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Wissen Der verflixte erste Tag

Wissen: Der verflixte erste Tag
Britta ist gut. Weil sie das leider weiß, ist sie im neuen Job unsensibel und nimmt ein Fettnäpfchenvollbad.

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Ich hatte schon im ersten Moment ein ungutes Gefühl bei Britta. Sie war einfach zu gut, hatte hervorragende Uni-Noten, genau die richtige Anzahl an Praktika in genau den richtigen Bereichen gemacht und eine schöne, laute Stimme. Britta scheute sich auch nicht, mir in die Augen zu schauen, sie starrte mich während des Gesprächs geradezu an. Nach einer Weile wurde mir das unangenehm, denn Britta sprach sehr, sehr lange. Ich bat sie, ihren Lebenslauf in zwei Minuten zu skizzieren. Britta sprach fünfzehn Minuten. Als Personalchefin kennt man diesen Zwiespalt: Man braucht Lautsprecher und Heißdüsen, die frischen Wind ins Team bringen. Und man muss darauf achten, dass man nicht zu viele soziale Autisten im Haus hat. Ich beschloss, das Risiko einzugehen. Britta bekam den Job.

In fünfzehn Jahren als Personalerin und Businesscoach habe ich jede Menge Berufseinsteiger begleitet. Ich bin ­beeindruckt von dieser Generation; ich finde, sie sind ehrgeizig, fantastisch ausgebildet, sprechen besser Englisch oder Chinesisch als ich Deutsch. Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass sie ein bisschen zu viel in Karriere-­­Ratgebern wie »Der Ich-Faktor« oder »Die stärkste ­Marke sind Sie selbst!« lesen. Was diesen High Po­tentials oft fehlt, sind altmodische Tugenden wie zum Beispiel Bescheidenheit, Demut und Fingerspitzengefühl. Am ersten Tag sollte man nicht im fünften Gang unterwegs sein, lieber erst mal gucken, welche Verkehrsregeln im Betrieb gelten. Wie wird hier genau gearbeitet? Wer kann mit wem und warum? Wo finde ich meinen Platz in der bestehenden Hackordnung?

Britta sah das offensichtlich anders. Als ein Kollege ihr am ersten Tag unsere Software erklärte, unterbrach ihn ­Britta permanent, um ihn von der grundsätzlichen Überlegenheit der Marke Apple zu überzeugen. Die Umstellungskosten würden sich in jedem Fall lohnen, sie hätte darüber mal eine Seminararbeit geschrieben. In der Konferenz schnipste Britta mit den Fingern, fragte, warum es in der Kantine keinen Fair-Trade-Kaffee gebe. Ob wir das ­Thema Corporate Social Responsibility nicht ernst nehmen würden?

Und am Valentinstag fragte sie: »Na, was habt ihr denn ­geschenkt bekommen?«, und zeigte stolz den Klunker an ihrem Ringfinger. Obwohl sie hätte wissen müssen, dass sich zwei Kolleginnen gerade krachend von ihren Partnern getrennt hatten. In dem Bestreben, möglichst perfekt und korrekt zu erscheinen, hat sie viele Leute verärgert und verletzt. So ein Fettnäpfchenvollbad ist eine Katastrophe. Ich glaube: Hätte Britta versehentlich das Büro abgefackelt, hätten ihr das die Kollegen weit weniger übel genommen.

Vier Wochen später saß Britta dann heulend bei mir im Büro. Bei einer Präsentation für einen Kunden hatten sie die Kollegen, die eigentlich kleinere Infoblöcke zuliefern sollten, komplett hängen lassen. Ich fragte sie, ob sie sich erklären könne, woran das lag. Da kam nicht viel. Selbstreflexion? Fehlanzeige. So richtig fand Britta dann nicht mehr ins Team. Es ist wirklich schwierig, den ersten schlechten Eindruck zu korrigieren. Und manchmal besteht man zwar die Probezeit, fällt aber bei den Kollegen durch. Nach einem guten Jahr kündigte Britta. Bei ihrem Ausstand aß ich ein Stück vom Kuchen und hätte den Bissen fast gleich wieder ausgespuckt. Wie scheußlich! Ich bekam einen Hustenanfall, und als Britta dann ein wenig verlegen lächelnd zu mir herübersah, nickte ich ihr fest zu. Ich hielt den verbrannten Kuchen für ein gutes Zeichen. Zum ­ersten Mal hatte Britta nicht glänzen wollen.

Dieser Text ist in der Ausgabe 10/14 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.