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Wissen Einstellungssache: Soft Skills

Wissen: Einstellungssache: Soft Skills
Auch in der modernen Arbeitswelt muss man manchmal die Ellbogen ausfahren: Denn wer von ­allen geliebt werden will, liebt sich selbst nicht genug.

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Nic war die beste Kuchenbäckerin in unserem Team. Wann immer jemand Geburtstag hatte, brachte sie einen Kuchen mit. Niemand anderes wäre auf die Idee gekommen, für die Kollegen zu backen. Nic brachte aber sogar einen Geburtstagskuchen ins Büro, wenn sie an dem Tag eigentlich frei hatte.

Nic hieß eigentlich Nicole von Allensbach. Aber sie stellte sich nie mit vollem Namen vor, sagte immer nur: »Hallo, ich bin die Nic.« Offenbar wollte sie nicht mit ihrem Adelsnamen protzen. Nic machte sich immer kleiner, als sie wirklich war. Wenn ich sie für ein Projekt lobte, erzählte sie mir sofort, wer ihr alles geholfen habe und wem eigentlich Dank gebühre. Nic blieb auch gerne bis spätnachts im Büro, um eine Präsentation fertig zu machen – die eigentlich zuständigen Kollegen waren längst im Bett oder in der Kneipe. Einmal las sie sich an einem Sonntag die Bedienungsanleitung des Kopierers durch, damit sie ihn jederzeit reparieren konnte. Diese Aufgabe übernahm sie bald auch in anderen Abteilungen, denn ihr neues Talent sprach sich herum. Nic konnte einfach nicht Nein sagen.

Ich schäme mich noch heute ein bisschen, dass ich so lange nicht eingegriffen habe. Irgendwann zu Beginn ihres dritten Jahres schlug ich ihr vor, einmal gemeinsam essen zu gehen. »Supi«, sagte Nic. Auf die Frage, welches Restaurant ihr gefalle, antwortete sie: »Egal, sag du.« Meinen Vorschlag – Sushi – fand Nic auch »supi«. Und im Restaurant ließ Nic mich natürlich auch den Wein auswählen. Das war der Moment, in dem ich sie fast anschrie: »Hör endlich auf, so bescheuert nett zu sein.« Nic fing sofort an zu weinen. Sie starrte mich aus feuchten Augen an und schluchzte: »Seit wann ist es denn ein Fehler, nett zu sein?«

Gute Frage. Wir hören oft, dass Soft Skills und Teamfähigkeit so wichtig seien und die Zeit der Alphatiere abgelaufen sei. Das stimmt auch. Aber trotzdem darf man den Kollegenkreis nicht wie Nic mit der Familie verwechseln. Bei der Arbeit geht es eben auch um Geld und Aufstiegschancen. Wer immer nur freundlich, hilfsbereit und bescheiden ist, schafft es noch nicht einmal, einen Fuß auf die unterste Sprosse der Karriereleiter zu setzen (bekommt aber trotzdem einen Burnout).

In den Wochen nach unserem Gespräch hat Nic wirklich hart an sich gearbeitet. Es ging ja nicht darum, einen lästigen Tic loszuwerden – sie musste am Fundament ihres Charakters arbeiten und vor allem ihr Selbstbewusstsein stärken. Nicole war ja vor allem deswegen so freundlich, weil sie sich davor fürchtete, ihren Kollegen nicht zu gefallen. Diese Sorge ist aber unbegründet. Man wird nicht zur Hass­figur eines Büros, nur weil man mal freundlich ein Hilfegesuch ablehnt. Und ein bisschen schlechte Stimmung muss man einfach auch aushalten können. Nic bemühte sich, ihre Ellbogen zu spitzen. Auf einer turbulenten Teamsitzung beschuldigte sie einen älteren Kollegen, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen.

Als ich die Firma verließ, konnte ich noch veranlassen, dass Nic, pardon, Nicole von Allensbach stellvertretende Abteilungsleiterin wurde. Über den Kuchen mit der Zuckergussschrift »Danke für alles« habe ich mich gefreut. Nach allem, was ich weiß, macht sie sich ganz gut in der neuen Rolle. Als ich ihr für diese Kolumne eine E-Mail schrieb und sie bat, ihre Erfahrungen zu schildern, antwortete sie mit einem Satz: »Sorry, habe gerade keine Zeit.«

Dieser Text ist in der Ausgabe 12/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.

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