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Zuhause Stadt, Boot, Fluss

Zuhause: Stadt, Boot, Fluss
Unser Autor hatte keine Lust auf einen teuren Urlaub. Er träumte davon, sich einfach vor der Haustür in ein Schlauchboot zu setzen und loszufahren. Auf der Donau von Wien nach Bratislava. Ob er angekommen ist?

Das fühlt sich schon mal herrlich bescheuert an: Weit und breit ist kein Wasser zu sehen und wir laufen mit Paddeln durch die Innenstadt von Wien. Da ist das Café Sperl, das kenne ich, ein hübsches Kaffeehaus, in dem man früher gut rauchen konnte. Was ich nicht weiß: Wo genau fließt hier die Donau? Geschweige denn: An welcher Stelle steigt man ein? Die Vorbereitungen für diesen Trip sind eher gering ausgefallen. Doch das ist Absicht. Ich habe keine Lust auf eine aufs Komma genau durchgeplante Outdoorexpedition mit 2000-Euro-Kanus und Spritzschutzwesten. Ich will wissen, ob es auch so geht: ein paar billige Supermarktschlauchboote aufblasen und sich – was für eine wunderbare Vorstellung – paddelnd von einem Land ins nächste treiben lassen.

Zwei Hauptstädte, achtzig Kilometer vonei­nander entfernt, verbunden durch die Donau: Wien und Bratislava, Hauptstadt der Slowakei. Müsste in zwei Tagen zu schaffen sein. Hoffe ich. Wir nehmen Schlafsäcke und Zelte mit. Eine Woche zuvor suche ich auf Ebay die billigsten Zweimannschlauchboote. Ich stoße auf Boote des Anbieters Gartenpirat, die Niagara heißen, 119 Euro das Stück. Das gefällt mir. Allein der Name.

Ein befreundetes Paar, Anni und Alex, sagt zu, mich bei diesem Abenteuer zu begleiten, und eine sehr gute Freundin, Rita. Zwei Tage vor der Reise werde ich doch etwas nervös. Vielleicht gefährde ich ja meine Freunde? Ich habe keine Ahnung, ob man die Donau mit einem Paddelboot befahren kann, ich war noch nie auf der Donau. Ich will eine Profistimme hören, die mir sagt, dass unser Plan vernünftig klingt. Ich rufe bei Kanuverbänden an und bei Schlauchbootverleihern. Das Problem ist: ­Keiner sagt das, was ich hören will. Sie sagen: »Von einer Donaufahrt auf solchen Booten rate ich Ihnen in aller Deutlichkeit ab. Auf der Donau herrscht industrieller Schiffsverkehr.« Und: »Sie brauchen mindestens richtige Kanus. Mit Ihren Plastikbooten sind Sie nicht wendig genug, um im Notfall Schiffen auszuweichen.« Was sie nicht sagen: Klar, irgendwie werdet ihr schon ankommen!

Aber erst mal egal, das Wetter ist wunderbar, 22 Grad, der Himmel tiefblau. Ich rufe bei einem Kanushop an, um nach einer guten Einstiegsstelle zu fragen. Ich glaube, der Mann am Telefon will mich auf den Arm nehmen. Er sagt, wir sollen zum »Albernen Hafen« fahren. Es stellt sich heraus, dass der Hafen wirklich so heißt. Und dort gibt es ein Gasthaus, das direkt am Wasser liegt, namens »Gasthaus zum Fried­hof der Namenlosen«. Die Kellnerin in diesem Gasthaus erinnert sich nicht daran, dass hier in letzter Zeit mal ein Kanufahrer oder etwas Ähnliches gestartet ist. Aber immerhin: Vor der Tür fließt die Donau. Hier also wird unsere Reise beginnen.

Erster Eindruck: mächtige, furchteinflößende Donau. 250 Meter breit. Unsere Boote sind wirklich klein, und die Tanker, die wir sehen, so groß wie Einkaufszentren. Rita und ich sind ein Team, wir teilen uns einen Gartenpiraten, das Paar sitzt im anderen. Der Fotograf und sein Assistent haben sich aus Furcht, dass ihre Kameras untergehen, ein eigenes, robustes Profiboot geliehen.

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wir warten noch einen Dampfer ab, der vorbeifährt, dann steigen wir in die Donau. Wir fahren sofort in einem irre hohen Tempo los. Kommt mir je­denfalls so vor. Ein Jogger müsste am Ufer schon richtig rennen, um mitzuhalten. Große Aufbruchsfreude: Es geht. Die Boote schwimmen. Wenn man in einer Sache kompletter Anfänger ist, erlebt man ja schnell Fortschritte. Der Ast, dem wir ausweichen, die Kurve, die wir elegant und ohne uns um die eigene Achse zu drehen, nehmen – das ­alles sagt uns: Ihr packt das. Die Donau und wir, das könnte was werden.

