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Wissen Einstellungssache: Sozialer Heuschnupfen

Wissen: Einstellungssache: Sozialer Heuschnupfen
Man arbeitet im perfekten Team – bis ein neuer Mitarbeiter die gesamte Psycho-Statik ins Wanken bringt. Unsere Kolumnistin erklärt, wie man mit solchen Bürostörenfrieden umgehen sollte.

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Das seltsamste Geschenk, das ich in meinem Leben bekommen habe, waren vier Turniertanzkleider. Eines Morgens stand meine Kollegin Julia mit einem Kleidersack in meinem Büro und sagte: »Ich brauche die Teile nicht mehr. Und du tanzt doch so gerne.« Ich war dermaßen überrascht, dass ich kein Wort rausbrachte. Was sollte ich mit diesen roséfarbenen Glitzerungeheuern anfangen? Das ist nicht mein Stil! Und Tanzen finde ich doof! Wie kam Julia nur auf diese Idee? Zwei Wochen lang ließ ich die Kleider unter meinem Schreibtisch liegen. Dann sagte ich Julia, dass ich das Geschenk leider nicht annehmen könne.

Mit Julia war es von Anfang an schlecht gelaufen. Schon am zweiten Tag fiel mir ihre seltsame Lache auf, die gekünstelt klang und viel zu laut. Julia lachte die ganze Zeit, in der Morgen­runde, beim Mittagessen, am Telefon mit ihrem Mann. Julia hatte auch überhaupt kein Gespür dafür, wann man sich zu einer Gruppe ­gesellen kann – und wann man das lieber bleiben lässt, weil zwei Kollegen gerade ungestört miteinan­der sprechen wollen. Julia war nicht faul, aber sie war auch nicht bereit, einen gestressten Kollegen zu unterstützen. Stattdessen betonte sie in jedem Gespräch und in jeder Konferenz, wie beschäftigt sie gerade sei.

Ich glaube, dass es so etwas wie soziale Al­ler­gien gibt. Die Allergene sind bestimmte Verhal­tensweisen von Mitmenschen oder Kollegen, die man einfach nicht erträgt. Zunächst kitzeln sie einen nur ein bisschen in der Nase, dann führen sie zu immer schlimmeren körperlichen Abwehrreaktionen. Ich will nicht sagen, dass Julia ein schlechter Mensch ist. Die ­Birkenpollen können ja auch nichts dafür, dass sie bei manchen Kopfschmerzen und brennende Augen auslösen. Aber nach ein paar Monaten ­ekelte ich mich regelrecht vor Julia.

Bis sie in unsere Abteilung kam, waren wir ein Traumteam gewesen: zwölf Männer und Frauen, alle in einem ähnlichen Alter und mit einem ähnlichen Humor. Wir gingen nach der Arbeit oft noch etwas trinken und schauten wichtige Länderspiele gemeinsam im Büro. Nun aber wurden diese Abende immer seltener. Wir hätten sie ja fragen müssen, ob sie uns begleiten wollte, und darauf hatte niemand Lust. Wobei »niemand« nicht ganz stimmt – die Männer im Team verstanden sich ganz gut mit ihr. Und weil sich Julia regelmäßig bei ihren männlichen »Anwälten« beschwerte, ergriffen diese immer häufiger lautstark für sie Partei. Plötzlich gab es zwei Lager in unserem Team, die sich getrennt voneinander zum Kaffee trafen.

Das Leben, heißt es, schreibe die schönsten Geschichten. Das Berufsleben aber schreibt wirre Geschichten ohne Höhepunkte. Es kam dann auch nicht zum großen Eklat zwischen Julia und mir, es gab keine Katastrophe, aber so schön wie vorher wurde die Arbeit nie mehr. Das Team löste sich langsam auf, die Kollegen wurden abgeworben oder wechselten in andere Abteilungen. Es gab auch nicht mehr viel, was die Gruppe zusammenhielt. Ich selbst wurde wegbefördert – und war froh darüber.

»Wenn du dich länger als fünfzehn Minuten über jemanden aufregst, ist es dein Problem«, hat mir neulich eine Freundin gesagt. Ein kluger Satz. Die soziale Implosion wurde nicht nur durch Julia ausgelöst, sondern auch durch unser Unvermögen, aus einer ungewohnten, nicht mehr ganz optimalen Situation das Beste zu machen. Womöglich hätte ich die vier Turniertanzkleider doch behalten sollen.

Dieser Text ist in der Ausgabe 07/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.

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