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Politik Stellt die Verbindung her!

Politik: Stellt die Verbindung her!

Noch lieber als über das Wetter schimpfen die ­Menschen über Smartphones und die Zumutungen 
des digitalen Alltags. Das muss endlich aufhören!

Der Abend, an dem die Zivilisation zusammenbrach, hatte gut angefangen: Wir hatten gut gegessen, viel gelacht und den Kaffee aufgesetzt, als meine Freundin B. ihr Telefon herausholte, um eine Debatte via Wikipedia aufzulösen. Frieden wollte sie stiften, durch Tatsachen und Wahrheit, doch was sie auslöste, war Krieg: »Hey, B.«, fauchte L., »lass das Scheißding stecken!« Zustimmendes Schnaufen am ganzen Tisch. Augenverdrehen. B. senkte den Kopf und steckte das Telefon in die Handtasche, demütig, verschämt, als hätte sie öffentlich in der Nase gebohrt oder Angela Merkel mit Eva Braun verglichen, als hätte sie etwas getan, was man einfach nicht macht. Böse B.!

Wäre B. aufgestanden, zum Bücherregal gegangen und hätte »Meyers Konversations­lexikon, Bd. III« aufgeschlagen, hätte man sie – obwohl das Gespräch trotzdem unterbrochen worden wäre – für Stil und Bildung gefeiert. Was für ein bourgeoiser Retroquatsch.

Ich habe mich an diesem Abend nicht getraut, B. zu verteidigen, die Stimmung war zu feindselig gegenüber Smartphones und Menschen, die diese Geräte nicht als Weltübel à la H1N1 betrachten. Aber ich gelobe, dass ich dem Nächsten, der jammert, dass er an einem Tag mehr als fünfzig WhatsApp-Nachrichten bekommt, dass wir uns nicht mehr in die Augen schauen, weil uns das bläuliche Irrlicht des Smart­phonescreens so hypnotisiert usw., usf., dass ich dem eine reinhaue oder noch radikaler: ihn aus dem Adressbuch lösche.

Die Smartphoneschelte erweitert seit einiger Zeit das Feld der Gratiskritik, auf dem man sich über das Wetter, die Bahn oder die Defensivtaktik von Jogi Löw erregen darf, ohne sich um die lästige Wirklichkeit zu kümmern (der Sommer war toll / mehr als neunzig Prozent der Züge kommen pünktlich / die Nationalmannschaft steht auf dem 2. Platz der Weltrangliste). Uneinigkeit herrscht darüber, ob Smart­­phone­nutzung unhöflich ist oder schon krankhaft. In Deutschland steht das Pamphlet »Digitale ­Demenz« monatelang auf der Bestsellerliste. Die »New York Times« berichtet unter der Überschrift »Besser verbunden, aber öfter allein« dankbar über Restaurants, die das Fotografieren des Essens verbieten. Auf Youtube erreicht der Anti-Smartphone-Propagandaclip »I forgot my phone« mehr als 25 Millionen Views. Die Regisseurin Charlene deGuzman schreibt in ihrem Blog: »Ich habe erst jetzt schätzen gelernt, den Moment zu erleben (…) Farben zu sehen, Gerüche wahrzunehmen, Essen zu schmecken.« Herrje.

Es gibt drei Gründe, warum nicht Smartphones das Problem sind, sondern unsere fehlende Smartness im Umgang damit:

  1. Smartphonekritik ist langweilig: Die Reaktion auf technische Neuerungen, schreibt ­Kathrin Passig in ihrer Studie »Standardsituati­on der Technologiekritik«, »folgt in Medien und Privatleben vorgezeichneten Bahnen.« Passig hat neun Argumente identifiziert, mit denen wir auf neue Ideen und Geräte reagieren: vom reflexhaften Zusammenzucken (»Wozu soll das gut sein?«) über arrogantes Schulterzucken (»nettes Spielzeug«) bis zum fundamentalen Schrecken (»Das Ende der Welt ist nahe!«). Erst nach zehn bis fünfzehn Jahren, schreibt Passig, werde Technik pragmatisch eingesetzt. Das iPhone kam 2007 auf den Markt. Ich will aber nicht bis 2022 warten.
  2. Die Smartphonekritik ist dumm: Das Gerät hat keinen bösen Willen und zwingt dich auch nicht, alle dreißig Sekunden nach Facebook-­Statusmeldungen oder Mails zu gucken. So ist das mit Werkzeugen: Es kommt darauf an, wie man sie verwendet. Wer sich mit dem Hammer auf den Kopf schlägt, braucht sich über Bewusstseinstrübung nicht zu beklagen.
  3. Smartphonekritik ist gefährlich: Die Nos­­talgie nach einem Telefon, »mit dem man nur telefonieren kann« (gibt es natürlich: Das »John’s Phone« der niederländischen Desi­gner John Doe Amsterdam hat keinen Bildschirm, kein Menü, keine Apps; nur vierzehn Tasten) und damit nach der einfachen Vergangenheit, ist politisch so fragwürdig wie die nationalistisch-ökonomisch angehauchte Globalisierungs­kritik, die sich wünscht, die Grenzen zwischen Erster und Dritter Welt wären immer noch klar gezogen und China würde sich in der permanen­ten Kulturrevolution aufreiben, statt Siemens auszustechen. Wollen wir in eine Zeit zurück, in der nur ARD-Journalisten Nachrichten senden dürfen, nur der Schaffner den Fahrplan kennt, nur die Elite weiß, was vor sich geht? Technik wird immer von den Menschen kritisiert, die Angst haben, durch die Entwicklung einen Nachteil zu erleiden.

Wer sich einer Entwicklung verweigert, kann sie nicht gestalten. Deshalb sollten wir Smartphones nicht verdammen, sondern uns überlegen, wie wir die Technik sinnvoll einsetzen können. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschwerten die Menschen sich über Autos, den Lärm, den Speed, die unerhörten Möglichkeiten der Mobilität. Die einen setzten sich ans Steuer, entwickelten Sicherheitsgurte, Blinker, Verkehrsschilder, Katalysatoren und Airbags. Die anderen wurden von der Entwicklung und vermutlich auch den Autos überfahren.