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Freizeit Wo Worte fehlen

Die deutsch-afghanische Künstlerin Moshtari Hilal kam selbst einst als Flüchtling nach Deutschland. Heute macht sie sich in ihren Bildern auch Gedanken über die Flüchtlingsgeneration, die nach ihr kommt.


Ein kleiner Junge, der auf dem Bauch liegt, den Kopf zur Seite gedreht – fast als ob er schlafen würde. Doch Aylan Kurdi ist tot. Dieses Foto ist zum Sinnbild der Flüchtlingskatastrophe 2015 geworden. Auch Moshtari Hilal war einst ein Flüchtling. Mit ihrer Familie floh sie aus Afghanistan nach Deutschland. Doch sie versteht sich schon lange nicht mehr als Flüchtling. Heute ist sie Künstlerin und lebt in Hamburg. »Ein Bild ist radikaler als ein Text, den man erst mal durchlesen muss. Es spricht einen direkt an«, findet sie. Bilder prägen, wie und was wir denken, wie wir bestimmte Menschengruppen wahrnehmen. Sie erzeugen Gefühle und werden zu Symbolen ikonisiert – wie im Fall von Aylan Kurdi. Den Einsatz dieses Bildes findet sie aber falsch. Denn Bilder können auch negativ verwendet und instrumentalisiert werden, sagt Moshtari. Dann kann aus Empathie Voyeurismus werden. In ihrer Arbeit spielt sie mit Konzepten, vermischt sie, ordnet sie neu. Ihre Bilder sind weniger drastisch, sondern metaphorisch. Bei ihr tragen Männer auch mal rosa Kopftücher, Frauen haben Monobrauen, Bikinis existieren neben Schleiern. Ihre Figuren passen nicht in die homogene Medienlandschaft.

Ich treffe Moshtari Hilal auf dem Hamburger Großneumarkt, dort veranstaltet sie einen Zeichen-Abend. »Embrace the face« lautet das Motto. Menschen von unterschiedlicher Herkunft sind hier versammelt, um sich gegenseitig zu zeichnen und die Vielfalt zu zelebrieren. »Wir konsumieren oft die gleichen Bilder«, leitet Moshtari den Abend ein. Sie spricht auch über den subtilen Rassismus in Alltagssituationen. Er werde von der Mehrheitsgesellschaft oft nicht als solcher erkannt. Eine neugierige Besucherin fragt an diesem Abend, ob das hier ein Flüchtlingsprojekt sei. So viele verschiedene Menschen auf einmal müssen sie irritiert haben. »Ich habe mich bei ihrer Frage unglaublich angegriffen gefühlt, aber meine weißen Freunde haben das nicht nachempfinden können. Ich musste ihnen erst mal erklären, dass das auch eine Form von Rassismus ist«, erzählt Hilal mir später. In ihren Bildern setzt sich Hilal mit den Vorurteilen und dem Hass auseinander, die vielen Flüchtlingen – oder Muslimen generell – in Deutschland entgegenschlagen. Denn die meisten Flüchtlinge kommen aus mehrheitlich muslimischen Ländern. Der Hass enstehe auch durch die immer selben Bilder von Muslimen in den Medien. Das beste Beispiel ist die »unterdrückte Muslima«. Titelblätter mit dunkel-verschleierten Frauen, von denen nur die Augen zu sehen sind. Daneben pranken rhetorische Fragen. Nicht zuletzt tragen diese Darstellungen zum schlechten Image bei: eine Religion die ihre Frauen hasst.


Klar ist: Das repressive Patriarchat dominiert noch Teile der muslimischen Welt. »Aber Unterdrückung gibt es in jeder Gesellschaft. Und in muslimischen Gesellschaften sollte das in einem inner-muslimischen Diskurs behandelt werden«, sagt Hilal. Muslimische Künstler sollten sich zur Unterdrückung positionieren, findet sie – und tut genau das. Sie spricht über die Tabus in muslimischen-Gesellschaften, mit Bildern statt Worten. »Ich kann viele Dinge zeichnen, über die ich zum Beispiel nicht direkt mit meinen Eltern oder Verwandten sprechen könnte, da man dann bestimmte Wörter nutzen muss und dabei oft unangenehmen Augenkontakt hat,« erklärt sie. Moshtari bewegt sich mit ihrer Kunst zwischen dem Unaussprechlichen und dem, was nicht oft genug thematisiert wird, den Problemen auf beiden Seiten ihrer Welten. Erst durch Visualisierung werden Geschichten und Ereignisse – gerade im Kontext der Flüchtlingsdebatte – greifbarer, realer. Hilal wünscht sich dennoch, dass die Flüchtlingsdebatte entemotionalisiert wird. Anders als das Foto von Aylan Kurdi sind ihre Illustrationen zur Flüchtlingsdebatte abstrakter und doch eindrucksvoll.

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