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Politik Der komische Soldat

Politik: Der komische Soldat
Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom April 2014 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.

Als Einziger überlebte Robert Henline einen ­Bombenanschlag im Irak. Jetzt steht er als Komiker auf der Bühne und führt so seinen Krieg weiter.

Aus dem Dunkel läuft Robert Henline mit schwingenden Armen ins Scheinwerferlicht. An den Wänden hängen Plastikbrüste und Hirschgeweihe, Männer zocken an Automaten, Paare trinken Bier an Stehtischen. Die Gespräche verstummen, als Bobby zum Mikrofon greift. »Ich habe für diesen Blowjob gebetet!«, ruft er. Es ist Mittwochabend, kurz vor zehn, im Bracken Saloon in San Antonio, Texas.

Der erste Witz ist der Eisbrecher, wichtig für jeden Komiker. Nur dass das Publikum hier über den Komiker lachen soll, nicht mit ihm. Mit dem »Blow« meint Bobby die Explosion. Er holt tief Luft: »Als ich nach vier Wochen aus dem Koma aufgewacht bin, fragte mich der Arzt, ob ich meine Frau sehen will. ›Habe ich nicht genug durchgemacht?‹, fragte ich.« Wenn Bobby lacht, schiebt sich sein linker Mundwinkel leicht nach oben, der Rest seines Gesichts bewegt sich nicht. »Der Anschlag ist jetzt sieben Jahre und 46 Hautverpflanzungen her.

»Meine Bauchdecke haben sie auf meinen Kopf genäht«

Die Ärzte haben einen riesigen Flicken­teppich aus mir genäht. Ich kann meinen Hintern nicht von meinem Ellbogen unterscheiden«, sagt er und zeigt mit der verbleibenden Hand auf sein Gesicht. Ein Mann im Publikum pfeift und feuert ihn an: »Los, Bobby. Los!« »Meine Bauchdecke haben sie auf meinen Kopf genäht. Wenn ich zu viel esse, bekomme ich Kopfschmerzen. Meinen Hintern haben mei­ne Ärzte unter mein rechtes Auge transplantiert. Ich bin ein Arschgesicht!« Eine Frau lacht, dann hält sie sich die Hand vor den Mund, als hätte sie gemerkt, dass man über so etwas eigentlich nicht lachen darf. Die anderen Zuschauer klatschen und jubeln.

Als einer von etwa einer Million Soldaten diente der heute 42-jährige Robert Henline, den alle Bobby nennen, in der US-Army im Irakkrieg. Als einer von 31 000 Soldaten, die schwer verwundet wurden, kehrte er zurück. Mit Unterbrechungen hat Bobby dreizehn Jahre gedient, er war viermal im Irak. Was davon übrig bleibt, sind unzählige Orden und eine zehn Kilogramm schwere Krankenakte.

Es war der Samstag vor Ostern, 7. April 2007, als Bobby zu dem wurde, was er auf der Bühne »Freddy-Krueger-Gesicht« nennt. 23 Tage vorher hatte er seine Ehefrau Connie und die drei Kinder Brittany, Skylar und McKenzie auf einem der größten Stützpunkte der US-Army, Fort Bragg in North Carolina, an sich gedrückt und gesagt: »Hoffentlich komme ich nicht früher zurück, als euch lieb ist.«

Als die Bombe Bobby aus dem gepanzerten Geländewagen schleuderte, hatte er noch den Duft von Kaffee in der Nase. »Alles andere ist einfach weg«, sagt Bobby heute. Er hat lange an diesem Tag herumgepuzzelt, mithilfe von Kollegen, Fotos und Berichten der Einsatzkräfte, um zu begreifen, warum sein Gesicht so aus­­sieht.

Der Konvoi war im Norden Bagdads unterwegs. Bobbys Fahrzeug fuhr ganz vorn. Rechts und links Sand und zerfallende Mauern. Bobby saß auf dem Beifahrersitz. Das war sein Glück. Die anderen vier Soldaten in seinem Wagen starben. Die Bombe riss die Teerdecke auf, warf das Auto und Gesteinsbrocken durch die Luft, zerfetzte Körper und Autotanks. Bobby hing über der Tür, seine Uniform brannte, dann auch sein Körper. Als ihn die Retter fanden, war ein Drittel seiner Haut verbrannt, seine Kopfhaut und sein Gesicht sogar zu neunzig Prozent.

