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Freizeit Papierliebe

Freizeit: Bücher sind sexy, weil sie Gewicht haben
Bücher sind sexy, weil sie Gewicht haben
Ausgerechnet im E-Book-Zeitalter wird das Buch zum neuen Statussymbol – auch in den neuen Romanen des Herbsts.

Text: Verena Lugert | Foto: Baker & Evans

Wer in dem angesagten Londoner Restaurant Story eine Reservierung ergattern will, soll ein Buch für die Bibliothek im Speisesaal stiften. »Ich lasse ›Fifty Shades of Grey‹ da, weil ich es eh nicht lese«, schrieb eine Restaurantkritikerin und stellte den Roman in das Regal, in dem die Bücher nach Farben sortiert sind. In der britischen Hauptstadt gibt es auch das Fitnessstudio The Library, das mit Clubsofas, Bücherregalen und Trainingsplänen im Lesezeichenlook eher aussieht wie ein literarischer Salon. Die Macher wollen »Körper und Geist« gleichermaßen stimulieren.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der dank E-Books das Blättern und Rascheln zunehmend durch Klicken und Swipen ersetzt wird, sind Bücher plötzlich sehr angesagt – ja, Bücher, diese Dinger mit Deckel und Papierseiten, Eselsohren und Einstaubgarantie. Auch die literarische Welt beschäftigt sich diesen Herbst auffällig oft mit dem eigenen Medium. In vielen­ neuen Romanen geht es um Bücher, die Kulturtechnik des Lesens und die verwaisten Räume der Buch­läden und Bibliotheken.

In »Aufstieg und Fall großer Mächte« erzählt Tom Rachman von einem Antiquariat und dem wohligen Einigeln in der Vergangenheit. »Fogg ging die drei knarrenden Stufen hinab, auf einem Eichentisch lagen Fotobände, während die Wände Regale mit Lyrik säumten …«, heißt es da, und: »Fogg fuhr fort, Bücher ins Regal zu stellen, blätterte aber vorher die ­Seiten auf, um ihr Aroma nach altem Papier freizusetzen, das er tief einatmete, ehe er die einzelnen Bände in die freien Lücken schob.« In Christopher Morleys Kultroman »Das Haus der vergessenen Bücher«, der gerade erstmals ins Deutsche übersetzt wurde, erwacht eine New Yorker Buchhandlung nachts zum Leben. Bücher bestehen hier nicht nur aus Zellstoff und Druckerschwärze, sondern sind Artefakte aus einer anderen, feinstofflicheren Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat.

Dabei ist das wirklich magische Objekt nicht der bedruckte Zellstoffblock, sondern ein internetfähiger Tablet-Computer. Doch je flüch­tiger und allgegenwärtiger die Inhalte im Netz werden, je maßloser sich das Wissen der Welt aufbläht, desto beherrschbarer und attraktiver erscheint uns die schwere Schwarte. Das Buch bedient die Sehnsucht nach der guten alten Zeit und passt zum Trend zur Einfachheit: Echtes will man haben, in der ­Ästhetik des ­Manufactum-Katalogs, Bio-Rinderbraten im Rohr, Feuer im Kamin, gut abgehangene ­Papierschinken. Die analoge Gemütlichkeit kommt mit Distinktionsgewinn inklusive: Die ­Unterschicht blendet sich mit Unterhaltungselektronik, man selbst liest Bücher.
Deshalb wird in den neuen Romanen ausgerechnet der kleine Buchladen, den es in den realen Innenstädten kaum mehr gibt, zum angesagten Setting für alle Genres: In Katarina Bivalds neuem Roman »Ein Buchladen zum ­Verlieben«­ wird’s gar romantisch, in »Das Flüs­tern der Stadt« von Rosa Ribas und ­Sabine Hofmann spielt eine Bibliothek eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit einem Mordfall. Ein Krimi mit »bibliophilen Elementen«, wirbt der Verlag – auch als E-Book erhältlich.

Der Verlag Hoffmann und Campe lässt 2014 Winston Churchills »Zum Zeitvertreib« neu übersetzen, eine Essaysammlung über Bücher und Bibliotheken, in der Churchill unter an­derem liebevoll die Haptik des Mediums beschreibt: »Wenn Sie schon nicht alle Bücher lesen können, dann nehmen Sie sie wenigstens zur Hand, als wollten Sie sie liebkosen.« Dahinter steckt die Hoffnung, dass man ihre Ideen und Geschichten durch bloße Berührung in sich aufnehmen könnte. »Ein gutes Büchel ist der Seel ein Küchel, wormit sie sich ernähret«, hat schon der Barockprediger Abraham a ­Sancta Clara gesagt. Und digitale Küchel, die nur aus Nullen und Einsen bestehen, machen halt nicht richtig satt. Der Mensch sehnt sich nach Materie, weil er selbst aus ihr besteht. Am Ende aber siegt immer die Pragmatik, und die Bücher werden aus dem Alltag verschwinden, wie vor ihnen schon die Vinylplatte und die ­sexy Klack-klack-Schreibmaschine. Drum schnell los und ein paar schwere, unpraktische Bücher geholt. Bevor man dafür ins Designmuseum oder den düsteren Fetisch-Shop muss.

Dieser Text ist in der Ausgabe 11/14 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.