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Freizeit Oktobertest

Freizeit: Oktobertest
Es hilft ja, wie man so richtig sagt, alles nix, es ist eben wieder Ende September, und deswegen Oktoberfest (ja, was soll das, warum nicht September- oder Herbstfest und so weiter, ist halt so). Der Autor dieser Zeilen (Alard) ist mit dem Münchner Volksfest nie sonderlich warm geworden, und das, obwohl er, ach, was soll’s: obwohl ich also München selbst nach meinem Umzug dorthin sofort wundervoll fand.

Fotos: Simon Koy

Und ich bin auch sofort bereit zu glauben, dass ich das Oktoberfest bei meinen drei, vier Besuchen einfach noch nicht so richtig verstanden habe. Aber das Beste, was ich erlebt habe, war der Fight zwischen einem sehr großen, starken und dicken Bayern gegen vier bis fünf Polizisten, die er von sich abschüttelte wie ein Bär die Hundemeute. Das hat mir großen Eindruck gemacht und es hat mich noch mehr für die Bayern eingenommen. Das Blödeste, das habe ich aber mir selbst sowie einer Freundin zu verdanken (Du weißt, wer Du bist, Marie): einmal tatsächlich fünf Stunden lang Anstehen vor dem Schützenzelt, um dann doch nicht reinzukommen. Das sind so die prägendsten Erlebnisse. Ich muss also nicht wieder hin. Ich lehne es nicht ab, ich fand’s nur das ganze Bohei nicht wert. Unten beschreiben dafür ein paar Kollegen, warum sie das Oktoberfest so gerne haben. Es gibt keinen, der so einen richtigen Anti-Oktoberfest-Text schreiben konnte oder wollte. Ist ja auch langweilig:

Die Musik ist »schlecht«. Geschenkt.
Die sind alle so eklig besoffen. Nein, wirklich? Krass.

Lest unten dagegen mal, wie verliebt Amelie in dieses Fest ist, und wie schön und klug sie das begründen kann. Man kann das Oktoberfest anscheinend entweder nicht mögen. Oder es lieben. Das sind so die merkwürdigen Pole. Oder ist das Quatsch? Kann man es auch bloß mögen? Oder hassen? Erzählt uns unten doch mal Eure Anekdoten. Oder Euer Verhältnis zu den Wiesn. Prost.

Freizeit: Oktobertest

Amélie Schneider
Wiesn ist: mit den schönsten Menschen der Welt (deinen Freunden, einem potentiellen Partner und einem Bündel Touristen) im schönsten Outfit der Welt (Melange aus Kleid, Stiefeletten, Unterrock, Schürze, Puffärmeln, Samt, Blumen, Hut, Tüll, Rouge) auf einer Bierbank zu stehen und Robbie Williams »Angels« zu brüllen. Ich weiß nicht, ob das für alle so schön ist? Es ist auf jeden Fall für mich der Höhepunkt eines in 204 Jahren ausgeklüngelten Eventveranstaltungskonzepts, vor dem ich höchsten Respekt habe und das zu meinem Jahr und in diese Jahreszeit gehört, seit ich 2009 das erste Mal mit den NEON-Kollegen dort war.

Man muss diesen Wahnsinn schon aus einem sehr romantischen Blickwinkel sehen, um ihn zu genießen. Aber ist es nicht eine tolle Vorstellung, dass es eine Choreographie für einen Rausch der Glückseligkeit gibt, den die Menschen schon vor hundert Jahren mit den gleichen Zutaten erlebt haben?

»München hat mich beinahe umgebracht« schreibt Thomas Wolfe, ein junger amerikanischer Schriftsteller, der 1927 das Oktoberfest besucht. Diese Fallhöhe, dass es die Nacht deines Lebens werden könnte, oder auch eine der grässlichsten, birgt die Wiesn jedes Mal – und versetzt einen schon auf dem Weg dorthin in solche Aufregung wie an Silvester, wenn man am frühen Abend die ersten Böller knallen hört und nicht weiß, ob man um zwölf besonders glücklich oder besonders sentimental sein wird. Jeder, der Erfahrung in Wiesnbesuchen hat, weiß, dass es viele Faktoren gibt, die dazu beitragen – aber es bleiben immer welche, die unbeeinflussbar sind. Was für ein Glück, wenn sich dann alles fügt! Dass man ins Zelt gekommen ist! Dass man seine Freunde wieder gefunden hat! Dass man sein Portemonnaie nicht verloren, das pralle Glück des Seins in fremden Gesichtern gesehen und die Zusammengehörigkeit von 6000 singenden Menschen gespürt hat!

Dieses nicht wissen, wohin die Nacht führt, was ein guter Ausgehabend verspricht, birgt die Wiesn jeden Tag über 16 Tage lang – was für ein Versprechen!

Man fühlt sich den Menschen sehr nah – man verzeiht dem Menschen auch, dass er so tierisch ist und widerlich und so niedrig menschlich in seinen Bedürfnissen, Essen, Trinken, Nähe. Sich dort einzureihen, in Tracht, also sich einander anzupassen und den niederen Bedürfnissen gemeinsam zu huldigen, erfordert Mut, zeigt aber Größe, finde ich, und hat auch etwas sehr Rührendes. Man betritt das Zelt und ist plötzlich Teil dieser Gruppe – die eigentlich kein Ziel hat, außer eingepfercht rum zu sitzen, bald auf den Bänken zu stehen und sich um fünf vor elf, wenn das letzte Lied anklingt, zu umarmen und gemeinsam »Angels« von Robbie Williams zu… brüllen. Sich einer Etikette zu beugen, nur um gemeinsam aus ihr auszubrechen.