Ein Hubschrauber flog Bobby zum nächstgelegenen Stützpunkt Balad, von dort transpor­­tierte ihn eine Lazarettmaschine nach Rheinland-Pfalz, in das Regional Medical Center in Landstuhl. Das ist die größte amerikanische Klinik außerhalb der USA. Alle Verletzten aus dem Irak und Afghanistan landen zuerst dort. »Ich hatte keine Schmerzen. Ich habe nur dieses Bild in meinem Kopf, auf einem gigantischen Eisberg zu liegen und nichts zu spüren«, sagt Bobby.

Seine Ehefrau Connie kam von der Arbeit nach Hause und hörte den Anrufbeantworter ab: »Hier spricht das Verteidigungsministeri­um. Bitte rufen Sie uns an.« Erst dachte sie, sie hätte Papiere nicht rechtzeitig eingereicht. Dann wusste sie, es ging um Bobby. Wenn er die Nacht überlebe, würden sie ihn in das ­Brooke Army Medical Center in San Antonio fliegen, sagten sie Connie. An dem Abend vergaß sie, den Kindern das Abendessen zu kochen, sie rief fast stündlich beim Militär an und ­fragte nach Neuigkeiten. Sie wischte die Ablagen der Küche, immer wieder. Es sollte ordentlich sein, wenn ein Abgesandter kommt, um die Todesnachricht zu überbringen.

Es sollte ordentlich sein, wenn die Todesnachricht kommt

Bobby überlebte die Nacht. Einen Tag nach seiner Ankunft in San Antonio saß Connie im Flugzeug zu ihm. Am 12. April, nach zwei jeweils achtstündigen Operationen, durfte sie zum ersten Mal in Bobbys Zimmer. Die Ärzte hatten ihn in ein künstliches Koma versetzt und sagten, es sehe nicht gut aus. Er bekam unter anderem das Medikament Propofol, das zwei Jahre später in einer Überdosis Michael Jackson tötete. Die Schwestern erklärten Connie, wenn sie zu Bobby gehe, müsse sie sich da­rauf konzentrieren, gut gelaunt zu sein. »Niemand wusste, was er mitbekommen würde und was nicht«, sagt Connie. »In seinem Zimmer roch es nach verbranntem Fleisch. Er hing an unzäh­ligen Geräten. Monitore piepten. Es war schreck­­lich.«

Sechs Monate besuchte sie Bobby jeden Tag. Connie fütterte ihn mit Steak, das sie in winzige Stücke geschnitten hatte, weil er seinen Mund kaum öffnen konnte. Sie besorgte ihm Smoothies und redete mit ihm. Sie schlief in vielen Nächten nur drei Stunden. An manchen Tagen ging es Bobby besser, an anderen schlechter. Nach sechs Monaten klafften noch Wunden auf seinem Kopf, aber die Ärzte entschieden, ihn zu entlassen.

Connie wurde von der Ehefrau zur Krankenschwester

Connie zog mit den drei Kindern von North Carolina nach San Antonio, damit sie Bobby jeden Tag zur ambulanten Behandlung ins Krankenhaus fahren konnte. Im neuen Zuhause wechselte sie bis zu sechs Stunden täglich seine Verbände, schlief auf einer Luftmatratze neben seinem Bett und weckte ihn stündlich, um ihm Augentropfen zu verabreichen. »Ich wollte meinen Ehemann wiederhaben, deshalb habe ich alles getan, damit er schnell selbststän­dig wird«, sagt sie. Es dauerte zwei Jahre und unzählige Operationen und Physiotherapiestunden, bis Bobby wieder gehen, ­Gegenstände greifen und Auto fahren konnte. In dieser Zeit wandelte Connie sich von der Ehefrau zu einer Krankenschwester, von der Liebenden zur Kümmernden.

Bobby wollte nie Mitleid, das ist für Schwache. Er wollte stark sein. Also begann er, ­Witze über sich zu machen. Besonders seine Physiotherapeutin Susy hatte viel Spaß mit Bobby. Kurz vor seiner letzten Behandlung nahm sie ihm das Versprechen ab, dass er sich als Komi­ker auf der Bühne ausprobieren würde.

