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Freizeit »Kindermärchen sind großer Pop«

Freizeit: »Kindermärchen sind großer Pop«
Die österreichische Band Bilderbuch macht deutschsprachige Popmusik, die sexy, klug und angenehm größenwahnsinnig ist. Sänger Maurice Ernst erklärt, was man von Kanye West lernen kann.

Interview: Lars Gaede | Foto: Daliah Spiegel

Wenn 15-jährige Strokes-Fans eine Band gründen, dann singen sie normalerweise nicht über Struwwelpeter. In eurer Zeit als Teenagerband habt ihr jedoch Märchentexte vertont. Warum bloß?
Als wir damals überlegten, wie und über was wir singen könnten, befanden wir uns genau auf der Grenze zwischen Kindheit und Erwachsensein. Englische Texte waren keine Option, das konnten wir noch nicht so gut. Und auf Deutsch über Liebe und solche Dinge zu singen, war uns nicht geheuer. Jeder hätte verstanden, was wir da von uns geben. Nur wussten wir noch gar nicht, wie das mit diesen Liebesdingen genau funktioniert. Wir wollten aber auch nicht warten, bis wir die Frauen und uns selbst endlich verstehen, und sangen deshalb einfach Märchenreime, wie die vom Struwwelpeter. Das war sicheres Terrain. Das kannten wir aus den Kinderbüchern. Wenn man so will, sind Märchen auch großer Pop: Es geht auch da um Liebe, Sehnsucht, Einsamkeit.

Kommt daher auch euer Name? Bilderbuch?
Genau. Als wir versuchten, mit unserer ­Musik irgendwie auf die Bühne zu kommen, bemerkten wir, dass unser Märchending in gewisser Weise auch ein Vorteil war: Es gab so viele Indiebands, weshalb man herausstach, wenn man ein klares Konzept verfolgte. Nach und nach haben wir uns dann vorgewagt und bald auch Prosa in eigene Songtexte verwandelt. Rumpelstilzchen kam zum Beispiel gut an. Aber mit siebzehn hat man irgendwann keine Lust mehr, über Märchen zu singen.

Auf eurem neuen Album »Schick Schock« geht es auch nicht mehr um Struwwelpeter, sondern um die seltsame Scheinwelt der Schickeria. Irgendwie auch eine Art Märchenreich.
Das stimmt. Wir wollen unseren Liedern die krasse Bildlichkeit verleihen, die auch Märchen auszeichnet. Wenn ich einen Song schreibe, dann habe ich zunächst ein bestimmtes Bild im Kopf. Das kann ein Typ im schicken Auto sein, den funkelnden Softdrink in der Hand, das Seidenhemd auf der Haut. Daraus spinnen wir dann eine Geschichte, die natürlich eine Moral hat. Wie ein Märchen.

Ihr kommt aus Kremsmünster in Österreich und habt euch in der Klosterschule kennengelernt. Da gibt es sicher nicht so viel Luxus. Trotzdem singst du: »Willst du meine Frau werden / kauf ich uns ein Haus aus Gold und Perlmutt.« Was interessiert euch an dieser Miami-Vice-Kunstwelt?
Jedes Album braucht eine Grundidee und einen eigenen ästhetischen Kosmos. Wir wollten kein Zeigefingeralbum machen, sondern ein Spiegelalbum, das unseren eigenen Lebensstil überhöht und überstilisiert. Wir sind alle konsumorientiert, triebhaft, perfektionistisch und wollen uns permanent behaupten. Wir lassen das nur nicht so heraus wie die Figuren in unseren Texten, leben das in geminderter Form und kaschiert hinter einer Fassade aus alternativem Lifestyle und Bioavantgarde. Das Album versteckt sich aber nicht, sondern lässt etwas zu, das der US-HipHop seit geraumer Zeit macht: Ja zum Bling-Bling. Wir haben unseren Spaß damit und halten uns gleichzeitig selbstkritisch den Spiegel vor.