Was mir vorher Sorgen gemacht hatte: der Kontrollverlust. Sobald man in diesen Fluss steigt, ist man ihm ausgeliefert. Zieht einen die Strömung in die Mitte, dorthin, wo die Tanker fahren? Kippen einen die Wellen, die von den Touristendampfern ausgehen, einfach um? Kann man vorher alles nicht wissen. Deshalb sind diese ersten Minuten so entscheidend für den Kopf und unsere Laune. Dass die Donau ihren Charakter auch ändern kann, also nicht kilometerlang so freundlich bleibt, wie sie jetzt ist, erfahren wir erst am nächsten Tag.

Die erste Panne passiert zwar schon nach einer halben Stunde, aber sie passiert immerhin nicht Rita und mir. Die Boote halten der Donau stand. Nur das Profiboot nicht: Das Fotografenboot hat ein Loch. Ausgerechnet. Keine Schadenfreude, aber es sieht schon lustig aus, wie der Fotoassistent während der Fahrt versucht, mit einer Pumpe das Boot aufzublasen. Sein Kollege schöpft mit einem Becher literweise Wasser aus dem Bootsinneren. So geht das den Rest der Reise.

Trotzdem: Um halb vier Uhr nachmittags brechen wir unsere Kein-Alkohol-auf-dem-Fluss-Regel, die wir uns – ein Zugeständnis an die drohenden Gefahren – auferlegt hatten. Es läuft einfach zu gut. Wir haben Plastikbecher dabei, es gibt Zweigelt. Wenn uns jetzt die Kanu­experten mit ihren Horrorgeschichten sehen könnten. Wir begegnen keinem einzigen Paddler.

Nur Großschiffen. Alle zehn Minuten etwa fährt eines vorbei. Ein paar Paddelstiche, und das Schlauchboot treibt vier, fünf Meter in Richtung Ufer, dorthin, wo die Schiffe nicht fahren. Ein bisschen fühlen wir uns wie Hochstapler. Wie Fünftklässler, die sich in der großen Pause in den Raucherbereich der Oberstufe geschlichen haben. Lachen die vorbeifahrenden Kapitäne über uns? Ich sehe sie nicht, sie sind zu weit oben.

Noch ein Becher Wein. Eine Weinflasche lässt sich perfekt in den schattenspendenden Wulst des Bootes klemmen. Als wäre dieser Wulst dafür gemacht worden. Grundsätzlich wirkt die Donau auf mich wie ein Beruhigungsmittel. Das Plätschern lässt Aufregung gar nicht erst aufkommen. Und das müde Nachmittagslicht der Sonne tut ein Übriges. Jetzt bloß nicht einschlafen. Blick nach links, Blick nach rechts. Die Donauauen, durch die wir ziehen, sind ein riesiges Naturschutzgebiet. Erstaunlich, wie schnell die Großstadt zu einer Wildniskulisse geworden ist. Sattes Urwaldgrün an den Ufern. Knochige Baumwurzeln, die so hoch aus dem Boden ragen, dass man da­runter picknicken könnte. Nasser Sand. Eher weiß als gelb. Sieht toll aus, aber auch so sehr nach Wildnis, dass man nicht unbedingt ein Handtuch auslegen und sich sonnen will. Da leben bestimmt tausende große Spinnen.

Die Sonne geht unter. Wir haben keine Vorstellung davon, wie weit wir gekommen sind. Unser Ziel war es, einen Ort namens Hainburg zu erreichen. Wir paddeln seit etwa sechs, sieben Stunden, doch Hainburg ist nicht in Sicht. Dabei wollen wir an Land sein, wenn es richtig dunkel wird.

Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt zuzugeben, dass Rita und ich Bremsen sind. Anni und Alex sind uns mit ihrem Pärchenboot immer etwa 150 Meter voraus. Das liegt vor allem daran, dass sie ernsthaft paddeln, während ­Rita und ich damit Schwierigkeiten haben. Rita hat einen, nun ja, eigenwilligen Paddelstil. Mit der einen Hand hält Rita das Paddel vorne an der Schaufel fest – es sieht aus, als würde sie mit einer riesigen Suppenkelle in der Donau herumrühren. Ist ihr Paddel zu kurz oder sind es ihre Arme? Aber ich will sie nicht kritisieren – ich bin auch nicht besser. Ich sitze hinten im Boot und paddle leicht angetrunken aus dem Liegen. Anni und Alex sind als Paar einfach eingespielter. Sie sind Outdoorchecker. Ich hoffe, sie sind nicht sauer auf uns. Wir bemühen uns ja. Weil Anni und Alex aber auch dann weit vor uns liegen, wenn wir vermeintlich synchron und kraftvoll lospaddeln, geben wir nach einer Weile auf und fügen uns unserem Schicksal, keine Outdoorchecker zu sein.