Er wählte für seinen ersten Versuch Los Angeles, da er in Kalifornien geboren wurde. Nach einer Operation an seinem rechten Auge im UCLA Medical Center im August 2009 stieg er im Comedy Store zum ersten Mal auf die Bühne. »Das war eine Katastrophe. Niemand hat verstanden, was ich da mache, und niemand hat gelacht«, sagt Bobby. Er gewöhnte sich an, Gags auf seinem iPhone zu notieren und zu üben.

In den Monaten danach stellte er sich bei Open Mic Nights in San Antonio vor zwanzig bis fünfzig Leuten auf die Bühne. Bald wusste jeder in der Stadt von den Auftritten des ­verbrannten GIs. An seinem dritten »Life day« – wie er seinen zweiten Geburtstag, den Tag der Explosion, nennt – hatte er seinen ­ersten richtig großen Auftritt. Im Kasino des Hotel Tropi­cana in Las Vegas, hunderte Zuschauer, da­runter Connie, und Bobby kam auf die Bühne und machte seinen Blowjob-Witz. Vor diesem roten Samtvorhang zu stehen und über seine Narben zu scherzen, sei sein größter Triumph, sagt er.

Als entstellter Soldat, der den entstellten Soldaten verhöhnt, macht Bobby ein nettes ­Geschäft. 10 000 Dollar waren es 2013. Nicht dass er das Geld bräuchte: Er erhält monatlich 6000 Dollar Veteranenrente. Aber seine Auftritte in Bars sind sowieso nicht bloß ein Geschäftsmodell. Sie sind die Tür, die aus dem Krieg in so etwas wie ein normales Leben führt.

Es ist leichter geworden, ein amerikanischer Kriegsheld zu sein

Allerdings steht diese Tür in beide Richtungen offen. Und beobachtet man Bobby genauer, wird man das Gefühl nicht los, dass er mit seinen Comedyauftritten eher zurück will als vor. Zurück in den Irak. Wenn seine ­Kinder beim Abendessen von ihren Freunden in der Schule reden, wenn Connie, die als Immobilien­maklerin arbeitet, von Kunden erzählt, hält Bobby sich raus. Dann sitzt er vor seinen Nudeln und schweigt. Alles, worüber er sprechen will, ist die Army. Steht er auf der Bühne, wird er sogar dafür bezahlt – von Leuten, die glauben: Wer über sich und den Krieg solche ­Witze macht, muss es wirklich gut verkraftet haben, der muss mit sich im Reinen sein.

Natürlich wollen sie das auch glauben. Sie haben den Krieg nur auf Fernsehbildschirmen flimmern sehen, und sie haben Bobby nicht deswegen zu ihrem Helden gewählt, weil er verwundete Kameraden durchs Minenfeld ­geschleppt hätte. Bobby ist ein Held, weil er weitergeatmet hat, als alle um ihn herum starben. Es ist leichter geworden, ein amerikanischer Kriegsheld zu sein. Mit der Verehrung der Veteranen aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan will das Land auch wiedergut­machen, wie es eine Generation von Vietnamveteranen behandelt hat.

Michelle Obama empfing die Henlines im Weißen Haus. Bei großen Benefizveranstaltungen ist Bobby Ehrengast, auf der »Stand up for our heroes«-Gala posierte Robin Williams mit ihm auf dem roten Teppich. Im Küchenregal steht ein Foto, das Connie und Bobby Arm in Arm mit Bruce Springsteen zeigt.

Mehr als 600 000 Amerikaner spendeten zusammen etwa fünfzig Millionen Dollar für das Rehabilitationszentrum »Center For The Intrepid«: das »Zentrum der Furchtlosen«. Es liegt gegenüber dem Krankenhaus in San ­Antonio. Auf der vierten Etage hängt ein Foto von Bobby. Darauf posiert er als Sieger. Auf seinem schwarzen, ärmellosen T-Shirt steht: »I got your tickets to the gun show«. Sein Körper ist auf dem Foto noch aufgeschwemmt vom Ketamin, Morphium und Methadon, das er gegen die Schmerzen nahm. Das Foto soll anderen Veteranen Mut machen, die hier täglich üben, mit ihren Prothesen zu greifen.

