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Politik Fernfreund

Politik: Fernfreund
Facebook-Freundschaften und andere digitale Kontakte gelten als oberflächlich und kalt. Falsch, meint unsere Autorin: einen ihrer besten Freunde hat sie noch nie getroffen.

Illustration: Frank Höhne

Man muss heutzutage mit den Körperausscheidungen seiner Freunde vertraut sein. Es wird erwartet, dass man schon einmal einer guten Freundin auf einer Party die Haare zurückhielt, während sie sich auf der Toilette übergab. Mindestens aber muss man auf der Autobahn kamikazemäßig »kurz rechts ran« gefahren sein, weil der Freund vor der Abfahrt das Verhältnis Bier/Blase falsch berechnet hatte.

Schweiß, Urin, Erbrochenes. Alles ein Zeichen von Nähe. Und ohne Nähe keine Freundschaft, oder? Die gesellschaftlichen Erwartungen an Freundschaft sind jedenfalls sehr hoch. Diese Beziehungsform soll eng sein, intim und vertrauensvoll. Eben das genaue Gegenteil der Facebook-»Freundschaft« bei der das F-Wort immer in dicke Anführungszeichen gesetzt wird. Soziale Kontakte, die man über Twitter oder Instagram pflegt, gelten als oberflächlich und kalt. Kritiker der modernen Kommunikation wie die Autorin Franziska Kühne (Buch: »Keine E-Mail für Dich«) warnen davor, dass die Unverbindlichkeit der virtuellen Freundschaft auf die »echten« Beziehungen wie Gift wirke. Ich halte das für großen Quatsch.

Nilz, zum Beispiel, ist mein Freund. Das weiß ich, weil er mich auf eine ganz bestimmte Art zum Lachen bringt. Er schickt mir nur einen lustigen Satz, benutzt eine Redewendung, die ich lange nicht gehört habe, und schon bekomme ich gute Laune. Wenn er Geburtstag hat, schreibe ich Nilz, was er mir bedeutet. Ich bin stolz, dass er mein Freund ist. Trotzdem sind wir uns noch nie begegnet. Wir liken unsere Facebook-Posts, folgen uns auf Instagram, manchmal schicken wir uns auch E-Mails. Mir ist nicht mal mehr bewusst, wo der Ursprung unseres Kontaktes liegt, vermutlich ganz typisch: »Schlauer Kommentar. Dreißig gemeinsame Freunde, den adde ich mal.« Das ist Jahre her. Mittlerweile ist die räumliche Distanz zwischen uns geschrumpft: Berlin Hamburg. Es gab schon Momente, da wussten wir, dass wir gerade in derselben Stadt sind. Trotzdem: Nie wäre einer von uns auf die Idee gekommen, dem anderen zu schreiben: »Hey, komm vorbei!« Ist nicht unser Ding.

Viele finden diese Freundschaft verdächtig. Freundinnen fühlen sich ausgeschlossen, Partner wittern einen doppelten, flirtigen Boden. Mich macht diese Bigotterie wahnsinnig. Alle Welt spricht selbstverständlich über unterschiedliche Liebeskonzepte, über monogame, polyamore, sexlose Paarbeziehungen. Darf jeder so machen, wie er will. Aber sobald es um Freundschaften geht, ist es mit der Toleranz vorbei. Freundschaft ist die letzte Institution, die noch als heilig gilt. Wie es dazu kam, ist mir unklar: Freundschaft wird als Gegenmodell zur Familie gesehen, deren Geschlossenheit viele als übergriffig empfinden. Dabei stimmt genau das Gegenteil: Während das Ewigkeitsversprechen in der Liebe längst als realitätsferne Illusion abgetan wird, gibt es klare und weitreichende Vorstellungen davon, wie ideale Freundschaften aussehen: Ein Freund darf dich zwanzigmal am Tag anrufen, auf deiner Couch schlafen, er darf dich bitten, während des Urlaubs seine Tiere zu versorgen. Er kann dir nicht zu nahe kommen.

Ich liebe meine analogen Freunde. Ich finde es toll, einfach so miteinander zu sein, ohne Überschrift, Funktion und Anrede. Aber das, was mich mit Nilz und anderen Menschen, mit denen ich über Facebook, Whatsapp, E-Mail und Instagram kommuniziere, verbindet, ist nicht weniger wert. Wir schreiben uns, teilen Videos und Bilder, verschicken Texte und Ideen. Wir vermitteln uns Jobs. Und manchmal, wenn ich spätabends einen Lovesong poste, schreibt mir Nilz, wie unerklärlich er es findet, dass es niemanden gibt, der meine Melancholie vertreibt. Solche Nachrichten können Nächte retten. Freunde haben eine ganz ähnliche Funktion wie die Familie oder der Partner. Wir brauchen Komplizen, um uns gemeinsam in der Welt behaupten zu können. Dabei ist es total irrelevant, auf welche Weise und über welche Kanäle wir das tun.

Neulich schrieb mir Nilz, dass die Welt, wenn wir uns irgendwann doch träfen, gewiss im größten Feuerwerk aller Zeiten versinken würde. Er war gerade ein bisschen geburtstagshigh, wie man halt so ist, wenn man an einem Tag im Jahr digital und analog geballt mit Liebe überschüttet wird. Ich habe sehr gelacht. Ich finde das eine tolle Vorstellung. Und ich finde, es muss nie dazu kommen.

Autorin Lena Steeg, 31, hat auch analoge Freunde, denen sie jederzeit die Haare zurückhalten würde, wenn sie mal etwas Falsches gegessen oder zu viel getrunken haben sollten.

Dieser Text ist in der Ausgabe 10/15von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte der NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.

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