Wobei das breitbeinige Bling-Bling-Gehabe der amerikanischen Rapper nicht unbedingt konsumkritisch gemeint ist …
Du hast schon recht. Wir sind eben doch eine Studentenband, die es interessant findet, Fragen aufzuwerfen. Vor allem aber wollten wir Grenzen einreißen. Die Indieszene, aus der wir kommen, war lange Zeit ästhetisch erstarrt und festgefahren und unglaublich langweilig. Wir wollten diese Mauern wegsprengen und uns thematisch wie stilistisch frei bewegen können. Endlich einfach den Pop machen, der uns gerade in den Sinn kommt. Ihr habt der Indiewelt sozusagen einen »Schick Schock« verpasst? Diese ganze Indietristesse hat mich irgendwann wahnsinnig angeödet, dieses Emohafte, diese permanente Introspektion und Dauer­melancholie. Und genau da kam »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« von Kanye West he­raus, und das hatte eine ganz neue, funkelnde Qualität. Da dachten wir, das ist so cool, wir befreien uns jetzt ein für alle Mal von allen 08/15-Themen und -Zwängen. Zur gleichen Zeit hörte man auch auf immer mehr Partys diesen neuen HipHop-Kram. Selbst die emanzipiertesten Frauen danceten plötzlich nachts arschwackelnd über die Tanzfläche. Wir wollten im deutschsprachigen Pop einen Weg finden, der diesen Wandel widerspiegelt: eine neue Lust an der Oberfläche.

In euren Videos sieht man euch im Lamborghini sitzen. Ihr sprüht euch mit Goldfarbe an und macht Yoga. Das ist natürlich ein Gegenentwurf zur erdig-ernsten Authentizität der anderen Indiebands. Braucht guter Pop die Pose?
Bei uns entstehen die Posen der Band schon dadurch, dass wir über das Posen nachdenken und singen. Schau dir unsere Gesellschaft an: Es geht ganz viel um den Schein und das Angeben. So einen Lamborghini kann man sich ja auch für eine Nacht leihen. Und im Alltag schwindeln sich die Leute ihren Lebenslauf zusammen, Facebook hier, Instagram da, überall Oberflächen. So ist es halt. Die Pose im Pop ist für mich bestenfalls etwas, das den Zeitgeist trifft und dabei nicht gleich verrät, was es will und bedeutet.

Eine Pose ist der Versuch, auf geplante Art und Weise cool zu wirken. Geht das überhaupt?
Es ist ein Wagnis, aber das wollten wir. Deutscher Pop ist so korrekt, trist, tot. Wenn wir etwas bewusst gemacht haben, dann den Versuch, immer das Gegenteil des Gewohnten zu unternehmen. Mit den Themen unserer Texte, aber auch damit, wie die Musik daherkommt: mit Kopfstimme, sexy, verletzlich und zugleich mit breiter Brust. So entsteht Spannung.

Wann genau ist Pop sexy? Im US-HipHop rappt Nicki Minaj quasipornografisch über Schwänze, die so lang sind wie Anakondas. Und in Deutschland presst sich Helene Fischer in ein Alufolienkostüm und schwebt über der Bühne. Beides schrecklich.
Es gibt schon einen großen Unterschied zwischen den Poptraditionen. Hier bei uns ist es oft verdruckst und spießig. Und wenn Nicki Minaj über Riesenschlangenschwänze singt, hört sich das zwar lustig an, ist aber auch nicht wirklich heiß. Sexyness bedeutet für mich, dass man Stil und Charme hat, so eine soulige Lässigkeit. Man darf nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern muss es mit einem Augenzwinkern versuchen. Das kann man von Prince lernen. Wenn er singt »Cream, get on top«, dann ist klar, was gemeint ist. Aber es so zu präsentieren wie er – mit Glamour und Entspanntheit –, ist eine große Leistung. Man muss versuchen, sexy zu sein, ohne sexistisch zu sein.

Inwiefern spiegelt sich diese Haltung in eurem Style wider? Vor ein paar Jahren saht ihr noch aus wie Indieboys, jetzt glitzert es ganz schön.
Wenn unsere Musik nach Glamour und Sex klingt, dann wollen wir uns auch entsprechend präsentieren. Es war logisch, das Bandshirt mit einem Seidenhemd zu tauschen – die ­Klamotten haben wir alle aus dem Secondhandshop oder aus dem Keller meines Opas, der in den 1980er Jahren unterwegs war. Den goldenen Porsche-Ohrenstecker besitze ich seit Kindertagen. ­Glamour muss nicht teuer sein. Vor Konzerten geht es bei uns zu wie im Mädcheninternat. Wir haben nicht genug Kostüme und tauschen permanent unsere Gewandl.

»Schick Schock«, Maschin Records, Virgin/Universal, erschien am 20. Februar.

Übrigens: Am 17.04. spielen Bilderbuch ab 20 Uhr ein Live-Konzert bei egoFM, das parallel live im Radio übertragen wird – exklusiv für 200 Gäste! Und ihr könnt dabei sein: Wir verlosen 2×2 Gästelisten-Tickets. Postet einfach unten einen Kommentar, wenn ihr gewinnen wollt, wir losen unter allen Teilnehmern aus. Teilnahmeschluss ist der 16.04., 23:59!

Dieser Text ist in der Ausgabe 03/15von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.

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