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Freizeit Afrika, rette die Europäer!

Freizeit: Afrika, rette die Europäer!
»Helft ihnen, zu lieben!«: Zwei Studenten inszenieren ein fiktives Hilfsprojekt für Europa. Bei »Resc EU« werden die Flüchtenden zu Helfern – und Europa ist der Sozialfall.

Weiche Gitarrenklänge begrüßen den Besucher der Webseite. Fünf grüne Sterne spannen sich über den Schriftzug »Resc EU«, ein bisschen erinnern sie an die Flagge der Europäischen Union. Kein Zufall, denn bei »Resc EU« geht es schließlich darum, die EU zu retten. Wer weiterscrollt, sieht das Video eines Protestmarsches durch eine Stadt in Afrika. Die Protestierenden tragen T-Shirts mit dem Emblem des Projekts, schwenken Plakate. »Geht nach Europa – helft, zu lieben« steht darauf. Unter einem weiteren Video auf dem Youtube-Kanal heißt es »Sie leiden«. Sie, das sind die Europäer. Auch auf Twitter,Facebook und Instagram ist das Projekt mit den fünf grünen Sternen aktiv. Stolz werden die Erfolge des Hilfsprojekts für mehr Menschlichkeit in Europa aufgezählt: 2014 seien schon 626.000 Freiwillige an der Hilfsmission für Europa beteiligt gewesen. Denn Europa, der kaltherzige Kontinent, braucht Hilfe von außen, so viel ist klar. Die Afrikaner sind in der Pflicht.

Die Kampagne »Resc EU« ist ein Fake. Die 626.000 Freiwilligen, sie stehen für die 626.000 Asylanträge, die 2014 in Europa gestellt wurden. Zwei Ravensburger Mediendesign-Studenten haben sich das Projekt ausgedacht. Lukas Yves Jakel, 25, und Johannes Kuhn, 22, haben »Resc EU« als ihre Abschlussarbeit eingereicht. Beide störte, wie über Flüchtlinge in Europa berichtet wird: »Nie war die Rede davon, welche Chancen und Möglichkeiten durch die Asylsuchenden für Deutschland entstehen.«

Mit ihrer Kampagne drehen sie den Spieß um. Aus Geflüchteten werden Helfer. Ihre Wirkungskraft zieht die Kampagne aus dieser konsequenten Verkehrung der gängigen Narrative, dem Rollentausch der Akteure. »Mit dem erhobenen Zeigefinger erreicht man nichts. Wir setzen deshalb auf Ironie, Sarkasmus, Spielerisches, um unsere Botschaft rüberzubringen«, sagt Johannes. »Die Bilder von Deutschen, die am Bahnhof Flüchtlinge begrüßen, sind temporär. Es muss sich gründsätzlich daran etwas ändern, wie wir Deutschen und Europäer Asylsuchende wahrnehmen.«

Seit April waren er und Lukas damit beschäftigt, die perfekte Illusion zu erschaffen. Dafür sind sie sogar nach Ghana gereist. Zehn Tage haben sie dort bei befreundeten Musikern gewohnt und mit deren Hilfe die Videos gedreht, in der Hauptstadt Accra. Sie haben mit Einheimischen über ihre Idee gesprochen und ein selbstbewusstes Land kennen gelernt. »In den Medien wird Afrika oft zu einem leidenden Kontinent herabgewürdigt, aber wir haben in Ghana ein aufstrebendes Land erlebt«, so Johannes.

Freizeit: Lukas und Johannes. Foto: privat
Lukas und Johannes. Foto: privat

Wo verläuft die Linie zwischen Lüge und Wahrheit?

Das Projekt der beiden ist inspiriert von einer Aktion des »Zentrums für politische Schönheit« aus dem letzten Jahr. Damals wurde Familienministerin Manuela Schwesig als Wohltäterin für 55.000 syrische Kinder gezeigt, die die »Kindertransporthilfe des Bundes« bewilligt haben solle. In einem syrischen Flüchtlingsheim hielten Kinder Plakate mit Schwesigs Konterfei in die Luft, es gab eine Webseite, sechs Schauspieler nahmen über die Hotline-Nummer Anfragen entgegen. Die Aktionskünstler hatten mit ein paar Logos und Bildern einfach eine neue Realität geschaffen, die mit der tatsächlichen so gar nichts zu tun hatte . »Retten kann einfach sein – wenn man es denn will«, folgerten die Aktionskünstler. Hyperrealismus nannte das Zentrum seine Kunstform, eine Kombination aus Fiktion und Realität.

Johannes und Lukas haben sich während ihrer Arbeit an »Resc EU« immer wieder die Frage gestellt, wo die Linie zwischen ihrer Erfindung und der Realität verläuft – zum Beispiel, als sie T-Shirts und Plakate drucken ließen und angaben, eine Hilfsorganisation zu sein. »Wir sind heute der Meinung, dass unsere Kampagne nicht rein fiktiv ist«, so Lukas. Denn beide sind davon überzeugt, dass die Migranten aus Afrika und anderen Ländern tatsächlich der EU helfen.

Welche Note sie für ihre Abschlussarbeit kriegen, wissen die Studenten noch nicht. Dass ihre Inszenierung ziemlich gut gelungen ist, konnten sie aber schon an einigen Reaktion auf der Webseite ablesen. »Lukas und ich hatten schon Kommentare auf der Seite von Leuten, die Dinge schrieben wie: ›Deutschland ist voll. Kommt auf keinen Fall.‹« Mittlerweile sind die Kommentare gelöscht worden. Die Schreiber haben offenbar so einiges noch nicht verstanden.

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