»Hock Di hera, samma mera.« Man hockt einfach zusammen. Mit Musik und mit Menschen, die man mag. Damit das Ganze einen Rahmen hat, gibt es Bier. Dazu Licht wie in einer Legehennenbatterie und unterm Dach hängt der Hopfen. Es ist Irrsinn:

»Die Welt war ein einziger, gewaltiger Schlund – es gab keinen erhabeneren Himmel als eben dieses Paradies von Stopf und Pfropf. Alle Seelenqual war hier vergessen. Was wussten die Leute von Büchern? Was wussten sie von Bildern? Was wussten sie vom millionenfachen Aufruhr des Herzens, von den Kämpfen und Quälereien des Geistes, den Hoffnungen, Ängsten, Gehässigkeiten, Fehlschlägen und Ambitionen, der ganzen fieberhaften Sphäre des modernen Lebens? Diese Leute lebten für nichts anderes als für Essen und Trinken – und recht hatten sie.« (Thomas Wolfe »Oktoberfest«, 1928, Manesse Verlag)

Letztens machte mir meine Pilates-Lehrerin Mut, eine Übung einfach zu probieren, mein Körper würde sicher die »Pilates-Kraft« entwickeln und die Übung einfach schaffen. Mit der Wiesn verhält es sich ähnlich. Es entwickelt sich ein Zauber – wenn man auf ihn vertraut. Dazu braucht es nicht mehr als ein, zwei Maß, ein Bündel guter Freunde und ein paar zugelaufener, lustiger Fremder. Es riecht nach gebrannten Mandeln und die grellbunten Lichter der Fahrgeschäfte überblenden die dunstige Farbe der sich schiebenden Massen. Der Wahnsinn liegt in der Luft. Zeit, dass sich alle bei der Hand nehmen und zum Autoscooter rüber gehen.

Freizeit: Oktobertest

Martina Kix
Der letzte Abend der Wiesn, das war mein erster Abend in München. Im Oktober 2012 bin ich zusammen mit einem meiner besten Freunde, Mustafah, in einem bis zur Decke bepackten Sprinter von Berlin nach München gefahren. Wir waren bestimmt über zehn Stunden unterwegs und kamen irgendwann um 21 Uhr abends sehr müde an. So stellten wir den Sprinter mit meinen Umzugskisten einfach in einer Seitenstraße in der Nähe meiner neuen Wohnung ab und gingen Pizza essen. Dann rief ein Münchner Kumpel an und sagte: »Wir gehen für eine letzte Mass auf die Wiesn!« Wir gingen natürlich mit. Als wir im Hofbräufestzelt ankamen, bestellten wir eine Mass, und dann hörten wir auch schon die ersten Takte von Robbie Williams »Angels«. Die Bedienungen tanzten mit Wunderkerzen auf den Tischen, lagen sich in den Armen und die Krüge klockerten zum letzten Prosit zusammen. Ein wunderschöner Moment. Der letzte Abend auf der Wiesn ein Jahr später, das war der letzte Abend vor meinem ersten Tag bei NEON. Mit dem Ausklang der Wiesn hat sich mein Leben immer geändert. Mal schauen, was 2014 passiert.

Freizeit: Oktobertest

Onur Yildirancan
Eines schönen Tages im September: Da saßen wir also mit der NEON-Redaktion unterm Festzelt und kippten eine Mass nach der anderen. Unnötig zu erwähnen, dass wir alle ordentlich einen im Tee hatten. Ach, was beschönige ich das Ganze: wir waren hackedicht! Der Tag war aber erst zur Hälfte vorüber, und abends zog eine erlesene Gefolgschaft von heiteren Frauen und Männern in einen kleinen Münchner Club. Da standen wir nun »on the Dancefloor« und schwangen das Tanzbein, als plötzlich ein Dirndl-Mädel die Massen teilte und zielgerichtet auf mich zukam – um mich von oben bis unten abzuknutschen.

Freilich war ich sehr erfreut. Doch spürte ich plötzlich die Pranke eines Bären auf meiner Schulter, die mich mit unbändiger Kraft aus diesem Glücksmoment riss. Das Glück wich der Angst – ist das etwa der falsche Freund in Lederhosen?

Kurzum: Es war nicht der hühnenhafte Boyfriend, den ich erwartet hatte, sondern Kollege Zwergnase, der mir sein neues Mischgetränk aus Rum, Cola und Schweiß präsentieren wollte. Nachdem ich mich von diesem sinnlosen Intermezzo loseisen konnte, war die Dame meines Herzens natürlich schon verschwunden. Und mit ihr meine Zuversicht auf ein Happy-End.

Freizeit: Oktobertest

Manuel Kostrzynski
22. September 2006. Ein Freund und ich hatten die Wahl zwischen Hot Chip im Atomic Café oder ein paar Mass auf der Wiesn. Keine leichte Entscheidung, aber am Ende machten wir uns auf den Weg zur Theresienwiese.
Die beste Entscheidung meines Lebens.
Denn wenn ich heute Feierabend mache, fahre ich heim zu meiner Frau und meinen wundervollen Kindern, die es ohne diesen Abend nie gegeben hätte.