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Politik Unser Job? Weltuntergang!

Politik: Unser Job? Weltuntergang!
Der Klimagipfel in Paris muss radikale Reformen beschließen. Die Erfolgsaussichten sind gering. Dass viele Forscher und Aktivisten mit Stress und Burn-Out kämpfen, ist fast noch beunruhigender.

Die ersten zwanzig Minuten des Films kann Michael Mann noch genießen. Der amerikanische Geophysiker führt den Studenten der Pennsylvania State University »The Day After Tomorrow« vor, Roland Emmerichs Klimawandelschocker. »Ist schon zehn Jahre alt, aber immer noch gutes Popcornkino«, sagt Mann. Er hat Spaß. Die Ausführungen der Wissenschaftler im Film? »Das macht AB-SO-LUT keinen Sinn.« Ein Klimaforscher, der so Bruce-Willis-mäßig über Gletscherspalten springt? »Ja, so sieht mein Arbeitsalltag aus.« Fußballgroße Hagelkörner zerschießen die Innenstadt Tokios? »Netter Spezialeffekt!« Nach einer Weile aber wird der 49-jährige Professor still. Auf der Leinwand sind Messbojen im Nordatlantik zu sehen, die rot blinken: Alarm.

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SCHICKSALSMOLEKÜL


Bereits 1859 fand der irische Physiker John Tyndall he­raus, dass Gase wie Kohlendioxid langwellige infrarote Strahlungswärme aufhalten. Normal­erweise werden etwa dreißig Prozent der Sonnenenergie ins Weltall gestreut. Steigt der CO²-Anteil in der Atmo­sphäre, wird die Sonnenwärme zur Erde zurückgeschickt. Der Treibhauseffekt ist seit gut 150 Jahren bekannt.

Im Filmverlauf kommt der Golfstrom zum Stillstand und stürzt das Weltklima ins Chaos. New York City wird von einer Flutwelle zerstört, dann müssen die Stadtbewohner vor einer Eiszeit fliehen und in Mexiko um Asyl bitten. Die Studenten lachen über die pathetischen Sprüche, schreiben SMS unter dem Tisch, sind längst eingeschlafen. Michael Mann sitzt schweigend in der künstlichen Dämmerung des Klassenzimmerkinos und schüttelt den Kopf: »Vor zehn Jahren habe ich über den Film noch gelacht. Wie viel sich verändert hat.«

Im Frühjahr 2015 stellte Mann, einer der renommiertesten Klimaforscher, gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen Stefan Rahmstorf, eine Studie vor, in der sie eine »außergewöhnliche Verlangsamung« des Golfstroms beschreiben, der warmes Wasser aus der Karibik nach Norden bringt. Weil die CO2-Emissionen die Erdatmosphäre erwärmen und die Gletscher in Grönland zum Schmelzen bringen, fließen gigantische Mengen Schmelzwasser in den Ozean, erklärt Mann, das bringe die Wasserzirkulation durcheinander. Auf einer Karte, die die Erwärmung der Erde anzeigt, ist im Nordatlantik ein blauer Fleck zu sehen – der einzige Ort auf der Welt, der kälter wird. Michael Mann schluckt, ist sichtlich bewegt. »Das passiert so viel schneller, als wir angenommen haben«, sagt er und zeigt in Richtung seiner Studenten. »Sie sind so jung, sie werden das alle noch erleben müssen. Das macht mich traurig.« Dann ist der Film endlich vorbei und das Licht geht an.

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FIEBERKURVE


Die menschengemachten ­CO²-­Emissionen im historischen Überblick.

1882
Kurz nachdem er die Glühbirne erfunden hat, stellt Thomas A. Edison in New York das erste Kohlekraftwerk vor.

1929
Während der Weltwirt­schaftskrise fallen die Emissionen um etwa 35 Prozent – man erkennt, dass das Wirtschaftswachstum direkt an den CO²-Ausstoß gekoppelt ist.

1992
Auf dem »Earth Summit« in Rio de Janeiro wird die United Nations Framework Con­vention on Climate Change (UNFCCC) gegründet, sie soll den Klimawandel stoppen – die Emissionen steigen weiter.

