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Wissen Der Ruf der Schweinswale

Wissen: Der Ruf der Schweinswale
Keine Form der politischen Beteiligung ist in der Generation der heute Um-die-Dreißig-Jährigen so beliebt, wie die Online-Petition. Seitdem politischer Aktivismus auch im Internet stattfindet, streiten sich Soziologen, Aktivisten und Politiker: Sind digitale Kampagnen die Zukunft der Demokratie, oder machen sie uns zu Slacktivisten – Schlaffi-Aktivisten, die nichts weiter für die Gesellschaft tun, als Links anzuklicken und auf Facebook zu posten?

Text: Lena Steeg | Interview: Meredith Haaf

Für die aktuelle Ausgabe von NEON hat sich Autorin Meredith Haaf gefragt, warum das so ist, und Menschen getroffen, deren Job es ist, uns online zu aktivieren. Und sie hat mit Politikwissenschaftler Gary S. Schaal gesprochen, der mit seiner Mitarbeiterin Claudia Ritzi in einer großen Studie für die Helmut-Schmidt-Universität Hamburg untersucht, wie sich politisches Engagement junger Menschen online und offline unterscheidet.

Wissen: Der Ruf der Schweinswale

Professor Schaal, Vertreter von Campaign-Plattformen sagen, der digitale Wandel mache es so einfach wie noch nie, die Welt zu verändern. Kritiker sagen, das Internet verstärkt den Slacktivismus-Effekt. Wie schätzen Sie das ein?
Gary S. Schaal: Wir haben in unserer Studie unterschieden zwischen dem Wunsch, wirklich etwas zu verändern, und dem Wunsch, ein Zeichen zu setzen. Wir haben dabei gemerkt, dass junge Menschen sehr gut unterscheiden, ob das, was sie tun echte Konsequenzen hat – oder eher als symbolisches Statement geeignet ist.

Was bedeutet das?
Bei Menschen unter Dreißig gibt es eine ganz klare Idee davon, welche Partizipationsformen auch wirksam sind. Wer zum Beispiel einen politischen Kommentar auf Facebook postet, denkt nicht, dass er damit etwas bewegt. Er gibt ein Statement ab, das höchstens im erweiterten Freundeskreis ankommt.

Und wer etwas bewegen will?
Der geht auf die Straße, engagiert sich in einer Partei, sammelt Unterschriften. Bei Petitionen ist es zum Beispiel so, dass eine hohe Erwartung besteht, dass die Politik darauf eingehen soll – egal ob es sich um eine Off- oder Online-Petition handelt. Allerdings wird diese Erwartung letztendlich oft enttäuscht und insofern würde ich sagen, dass es eher schwieriger geworden ist, etwas zu verändern.

Warum denken Sie das?
Ich habe über meine Arbeit immer wieder direkt mit Politikern zu tun. Und denen ist oft einfach nicht klar, wie sie mit dieser neuen Öffentlichkeit umgehen sollen. Da kommen Forderungen, Kritik und Meinungen über so viele Kanäle an, und das übt natürlich Druck aus. Theoretisch wird das auch als Chance gesehen – aber konkret damit umgehen kann ein großer Teil der Politik letztlich nicht. Der Fall Guttenberg zeigt das ganz schön.

Online hatte Guttenberg doch vor allem Gegner, die ihm sein Plagiat nachgewiesen haben.
Ja, aber er hatte auch eine sehr große Gruppe sehr lautstarker Unterstützer, die sich zum Beispiel auf Facebook organisiert haben. Genutzt hat ihm das aber gar nichts, er konnte die auch nicht für sich einsetzen.

Welche Folgen hat diese Entwicklung?
Die Folge ist, dass sich Politiker irgendwie in dieser anderen Form der Öffentlichkeit orientieren müssen und sich paradoxerweise stärker als je zuvor an den klassischen Medien orientieren. Die großen Tageszeitungen haben zur Zeit also zwar sinkende Auflagen, aber dafür mehr Einfluss.

Das heißt: Wir haben zwar mehr Möglichkeiten denn je, unsere Meinung zu sagen, aber die wird gar nicht gehört?
Das Problem ist, dass es sehr abhängig ist von sozioökonomischen Status, ob Sie gehört werden, oder nicht. Der digitale Wandel trägt unseren Erkenntnissen nicht dazu bei, dass eine breitere Masse an Einfluss gewinnt, im Gegenteil: Die gut gebildeten, reicheren sind viel aktiver. Das ist online wie offline der Fall. Die Tatsache, dass es einfacher geworden ist, aktiv zu werden hat nicht zur Folge gehabt, dass neue Gruppen aktiv werden. Es hat nur zur Folge, dass die ohnehin lauten Gruppen eben noch lauter werden.

Wie kann man das ändern?
Eine Frage, die sich Politikwissenschaftler stellen ist: Erzeugt das Angebot stärkeres Engagement, oder die Nachfrage. Also: Beteiligen sich die Menschen umso mehr, wenn sie ein größeres Instrumentarium zur Verfügung haben, oder hängt es von dem Handlungsdruck ab, den sie empfinden? Was wir auf jeden Fall wissen, ist, dass die Möglichkeiten alleine nicht die entsprechende Nachfrage erzeugen. Der Glaube, selbst etwas bewirken zu können, hängt einfach sehr stark vom gesellschaftlichen Status ab. Und das ist in einer Gesellschaft, die zunehmend auseinander driftet, schon ein Problem für die Demokratie.

Wie sieht die Zukunft der politischen Partizipation aus?
Ich glaube, sie liegt vor allem auf der lokalen Ebene. Es ist kein Zufall, dass gerade viele Bürgermeister versuchen, die Leute wieder in die Prozesse einzubinden, denn nirgends zeigen sich die negativen Folgen der Nicht-Partizipation so drastisch wie im kommunalen Leben. Wenn sich niemand mehr zuständig fühlt, dann verwahrlosen die Stadtteile.

Und in der großen Politik?
Ich fürchte, wir leben in einer Zeit in der wir vergessen haben, dass wir steuerungsmächtig sind. Die Politik selbst verkauft sich nicht mehr als gestaltende Größe, sondern alles scheint immer nur Sachzwang und alternativlos zu sein. Deshalb ziehen sich so viele Bürger hinter Online-Postings zurück, anstatt in die Prozesse aktiv einzugreifen. Die Öffentlichkeit hat sich schneller verändert, als die politischen Prozesse: Politik braucht Reflektionsschleifen, es hat seine guten Gründe, warum es Monate dauern kann, bis ein Gesetz verabschiedet wird. Das passt natürlich nicht zu dem Reaktionstempo, dass die Öffentlichkeit mittlerweile gewöhnt ist. Das miteinander zu versöhnen, ist eine Riesenherausforderung. Ich denke es ist höchste Zeit, dass wir anfangen, neue Formen der politischen Willensbildung zu probieren.