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Wissen Einstellungssache: Das Sandwichschicksal

Wissen: Einstellungssache: Das Sandwichschicksal
Unsere Kolumnistin muss ihre beste Mitarbeiterin Isabel feuern. Und gewinnt eine Freundin fürs Leben.

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Ich hatte nicht geschlafen und zum Frühstück keinen Bissen heruntergekriegt. Mir war unfassbar übel, was vermutlich an den fünf Espresso-Shots auf leeren Magen lag – und an meiner Panikattacke. Ich fühlte mich gleichzeitig wie ein totaler Schwächling und wie der supergrausame Superschurke aus einem Hollywoodfilm. Dann sprach ich die beiden Sätze, die ich in den Tagen zuvor unzählige Male­ geprobt hatte, aber doch aus, mit regungslosem Gesicht und gepresster Stimme: »Isabel, wir werden uns von dir trennen. Wir müssen eine faire Lösung finden.«

Ich arbeitete damals als Personalmanagerin bei einem großen Versandhändler. Dem Unternehmen ging es gut, aber das heißt ja nicht, dass man nicht noch ein bisschen mehr Gewinn machen könnte. Also rief man Unternehmensberater ins Haus – und die hatten eine richtig originelle Idee: Jede Abteilung muss zwanzig Prozent sparen. Ich war ratlos. Eine Personalabteilung braucht keine teuren Maschinen, deren Anschaffung man aufs nächste Jahr verschieben könnte. Eine Personalabteilung spart am Personal. Ich musste also zwei meiner acht Mitarbeiter entlassen.

Ich klinge wahrscheinlich total selbstmitleidig, aber der Downsizing-Prozess war auch für mich eine schreckliche Zeit. Zwar behielt ich meine Stelle, musste aber verarbeiten, dass ich plötzlich die »Unhuman Resources«-Abteilung leitete. Bis dahin hatte ich mir nur Gedanken über interne Fortbildungen gemacht und darüber, wie ich es schaffe, dass jedes Teammitglied auch Spaß im Büro hat.

Aber der Spaß war jetzt vorbei. Auch für mich. Denn ich steckte in einer unangenehmen Sandwichposition: Während die Mitarbeiter »unter mir« von mir erwarteten, dass ich für sie kämpfe und Optimismus ausstrahle, empfing ich selbst Befehle »von oben«. Ich musste die Sparvorgaben also umsetzen und war gleichzeitig genauso verunsichert wie meine Kollegen: War es das oder wird bald weitergekürzt? Was soll der Scheiß überhaupt? Was passiert mit den Leuten, denen ich kündigen muss? Bringen die sich um? Mehrmals war ich kurz davor, selbst eine Kündigung loszuschicken.

Das habe ich aber dann doch nicht gemacht. Weil ich meiner Karriere nicht schaden wollte. Und weil ich ungern vor Problemen weglaufe. Ich führte lange Einzelgespräche mit allen Mitarbeitern. Ich bot ihnen Abfindungen an, wenn sie die Firma freiwillig verließen. Niemand nahm das Angebot an. Weil das Arbeitsrecht vorschreibt, dass betriebsbedingte Kündigungen nach sozialen Kriterien durchgeführt werden müssen, darf man nicht einfach die am wenigsten produktiven Mitarbeiter rauswerfen. Stattdessen trifft es oft Angestellte, die seit Kurzem dabei sind und keine Familie haben. Zum Beispiel meine beste Mitarbeiterin.

Isabel reagierte schockiert auf die Kündigung – realisierte aber nach langen Gesprächen, dass ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht hatte. Diese Zeit hat meine Einstellung zu meinem Beruf verändert. Bis dahin dachte ich, dass man immer noch ein bisschen an der Leistungsschraube drehen kann. Seit dem »Fall Isabel« weiß ich, dass man sich nicht zu stark mit dem Job identifizieren und sich nicht fertigmachen sollte. Das ist für eine Personalerin eine recht ungewöhnliche Einstellung. Und es ist wichtig.

Ein Gutes hatte die Episode aber doch: Nach Isabels Abschied begannen wir, uns regelmäßig in unserer Freizeit zu treffen. Sie fand schnell einen neuen Job. Das Auto, das sie sich von der Abfindung kaufte, die ich damals für sie heraushandelte, fährt sie immer noch. Sie hat einen Sohn. Ich bin seine Patentante.

Dieser Text ist in der Ausgabe 01/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.