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Freizeit »Drink doch eine met«

Freizeit: »Drink doch eine met«
Gerade schwärmen ja alle über Wanda, diese Wiener Band. Weil sie so ganz anders ist als alles, was man sonst auf Deutsch zu hören bekommt – echte Gefühle, echte Leidenschaft, Schlager ohne Helene Fischer, schlauer Deutschpop ohne nerviges Besserwissertum. Warum bloß, rufen die hippen Pop-Menschen, gibt es solche Bands nicht auch in Deutschland?

Dabei gibt es sie doch, wir verstecken sie hier nur im Kölner Karneval.

Im Kölner Karneval verstecken sich echte Gefühle, echte Leidenschaft und Schlager ohne Helene Fischer.

Aber vermutlich rufen die gleichen hippen Pop-Menschen heute, am Rosenmontag: Ih, bäh, Karneval, widerlich. Es ist ein verbreitetes Vorurteil, sich Karneval (ausschließlich) so vorzustellen wie Ballermann plus Kostüme, mit ganz viel DJ Ötzi und eben der unvermeidlichen Helene Fischer. »Freude und Trauer sind gleichermaßen Lebenszeichen; und selbst beim Schunkeln hakt der Sensenmann immer schon ein«, schrieb der Literaturkritiker Richard Kämmerlings vor kurzem – und erklärte die Kölner Karnevalsmusik endlich einmal in ihrer ganzen wunderbaren Komplexität. Dem kann ich mich, aus dem Hamburger Exil, an diesem Rosenmontag nur anschließen, an dem ich solche Sehnsucht nach Köln habe. Denn Sehnsucht, nicht Fun ist der Kern von Karneval. Eine Stadt muss ja wunderbar sein, die noch im kollektiven Exzess zu Liedern feiert, in denen es oft darum geht, was man verloren hat, was vergangen ist, und wie sehr man sich es zurückwünscht.

Das zieht sich durch die ganze Geschichte der Kölner Karnevalsmusik, die ja viel reichhaltiger ist, als man zuerst denkt. Es gibt die alten traditionellen Lieder wie Jupp Schmitz’ »Wir kommen alle in den Himmel«, die bekannten Klassiker wie »Drink doch eine met« und jede Menge neue Bands, die diese seltsame Stimmung genauso gut rüberbringen, wie Kasalla mit ihren diesjährigen Song »Alle jläser huh« – »op all die Bilder die lang verbliche sin / un die Chance die at verstriche sin!«

Die vergleichsweise jüngere Band Brings hatte vor vielen Jahren ihren größten Hit mit »Superjeile Zick«. Man mag das hinter diesem Titel nicht vermuten, aber in diesem Lied geht es eigentlich um etwas sehr Trauriges – dass die supergeile Zeit längst vorbei ist: »Nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick, mit Träne in d’r Auge loor ich manchmol zurück«. Brings haben mehrere solche Karnevalshits geschaffen, die von so einer Sehnsuchtswucht sind, dass mir jedes Jahr das Herz in die Hose rutscht, wenn ich sie aus der Ferne an den Karnevalstagen höre. Ihre Version von Willy Schneiders »Man müsste noch mal 20 sein« (ja, oh gott, das müsste man tatsächlich), ihr Cover vom Zarah-Leander-Lied »Nur nicht aus Liebe weinen«: »Und darum will ich heut‘ dir gehören / du sollst mir Treue und Liebe schwören / Wenn ich auch fühle es muss ja Lüge sein / Ich lüge auch, und bin dein.« Dazu ließ sich im Blue Shell am Barbarossaplatz so wunderbar knutschen.

Man merkt das im norddeutschen Exil vielleicht noch mehr als am Barbarossaplatz, wenn man die Lieder hört – wie sehnsüchtig sie sind, wie sie alle ihr Herz verloren haben, an jemanden oder einfach so, weil sich Sachen wie Herzen nun einmal verlieren. Aber man versteht dann auch, warum zu diesen Liedern nicht geweint, sondern getrunken, gesungen und getanzt wird – weil dann, für ein paar Tage, so ungefähr von Weiberfastnacht bis zur Nubbelverbrennung, alles kurz zurückkommt: die Herzen kommen zurück, die supergeilen Zeiten kommen zurück, sogar die Lüge kommt zurück, dass ich dein bin und du mein. Das müssen Helene Fischer und Wanda erst einmal nachmachen.

Diese Musik bringt das alles kurz zurück: die supergeile Zeiten, die Lüge und die Herzen.

Foto: picture-alliance / dpa

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