Einige der Patienten dieses Rehazentrums sind inzwischen berühmt, andere gestorben. J.R. Martinez, dessen linke Gesichtshälfte bei einem Anschlag verbrannt worden war, gewann die US-Sendung »Dancing With The Stars«, schrieb ein Buch und tritt jetzt in Talkshows auf. Das Hochzeitsfoto des ehemaligen Soldaten Tyler Ziegel, der ebenfalls durch eine Explosion entstellt worden war, ging um die Welt. Bereits ein Jahr später wurde die Ehe geschieden. Ziegel verstarb 2012 nach einem Sturz, mit Alkohol und Heroin im Blut.

Wenn die Ärzte des Rehazentrums spüren, dass ein Patient kurz davor ist, sich ­aufzugeben, rufen sie nun Bobby. Auch das ist auf den ­ersten Blick ein Zeichen von Bobbys Abstand zum Krieg und auf den zweiten ein Zeichen der Nähe. Heute redet Bobby mit dem Piloten Bryan. Bei einer Trainingsübung vor einem hal­­ben Jahr wurde ein Drittel von Bryans Körper verbrannt. »Endlich habe ich meinen Zwilling gefunden«, sagt Bobby zu ihm und lacht. »Die Pförtner werden uns nicht unterscheiden können. Zumindest von hinten.« Bryan sitzt im Rollstuhl und trägt ein olivfarbenes T-Shirt mit einem Schriftzug der Marines. »Du hast es geschafft. Ich bewundere dich dafür«, sagt Bryan.

»Das sind diese kleinen posttraumatischen Momente«

Als ein Besucher den Deckel des Mülleimers zuknallt, zuckt Bobby zusammen. Seine Augen prüfen jede Ecke und jeden Ausgang. »Das sind diese kleinen posttraumatischen Momente. Du hörst ein Geräusch, das du nicht kennst, und bist auf einmal im Alarm-Modus, wie im Krieg«, sagt Bobby und konzentriert sich auf seine Atmung.

Zwei Küchenschränke in seinem Haus ­haben Dellen. Bobby schlug mit der Faust auf Türen ein. Ein anderes Mal ging er auf den ­Küchentisch los, weil seine Tochter nicht auf ihn gehört hat. »Ich muss lernen, mit meiner Wut umzugehen«, sagt Bobby. In einem Zimmer hat er einen Boxsack aufgestellt. Wenn er merkt, dass es in ihm brodelt, schlägt er auf den Dummy ein. »Ich fühle das schon, wenn ich morgens aufwache«, sagt Bobby. Am Wochenende wollte Connie ihm helfen, das Auto zu waschen. Oft fällt es ihm schwer, Hilfe anzunehmen, denn alles muss für ihn nach dem gleichen Muster ablaufen. Die Routine der ­Armee fehlt ihm.

Deshalb ist Bobby vor sechs Monaten aus dem Haus der Familie ausgezogen. Er wohnt in einem Apartment auf der anderen Straßenseite. Morgens macht er die Lunchpakete für die drei Kinder, abends Spaghetti. »Connie und ich sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Wir wollen uns nicht scheiden lassen, aber wir brauchen ein bisschen Abstand«, sagt Bobby.

Sein Sohn Skylar ist fünfzehn. Er will nach der Schule zum Militär. »Er will zu Ende bringen, was sein Vater begonnen hat. Er soll zu den Marines: Wenn ihm etwas passiert, kümmern die sich am besten um die Familien«, sagt Connie. Bobby möchte, dass Skylar zur Air Force geht. Laut Statistik werden dort die ­wenigsten Soldaten im Einsatz verwundet.

Im Frühjahr soll Bobbys rechtes Auge operiert werden, damit er es wieder schließen kann. »Aber ich würde lieber in den Irak fliegen, als mich noch einmal unters Messer zu legen«, sagt er.

Für das NEON Blog haben wir außerdem Evan Renz, einen der behandelnden Ärzte im »Brook Army Medical Center« in San Antonio, Texas interviewt.