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Freizeit »Jede Region kann sich für unabhängig erklären«

Freizeit: »Jede Region kann sich für unabhängig erklären«
Russland hat vergangene Woche die Krim zu einem Teil der russischen Föderation erklärt. Die Europäische Union und die USA sagen, damit sei das Völkerrecht gebrochen worden. Wir haben mit dem Völkerrechtler Christian Tams von der Universität Glasgow telefoniert und mit ihm über Unabhängigkeit und die Bedeutung von Referenden gesprochen.

Die Volksvertretung in Simferopol hat die Unabhängigkeit der Krim von der Ukraine erklärt. Wie ist das eigentlich möglich?
Man muss unterscheiden: Jede Region kann sich für unabhängig erklären. Doch ist dies rechtlich zunächst nicht relevant. Der Anspruch eines jeden Staates auf territoriale Integrität steht dem entgegen: jeder Staat hat Anspruch darauf, im gesamten Umfang seines Territoriums als Staat zu existieren. Ausnahmen gibt es nur in Sonderfällen, etwa wenn ein Staat Rechte einer Minderheit auf gröbste verletzt – dies ist etwa am Beispiel des Kosovo diskutiert worden. Aber auf der Krim ist dies nicht passiert.

Reicht es nicht aus, dass die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung auf der Krim sich als Volksgruppe sieht, die laut Referendum nicht mehr Teil der Ukraine sein will?
Das Völkerrecht erkennt Rechte von Volksgruppen und Angehörigen von Minderheiten an – Rechte auf Nichtdiskriinierung, auf Nutzung der eigenen Sprache, bei religiösen Minderheiten auch auf Ausübung der eigenen Religion. Aber sofern es sich nicht um die eben benannten Ausnahmefälle handelt, müssen diese Rechte innerhalb eines bestehenden Staates ausgeübt warden. Auch das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Völker gibt kein Recht auf einen eigenen Staat.

Schottland hält diesen September ein Referendum ab, ob es sich von Großbritannien abspalten sollte. Warum geht das in diesem Fall?
Das schottische Unabhängigkeitsreferendum ist zwischen der britischen Regierung in Westminster und der schottischen Regierung in Edinburgh vereinbart worden. Es ist ein verfassungsrechtlicher Prozess, eine freiwillige innerstaatliche Vereinbarung – zu der es in der Ukraine kein Pendant gibt. Nach dem Völkerrecht hätte Schottland keinen Anspruch auf Eigenstaatlichkeit. Andererseits steht das Völkerrecht natürlich nicht entgegen, wenn sich – wie im Fall Schottlands – Teile eines Staates auf eine Volksabstimmung einigen.

Die Bayernpartei hat Wahlwerbung damit betrieben, dass sich auch Bayern unilateral von Deutschlands abspalten könne. Wäre das möglich?
Wenn die Bundesregierung und Bayern beschließen würden, man solle ein bayerisches Unabhängigkeitsreferendum durchführen, dann spräche nichts dagegen. Aber ich denke, dass es – jenseits von Splittergruppen – daran kein Interesse gibt, weder in Bayern noch im Rest Deutschlands. Die Bayernpartei kann durchaus für Eigenstaatlichkeit werben; aber einen völkerrechtlichen Anspruch auf Loslösung von Deutschland hat sie nicht.

Ist die Anerkennung anderer Staaten grundlegend für die Staatenbildung?
Sie können auch ein Staat sein, ohne als solcher anerkannt zu sein. Allerdings ist das ein zweifelhaftes Vergnügen: wer will Staat sein, ohne mit anderen Staaten diplomatische Beziehugen zu unterhalten, ohne in international Organisationen aufgenommen worden zu sein? Das gelingt sogenannten Pariah-Staaten nicht; dafür muss die Staatlichkeit anerkannt sein.

Ist es vorstellbar, dass die Krim sich abspaltet, nicht von der Ukraine als eigenständiger Staat anerkannt wird, aber durch die Aufnahme in die Russische Föderation existieren kann?
Zu Annexionen hat das Völkerrecht eine klare Sichtweise: Wenn die betroffenen Staaten – Russland und Ukraine – sich darauf nicht einigen, dann sind Annexionen nicht wirksam. Israel etwa rechnet seit 1981 Ost-Jerusalem (das vorher zu Palästina gehörte) zum israelischen Staatsgebiet. Doch die meisten Staaten der Welt halten daran fest, dass Israel an der Stadtgrenze von Ost-Jerusalem endet. Ähnlich wäre das auch, wenn Russland die Krim annektierte.

Foto: Bulent Doruk / Anadolu Agency / Getty Images