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Freizeit Es ist in Ordnung, dass wir uns online selbst inszenieren

Freizeit: Es ist in Ordnung, dass wir uns online selbst inszenieren
Die neue Video-App Beme soll umpolen, wie wir uns in sozialen Netzwerken zeigen. Der Beme-Erfinder will ungeschönte Spontan-Videos hip machen. Statt kalter, nachbearbeiteter Selfies. Pah! Warum wir zu unserem Filter-Fetisch stehen sollten.

Wer ein besonders tolles Foto auf Instagram stellt, eines, das so toll ist, dass es gar keinen Filter mehr braucht, kennzeichnet das mit dem Hashtag #nofilter. Übersetzung: Mein Leben ist so geil, ich brauche keine Bildbearbeitung.

»Authentizität« wird in Debatten um soziale Netzwerke immer wieder als Begriff bemüht, häufig mit einer Verneinung vorne dran. Der Vorwurf: Wir sind nicht authentisch im Netz. Wir fotografieren uns aus komischen Winkeln, um schlanker auszusehen, und drücken lieber ein Mal zu oft auf den Auslöser, damit auch wirklich was Gutes dabei ist.

Youtuber Casey Neistat schildert das Problem in dem Video, mit dem er Beme vorstellt, so: »Social Media soll eine digitale, eine virtuelle Version von dem sein, was uns als Person ausmacht. Stattdessen zeigt es diese total modellierte, arrangierte, feingetunte Version von uns, mit Filtern, die unsere Augen blauer machen und vorsichtig ausgewählten Bildern.« Mit der Realität habe unser Online-Verhalten nichts mehr zu tun.

Toll, dass es mit Beme nach Periscope und Meerkat eine weitere App gibt, mit der wir uns in Sachen Video ausprobieren können. Aber etwas an Neistats Argumentation stört mich. Wer seinem Online-Netzwerk etwas von sich oder aus seinem Leben mitteilt, soll sich gefälligst die Mühe geben, den Inhalt so ansprechend wie möglich zu gestalten. Und soll sich wegen dieser Mühe nicht als Hinterwälder fühlen. Viele Inhalte machen überhaupt erst durch Nachbearbeitung Sinn, die Kontext hinzufügt.

Das Internet braucht egozentrische User, die den Gestaltungsanspruch haben, ihre online geteilten Inhalte zu inszenieren. Solche Nutzer machen das Netz zu einem besseren Ort für uns. Auch wenn sie manchmal nerven.

Schon der Akt des Online-Stellens, des Postens, des Veröffentlichens, impliziert einen gewissen Narzissmus. Ich möchte mich mitteilen oder etwas aus meinem Leben zeigen, von dem ich denke, dass es auch für andere sehenswert ist. Das zuzugeben ist nur ehrlich.

Und an dieser Grundkonstellation ändert sich auch nix, nur weil das Video verwackelt ist und ich es wie bei Beme nicht mal während des Aufnehmens sehen kann. Weil die Aufnahme erst startet, indem man den Näherungssensor vorne an der Kamera vollkommen verdunkelt – zum Beispiel, indem man das Smartphone auf die Brust drückt (was für Männer einfacher sein dürfte als für viele Frauen, Stichwort männerdominierter Entwicklungsprozess von Technik).

Auch mit einem Beme-Video wollen Nutzer Aufmerksamkeit und Zuspruch von anderen. Statt gegen das Prinzip der Selbstinszenierung anzukämpfen, ist Beme also im Kern eine weitere Möglichkeit der Selbstdarstellung. Statt des perfekten Filters ist bei Beme die Proklamation von Authentizität das »Kaufargument«. Denn schön dürften die meisten Beme-Videos nicht werden. Die Qualität eines Videos, das ich quasi aus der Hüfte heraus filme und ungesehen poste, ziehe ich ernsthaft in Zweifel.

Dass wir der Welt aber unsere schönste Seite präsentieren wollen, ist letztlich vor allem: zutiefst menschlich. Und das wiederum finde ich: wirklich authentisch.

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