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Freizeit Apocalypse Now

Freizeit: Apocalypse Now

Blätter essen, Tiere jagen, im Wald leben – was sich nach Steinzeitleben anhört, ist ein Selbstversuch der 30-jährigen Journalistin Greta Taubert. Als Vorbereitung auf die Apokalypse versuchte sie ein Jahr lang sich auf verschiedenste Weisen von unserem Gesellschaftssystem zu befreien. Jetzt ist ihr Buch über diesen »irren Trip« erschienen. Im Buch »Apokalypse jetzt!« beschreibt die Leipzigerin wie sie 15 verschiedene Selbstversuche wagt: Sie hortet Essen, züchtet Pilze, ernährt sich von »Urkost«, baut Gemüse an, trampt ohne Geld von Leipzig nach Barcelona und tritt ein Jahr in den Konsumstreik. Für das NEON Blog haben wir mit ihr gesprochen.

Greta, in deinem Buch bereitest du dich auf die Apokalypse vor. Warum glaubst du, dass es mit uns zu Ende geht?
Es gibt so ein Grundgefühl der Generation unter 35, dass die besten Zeiten vorbei sind und dass in Zukunft alles schlimmer und schlechter wird. Und es stimmt: Was soll denn noch besser werden? Wir haben doch schon alles. Unsere Generation ist mit einem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen und hat so etwas wie Mangel nie erfahren. Das ist natürlich super, aber es gibt da ein Problem: Unser Wirtschaftssystem funktioniert ja nur dann, wenn es wächst. Unser ökologisches System ist aber beschränkt und kann das nicht immer weiter abfedern. Das kann man im Moment ganz gut verdrängen, weil die Probleme ja noch nicht da sind. Aber als die Finanzkrise sich 2012 ins Absurde gesteigert hat, habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich dachte: Wir sind erledigt. Das ist das Ende. Du musst dich vorbereiten auf eine Zeit nach dem schönen, warmen wirtschaftlichen Wohlstand.

Und was war das für ein Moment?
Im Buch erwähne ich ein Familientreffen. Da sitzen meine Großeltern, Eltern, Tanten, Onkels und so weiter an an einem schwer beladenen Esstisch mit einer Wachstuchtischdecke. Und ich guck mich fröhlich schmatzend so um und denke: Krass, die haben ja alle schon einen Systemabsturz hinter sich. Die DDR, das Dritte Reich, die Kaiserzeit. Bin ich die nächste in dieser guten deutschen Tradition? Warum glaube ich eigentlich, dass alles um uns herum für immer und ewig so weitergeht? Die Zeichen stehen ja nicht besonders gut.

Und warum die Wachstuchtischdecke?
Ich finde, das ist ein typisches Symbol für die Überflussgesellschaft. Die Teller sind so zum Bersten voll, dass zwangsläufig etwas runterfallen muss. Gut, dass wir eine Wachstuchtischdecke drunter haben, damit nicht noch das schöne Holz befleckt. Und mal ganz nebenbei, die Wachstuchtischdecke ist ja auch eines dieser überflüssigen Erdölprodukte.

Wie stellst du dir denn so eine Apokalypse vor?
Zugegeben, das Wort »Apokalypse« ist auf die Pauke gehauen. Ich denke nicht an eine Apokalypse, wie man sie aus Hollywood-Blockbustern kennt. Oder dass uns ein Stern auf den Kopf fällt, der riesige Krater reißt. Ich gehe eher von einer allmählichen Veränderung unserer Lebensumstände aus.

Was wolltest du durch diesen Selbstversuch erreichen?
Meine Angst ist dadurch entstanden, dass ich mich abhängig von einem System gefühlt habe, dass allmählich seine Berechtigung verspielt hat. Und da hab ich mich gefragt, wie das denn aussähe, wenn ich mich davon unabhängiger mache.

Von wann bis wann ging das Projekt?
Ein Jahr, bis zum 31. Oktober 2013.

