Anzeige

Politik Schluss mit lustig

Politik: Schluss mit lustig
Unsere Autorin trifft Pegida-Demonstranten regelmäßig auf der Straße. Sie meint: Witze über die Bewegung zu reißen, löst das Problem nicht. Wir müssen endlich mit ihnen reden.

Text: Katalin Vales | Illustration: Frank Höhne

Wie stark Pegida inzwischen ist, merke ich immer, wenn ich auf dem Nachhauseweg mal wieder dreißig Minuten an einer Straße warten muss, bis ich mit meinem Fahrrad weiterfahren kann. Fahnen schwenkende Typen in wetterfesten Jacken und bequemem Schuhwerk ziehen an mir vorbei. Zwischen all den biederen Gestalten: Muskelprotze mit extrem kurzem Haar – und ein paar Frauen. Mir wird dann immer kalt, und das liegt nicht am Herbstwetter. Ich möchte, dass diese Leute aufhören, jeden Montag die Innenstadt zu blockieren und Dresden in ein falsches Licht zu stellen.

Ich halte Pegida nicht für ein typisch sächsisches oder ostdeutsches Problem. Über 175 000 Facebook-Fans hat Pegida inzwischen. Befürworter aus ganz Deutschland und dem Ausland schreiben glühende Kommentare auf die Seite. Mich verwundert das leider nicht. Offenen Rassismus und Hetze habe ich auch während meiner Studienzeit in Wien und Dortmund erlebt und später beim Volontariat in Ostwestfalen. Es gibt diese Menschen überall. Wer sich nicht die Augen zuhält, sondern liest, was auf den Schildern und Bannern steht, merkt, dass die Demonstranten nicht nur vom Fremdenhass angetrieben werden. Viele fühlen sich schlichtweg von der Politik vergessen. Da ist ganz viel Angst, alleingelassen zu werden. Obwohl es mir spätestens nach dem widerwärtigen Pirinçci-Auftritt Ende Oktober immer schwerer fällt, noch ein Fünkchen Verständnis für die Mitläufer aufzubringen: Diese Bewegung weiterhin zu ignorieren, bringt uns erst recht nicht weiter.

Genauso satt wie Pegida habe ich allerdings die Reaktion der Pegida-Gegner. Eine demokratische Gesellschaft ist nur so stark und souverän, wie sie mit ihren Kritikern und Kontrahenten umgeht. Und bislang machen wir keine besonders gute Figur. Innenminister de Maizière bezeichnet die Pegida-Organisatoren als »Rattenfänger«. Die Medien machen sich über Rechtschreibfehler auf den Plakaten lustig. Und die Komikerin Carolin Kebekus singt: »Weißt du denn gar nicht, wie blöd du bist?« Kann man jemanden von seiner Meinung abbringen, indem man ihn beleidigt? Herablassung provoziert doch nur Trotz. Wir gegen die.

Die Pegida-Anhänger hören den Rednern auf der Demo sehr konzentriert zu. Und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die Slogans der Gegendemos sie erreichen – »Bunt statt braun« oder »Herz statt Hetze«. Die Botschaften klingen nett und sind vielleicht gut gemeint, stellen die Pegida-Leute aber auch explizit auf die Seite des Bösen. Es hilft nichts, Menschen, die Angst vor Veränderung und Zuwanderung haben, als Nazis oder geistig minderbemittelt abzustempeln. So können wir den Konflikt nicht lösen.

In meinem Dresdener Freundeskreis wird das Thema gerne verdrängt – weil es tatsächlich so schwer ist, eine Antwort auf Pegida zu finden. Ich nehme mich da nicht aus. Wenn am Montag die Kundgebung stattfindet, gibt es bei uns zu Hause in der Regel Abendbrot. Wir denken, wir seien liberal und tolerant – aber oft ist es vielleicht auch nur Gleichgültigkeit. Die Lösung? Wir dürfen nicht auf Politiker, Medien und Bildungseinrichtungen vertrauen, sondern müssen bei uns selbst anfangen. So schwer es auch fallen mag, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die etwas gegen Ausländer haben – vielleicht ist das genau die Zivilcourage, die wir jetzt brauchen, um Pegida diese große Kraft zu nehmen. Also: Statt zu verurteilen, lieber zuhören und versuchen, die Demonstranten zu erreichen, die nur mitlaufen, weil sie falsche Informationen bekommen. Auf der nächsten Party, in der Schlange beim Bäcker, auf Facebook oder im Büro.

Die, die in diesem Land eher auf der Gewinnerseite stehen, müssen signalisieren, dass niemand vorschnell aufgegeben wird. Hier in Dresden ist ein Prozess zu erkennen, der auch bundesweit im Gange ist: Die Gesellschaft driftet auseinander. Noch mal: Ich habe kein Verständnis für Pegida-Thesen. Aber ich glaube, viele laufen mit, weil sie Angst haben, noch weiter abgehängt zu werden. Irgendwann ist die Demo vorüber und die Straße wieder frei. Ich blicke Richtung Altstadt und denke: Dresden auf Pegida zu reduzieren, wäre nicht fair. Hier leben so viele offene und tolerante Menschen. Womöglich waren wir in letzter Zeit sogar etwas zu tolerant.

Katalin Vales, 31, hat Journalistik und Politikwissenschaft studiert und arbeitet hauptsächlich für WDR und MDR.

Dieser Text ist in der Ausgabe 12/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.

VG-Wort Pixel