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Liebe Liebe? Lass mal!

Liebe: Liebe? Lass mal!
Wenn Frédéric Beigbeder, Bret Easton Ellis und David Nicols gemeinsam einen Roman über Leidenschaft, Angst und Absinth schreiben würden, dann wäre es dieser.

Es sollte verboten werden, noch ein Buch über die Liebe zu schreiben. Ist doch ohnehin alles schon tausendfach gefühlt und gedacht worden. Wer sagt, er sitze gerade an einem Text über Liebe, dem wird ganz zu Recht mitleidig auf die Schulter geklopft. Manchmal auch mit der Faust. Es ist dann eher ein Boxen als ein Tätscheln. Das Boxen soll sagen: Jetzt reiß dich mal zusammen! Schreib lieber über etwas, in dem du dich wirklich kundig machen kannst. Wildkräuterbestimmung, Schmetterlingszucht, die Funktionsweisen des Darms. Etwas, in dem du zum Fachmann wirst und als solcher den anderen, die keine Fachmänner sind, dann in deinem Text mit Fug und Recht Neues zu erzählen hast. Aber Liebe, mein Gott, was gibt es da noch zu sagen, am Ende schreibt man ja doch wieder nur über Augen und Münder, Anziehung, Abstoßung, Wärme und Schmerz.

Roman Libbertz und Ariane Sommer haben trotzdem dieses Buch geschrieben, „Lieben lassen“. Die Geschichte geht so: Alex Mondo (ihre Passagen schrieb Sommer) ist 28 Jahre alt und eine international bekannte Fotografin. In ihren Arbeiten dokumentiert sie regelmäßig Aspekte ihres Sex-Lebens, ein Umstand, der eine gewisse Art Männer anzieht und eine andere abstößt. Das aber ist gerade nicht ihr größtes Problem. Für eine Ausstellung im Rahmen der Biennale soll sie in wenigen Wochen einen neuen Werkszyklus vorstellen. Sie hat keine Ahnung, worüber.

Liebe: Roman Libbertz und Ariane Sommer Foto: Sarah Rebellato/ Xavier Dollin
Roman Libbertz und Ariane Sommer Foto: Sarah Rebellato/ Xavier Dollin

Tom Weiss, 31, wird von Autor Roman Libbertz als Hamburger Pendant zu Frédéric Beigbeders Protagonist aus 39,90 beschrieben: Er arbeitet in einer Werbeagentur und ist, wie jeder Mensch in der Kreativ- und Medienbranche, genervt von der Inhaltsleere seines Jobs, ohne auch nur ansatzweise in Erwägung zu ziehen, ihn zu wechseln. Er mag gute Autos, gute Kleidung, gutes Essen und Frauen. Die Beziehung zu seiner Exfreundin beschäftigt ihn, ohne dass er sich ernsthaft zu ihr zurück wünscht. An Sex wirkt er beinahe desinteressiert. Seine Rolle könnte, so vermutet der Leser zu Beginn, im Laufe des Romans problemlos in eine „American Psycho“-Richtung zum adretten Killer abrutschen. Weiss wirkt so glatt wie sein Name.

Tom und Alex treffen in Venedig aufeinander, bei einem Geschäftstermin. Das, was die Liebestext-Kritiker an Liebestexten kritisieren, passiert recht hastig und plakativ: Die beiden ziehen sich an – magisch sagt man wohl – sie verbringen die Nacht miteinander, kommen sich so nah, dass die Fassade bröckelt (was für zwei routinierte Liebhaber wie sie eine Ausnahme ist), fürchten beide dieses Bröckeln, aber mit unterschiedlicher Reaktion: Der eine versucht die Umarmung, aus der der andere flüchtet. Und dann bewegen sie sich doch wieder aufeinander zu. Und wieder weg. Und immer so weiter. Der typische „Zwei an einem Tag“-Tanz.

Roman Libbertz war mit 19 Jahren einer der erfolgreicheren Münchner Party-Veranstalter, Ariane Sommer galt lange als It-Girl der gleichen Szene. Beides merkt man dem Buch an. Es kennt sich, im besten Sinne, mit dem Exzess aus, es bewegt sich in einer Art Ein-Wochen-Rausch mit viel Absinth und viel Sex. Man liest es am Stück, in wenigen Stunden, und wenn man es weglegt, fühlt es sich an, als habe man gerade eine Affäre zurückgelassen. Die Möglichkeit hängt noch in der Luft. Der eine zieht sie zu sich, der andere kehrt ihr den Rücken. Man könnte sagen, dieses Gefühl sei schon hinreichend beschrieben, aber dann steht da auf einmal dieser Satz:

„Ich glaube, Liebe ist der Moment, von dem an man nicht mehr weiß, wie man das Lieben lassen soll.“

Wie simpel! Wie schön! Jede Zeile über die Liebe ist es wert, geschrieben zu werden.

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