Du hast dich während deines Selbstversuchs eine Zeit lang nur von »Urkost« ernährt, du hast versucht mit nur 3 Litern Wasser am Tag auszukommen, du hast Wild in der Stadt gejagt, Pilze in der Dusche gezüchtet und versucht, ein Jahr lang so wenig wie möglich zu konsumieren: Was davon hat dich am meisten an deine Grenzen gebracht?
Es gab unterschiedliche Grenzerfahrungen. Manchmal waren es körperliche Verzichtsmomente, die ich überwinden musste. Die Urkostvorbereitung, das Erdfasten, das war schon wirklich hart. Es gab aber auch schwierige psychische Episoden, in denen ich mich auf Menschen eingelassen hab, die komplett andere Lebenskonzepte haben, zum Beispiel nur 3 Liter Wasser am Tag zu verbrauchen. Und natürlich der innere Schweinehund, der besonders während eines langen Jahres des Shopping-Streiks immer gezähmt werden wollte..

Gab es nie eine Situation, in der du alles hinschmeißen wolltest?
Ständig! Das ist ja dieser Schweinehund, der immer sagt »Na komm, komm wieder zurück in deine vertraute, bequeme Welt. Hier gibt es so schöne Sachen und sie kosten fast nichts«.

Und welcher Versuch hat dir am meisten Spaß gemacht?
Diese Kleidertausch-Sphäre ist zu einem Hobby von mir geworden. Ich guck jetzt gerne auf Kleidertausch-Parties vorbei oder geh auf Tauschwebsites. Ich habe den Jagdtrieb des Shoppings auf das Kleiderkreiseln verlegt. Damit generiere ich keine neue Nachfrage auf dem Markt – und hab trotzdem immer mal andere Klamotten im Schrank..

Was von den Sachen, die du gemacht hast, würdest du auch anderen empfehlen?
Sich mit dem auseinanderzusetzen, was wir konsumieren, kann ein spannendes Experiment sein. Das muss nicht immer bedeuten, dass man ein Gelübde ablegt nach dem Motto »Ich werde nie wieder das und das kaufen« – das ist schwer umzusetzen und schreckt wahrscheinlich viele ab. Aber sich ausklinken und versuchen eine Zeit lang Sachen nur aus Tauschkreisen zu beziehen oder Gemüse selbst anzubauen – das verändert die Perspektive auf die Dinge, die wir die ganze Zeit kaufen, verbrauchen und wieder wegschmeißen.

Die Leute, mit denen du während deiner Selbstversuchs zu tun hattest, sind ja alle eher Aussteiger..
Nö, nicht alle. Das ist ja das Verrückte, dass die aus den unterschiedlichsten Sphären kommen. Klar, ich besuche auch den Schenker Öff Öff, der komplett aus dem System ausgestiegen ist. Aber ich habe viele Leute wie dich und mich getroffen. Zum Beispiel alleinerziehende Mütter oder Unternehmer, die sich sagen »Ich schneider ein bisschen nebenher« oder »Ich hab eigentlich einen ganz normalen Job, aber meine wahre Passion ist die Pilzzucht. Und damit bereite ich mich auf ein Leben nach dem Crash vor«. Ich hab mich nicht hingestellt und gesagt »Hey, ihr Freaks«, sondern ich hab versucht, von überall her Leute kennenzulernen, die Ideen haben, wie man etwas anders machen kann.

Was ist von dem Selbstversuch geblieben, was machst du jetzt anders als davor?
Die Selbstversuche haben mir viele Gewissheiten genommen. Ich musste meine Ansichten darüber, wer ich bin und wie viel ich wirklich brauche, überdenken. Shopping, Fleisch essen, schick in Hotels wohnen – ich dachte, dass ich ohne das gute käufliche Leben nicht sein könnte. Jetzt bin ich davon oft regelrecht abgestoßen. Im Buch nenne ich das »ein anderes Wertebewusstsein«.

Und was machst du an lebenspraktischen Sachen außer Verzicht auf Fleisch und Shoppen noch anders?
Ich mache eigentlich fast alles weiter: Selbst Sachen anbauen, basteln, bauen, tauschen, teilen, jagen. Die Frage ist nur: In welchem Maß kann ich das in meinen Alltag integrieren? Es überfordert mich aber, genau abzuschätzen, wie das im Detail aussehen wird: Was genau und wie genau und wie viel genau willst du machen? Ich mag es zu experimentieren. Und darum geht es doch auch: Mit Lust und Laune die bestehenden Verhältnisse hinterfragen. Die Zeiten werden schwer genug, da sollten wir nicht schon jetzt den Humor verlieren.

Interview: Mariel McLaughlin

Foto: Stephan Pramme