott! Ist das wieder fies!«
Dank Facebook und Twitter kann man die Sendung auch allein schauen und ­trotzdem ­allen anderen ausgiebig davon berich­ten, wie traurig und grenzdebil man das wieder findet. Entschuldigung, aber: #weninteressiert’s?

Es ist doch eher die Frage, wie traurig und langweilig das eigene Leben sein muss, wenn man trotzdem mit genau diesen Sendungen ­seinen Abend verbringt. Obwohl darin Menschen von boshaften Fernsehmachern zur Belustigung ausgestellt werden wie früher Freaks auf dem Jahrmarkt. Unter halbwegs jungen, halbwegs hippen Menschen gibt es kaum eine größere Konsensklage, als dass der Großteil dessen, was im deutschen Fernsehen läuft, haarsträubend doof ist. Vielleicht nur noch, dass DJ Bobo und Scooter haarsträubend schlecht sind.

Aber wenn das so ist, will man dann nicht lieber davon verschont bleiben (und bessere Musik/bessere Sendungen unterstützen)? Den Leuten, die solche Sendungen (oder Sounds) produzieren, ist es ja völlig egal, woher ihre Quote kommt oder das Geld für das Konzertticket. Wer Scooter oder »Bauer sucht Frau« blöd findet und trotzdem dabei ist, macht sich daher nicht nur lustig. Er macht sich schuldig. Er stützt das System des Schrotts.