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Liebe Bettgeschichten: Kurz mal groß sein

Liebe: Bettgeschichten: Kurz mal groß sein
Unser Kolumnist trifft einen Mann, der sich viele Gedanken über Sex macht – vor allem seit er mit Erektionsproblemen zu kämpfen hat.

Text: Sascha Chaimowicz | Illustration: Stefan Bachmann

Anfangs dachte Tim, es läge an Propecia. Nur wenige Monate nachdem er be­gon­nen hatte, die Haarwuchstabletten einzunehmen, ging es auch mit den Erektionsproblemen los. Tim ist 28, hat kaum sichtbare Ge­­heim­rats­­ecken, aber so ist er eben: ein Perfektionist, der keine Schwächen zeigen will und sie deshalb schon vorsorglich bekämpft.

Doch die Tabletten können es nicht sein, begreift er. Denn beim Küssen, beim gegenseitigen Aus­zie­hen und Anfassen klappt es ja. Sobald er aber in eine Frau eindringen will, wird sein Penis schlaff. Er versucht dann, bei sich selbst mit der Hand nachzuhelfen, er bleibt dabei nah am anderen Körper, damit zwischen Sich-einen-Runterholen und Penetration keine Zeit verloren geht, nur hilft es meistens nichts. »Wenn ich halb steif in eine Frau eindringen will, endet das meistens in einem demütigenden Herumstochern, ehe ich die Sache dann gänzlich bleiben lasse.«

Tim arbeitet in der Presseabteilung einer großen Partei. Ein wichtiger Teil seines Jobs ist es, gesellschaftliche Entwicklungen zu analysieren, und auch sein Blick auf sich selbst ist erstaunlich klar: »Die Schwierigkeiten beim Sex kommen von dem Druck, den ich mir selbst mache. Über die Jahre wurden die eigenen Ansprüche, wie ich als Mann zu sein habe, immer größer und konkreter. Kultiviert, gut aussehend und im Bett der animalische Verführer, der die Frau – ich kann es nicht anders sagen– zum Höhepunkt vögelt. Je klarer so ein Bild wird, desto deutlicher werden auch die eigenen Defizite. Einfaches Prinzip.«

Er hat keine Freundin, aber eine längere Affäre. Meist versucht er, Penetrationssex zu vermeiden: viel Oralsex, viel mit der Hand.

Seine Lust an Sex hat in den vergangenen Monaten abgenommen. »Ich finde das logisch: Je stärker ich mich bei etwas unter Druck gesetzt fühle, desto weniger Lust habe ich darauf.«

Wie kann man ihm als Partnerin helfen? »Auf keinen Fall fragen, wie man mir helfen kann. Das ist mir vor Monaten einmal passiert. Es war bestimmt nett gemeint, aber danach war es mit ihr sexuell komplett aus für mich. Ich kann mich leider nicht dagegen wehren, dass ich als Mannder Starke im Bett sein will und niemals hilfsbedürftig.«

Kann er sich selbst irgendwie helfen, außer durch unterstützendes Masturbieren? »Ich wende tatsächlich eine Art Psychotrick an, der mir manchmal hilft, steif zu werden. Ich stelle mir vor, so idiotisch das klingt, ein superpotenter Machtmensch mit unterwürfiger Frau zu sein. In Gedanken bin ich dann zum Beispiel ein Popstar und habe Sex mit einem Groupie.« Am besten funktioniere das in einem stockdunklen Raum – das mache es leichter, die Realität auszublenden und die Fantasie übernehmen zu lassen. »Frauen merken das aber. Mir wurde neulich gesagt, dass ich beim Sex abwesend wirke.«

Tim steckt in einer Art Teufelskreis fest: Er spürt Leistungsdruck, der zu Versagensangst führt. Er denkt über Sex folglich immer noch mehr nach. Er erwartet das eigene Versagen, das dann auch wirklich eintritt.

Es ist offensichtlich: Trotz der Rundum-Selbstanalyse kommt er alleine nicht weiter. Am Ende unseres Gesprächs frage ich ihn, ob es nicht eine gute Idee wäre, einen Sexualtherapeu­ten aufzusuchen. Tim nickt. Auch darüber habe er schon nachgedacht. Er könne sich vorstellen, die­­sen Weg zu gehen. Vielleicht mit seiner nächsten festen Freundin.

Sascha Chaimowicz fragt jeden Monat Menschen, was für sie guter Sex ist. Was antwortet Ihr? Schreibt an bettgeschichten@neon.de

Dieser Text ist in der Ausgabe 06/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Bettgeschichten« findet ihr hier.

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