Dann legen wir schon vor Hainburg an, egal. Wir halten an einem ordentlich zurechtgestutzten Kurpark. Statuen sind zu sehen, eine ist Danuvius gewidmet, dem Flussgott der ­Donau. Der Ort heißt Bad Deutsch-Altenburg. Das hier ist viel besser und lustiger (und sicherer), als in kompletter Wildnis zu schlafen, denke ich. Einfach die Zelte im Stadtpark aufbauen. Kann man hier Feuer machen?

Es ist kurz vor zehn Uhr abends, als wir den Park verlassen und Bad Deutsch-Altenburg auf der Suche nach einem offenen Lokal durchstreifen. Bad Deutsch-Altenburg ist: völlig leer und verlassen. Viele Erdgeschossfenster der Anwohner sind verrückterweise fast alle mit Puppen oder Pflanzen oder besonderen Vorhangkonstruktionen dekoriert. Vor allem die Puppen sehen im Dunkeln gruselig aus. Wir erreichen »Pergers Heurigen«, ein fabelhaftes Weinlokal mit dem etwas kryptischen Slogan »Ausg’­steckt is«.
Zurück im Kurpark, machen wir Feuer, hören Musik, trinken weiter, vor uns die Donau, über uns leuchtend der Große Wagen. Schöner kann eine Nacht nicht sein.

Der nächste Morgen. Leicht verkatert stechen wir in die Donau, und es ist auf einmal alles sehr anders. Wir erkennen, dass wir nur zwei Kurven von Hainburg entfernt übernachtet haben, aber das ist es nicht. Die Donau hat sich verändert. Sie ist schmaler und wilder geworden. Das Naturschutzgebiet liegt hinter uns. Der Wind bläst härter. Die Schiffe kommen plötzlich viel näher. Auf einem Frachter steht ein riesiger Kran. Unser Boot schwankt. Und weil die Wellen und der Wind so stark sind, ist es viel komplizierter geworden, die Paddel überhaupt ins Wasser zu bekommen. Ein weißes Passagierboot kommt auf uns zu. Es zieht rauschendes Schraubenwasser hinter sich her. Will es rechts oder links an uns vorbei? Es kommt zum ersten Mal so etwas wie Angst auf. Wir entscheiden uns, rechts Richtung Ufer zu paddeln, kommen aber mal wieder nur schwer voran. Erleichterung: Das Schiff biegt ab, wir sind nicht mehr in Gefahr. Wenn das Schiff anders abgebogen wäre, weiß ich nicht, was wir gemacht hätten. Wir sind zu unbeweglich.

Dieser ganze zweite Tag ist anstrengend, wir verlieren immer wieder die Kontrolle über un­ser Boot, haben aber Glück. Und dann passiert etwas Spektakuläres: In der Ferne taucht eine Burg auf. Und Plattenbauten. Bratis­lava! Viel früher, als wir gedacht haben. Es ist atemberaubend. Wir haben es fast geschafft. Aber wo in Bratislava sollen wir eigentlich anlegen? Und wie bremsen wir? Vor uns liegt ein riesiger Stadthafen, und wir sind immer noch echt schnell unterwegs. Unser Nachtlager hatten wir durch die Autoscooter-Methode erreicht: Wir sind einfach ins Ufer hineingekracht. Das wird diesmal nicht funktionieren. Je näher wir in die Stadt vorrücken, desto bedrohlicher kommt uns die Situation vor. Links: ein Glaskastenhotel. Und Menschen, die flanieren und Eis essen. Jetzt wird es auch noch peinlich. Wir müssen die Donau queren, um auf die Hafenseite zu kommen. Sehr langsam bewegen wir uns in Richtung andere Uferseite. Queren kann man das nicht nennen, wir drehen uns in den Hafen hinein. Immer wieder 360 Grad um die eigene Achse. Wir steuern auf ein Kreuzfahrtschiff zu. Versuchen mit letzter Kraft gegenzusteuern, scheitern. Rammen das Schiff. Prallen ab. Die Passagiere, die aus den Fenstern gucken, lachen. Der Fotograf, der uns von einer Brücke aus fotografiert, wird später sagen, dass wir panisch wirkten. Es darf jetzt bloß keines dieser Riesenschiffe seinen Motor anschmeißen, dann wären wir ernsthaft verloren. Wir kommen dem Ufer näher, drehen uns noch einmal, und dann docken wir endlich an. Anni und Alex sind schon da. Natürlich.

Es muss ein merkwürdiger Anblick sein im Hafen von Bratislava. Gegen 16 Uhr 30 sieht man vier junge Menschen, die Plastikschlauchboote an Land tragen. Sie sehen erschöpft aus – und sehr glücklich. Sie umarmen sich. Dann schleppen sie ihre Boote und Paddel in Richtung Stadt. Ganz so, als würde ein neues Abenteuer schon hinter der nächsten Ecke warten.

Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom Juli 2013 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.

Fotos: Matthias Haslauer

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