2014
Ein Hoffnungszeichen? Laut der Internationalen Energieagentur stagnieren die CO²-Emissionen erstmals seit ­vierzig Jahren bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum.

An der Wand des Büros von Michael Mann hängen Fotos, die ihn mit Bill Clinton zeigen, daneben eine Urkunde für den Friedensnobelpreis, den er als Mitglied des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) verliehen bekam. Er ist ein optimistischer Mensch, der mit dem runden Kopf und Bauch mehr Ähnlichkeit mit Buddha als mit Bruce Willis hat. »Aber manchmal hat man Tage, an denen man an der Aufgabe verzweifelt«, sagt er. Stress, Frustrationen, Hoffnungslosigkeit. »Dann würde man sich gerne in der Bibliothek verstecken.« Der Weltklimarat betont, dass die Erderwärmung durch Emission von CO2 oder Methan zwei Grad Celsius keinesfalls übersteigen dürfe. Die globale Energiewende verläuft jedoch schleppend. Kommt es zu keinem radikalen Kurswechsel, steuert die Menschheit auf eine vier bis sechs Grad wärmere Welt zu: überflutete Küstenstädte, vertrocknete Felder, Wassermangel, Flüchtlingsmassen, Wirtschaftskrisen. Das Pentagon bezeichnet den Klimawandel als »Bedrohungsmultiplikator« und »gefährlicher als Terrorismus«. Die Weltbank urteilt, es sei nicht klar, ob unsere Zivilisation sich an eine vier Grad wärmere Erde anpassen könne.

Im Dezember findet in Paris die 21. Klimakonferenz statt, bei der ein neuer Klimavertrag beschlossen werden soll. Der Chef der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, sagt: Paris ist »unsere letzte Hoffnung«. Die Menschheit ist gut darin, den Klimawandel zu verdrängen. Wir haben uns an die Bilder der Jahrhundertstürme, -dürren und -fluten, die immer regelmäßiger auftreten, gewöhnt machen Flugreisen, essen jeden Tag Fleisch, kaufen Fünf-Euro-Shirts, die auf Containerschiffen aus Asien kommen. Spricht man mit Klimaforschern, Aktivisten und Diplomaten, die die Katastrophenszenarien abwenden wollen, wird die Gefahr auf neue Art und Weise greif- und spürbar. Denn Michael Mann ist nicht der Einzige, der mit »dunklen Tagen« kämpft. Was macht es mit einem, wenn man sich jeden Tag beruflich mit dem Weltuntergang beschäftigt? Wenn die Experten die Hoffnung verlieren und Symptome von Depressionen zeigen, ist die Lage jedenfalls ernst. Im Foyer des World Conference Center in Bonn bildet sich eine Menschentraube. Männer in Anzügen und Frauen in Businesskostümen kämpfen um einen guten Platz. Ein paar Leute tragen knallbunte afrikanische Gewänder. Der Speiseeishersteller Ben & Jerry’s präsentiert eine neue Sorte, mit der das Bewusstsein für Klimawandel geschärft werden soll. »Save our Swirled« Himbeereis mit Marshmallow-Einsprengseln. Alle greifen zu. Es wird gelacht. Endlich etwas, auf das sich alle einigen können: Eiscreme ist super!

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DAS GROSSE ZIEL


In jeder Rede betonen Politiker, dass man die Erderwärmung auf unter zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Ära begrenzen müsse. Entwickeln sich die Emissionen so weiter wie derzeit, erwarten Experten ­allerdings eine Erwärmung um vier bis sechs Grad. Die ­Weltbank urteilte 2012 in einer Studie, es sei unklar, ob die menschliche Zivilisation unter diesen Bedingungen überlebt.

Die Klimaverhandlungen treten nur in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn sich die Vertragsstaaten des United Nations Framework on Climate Change einmal im Jahr zur sogenannten »Conference of the Parties« (COP) treffen – Klimagipfel genannt. Weniger bekannt ist, dass rund um das Jahr permanent einzelne Arbeitsgruppen und Komitees tagen – meist in Bonn, dem Sitz des UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change). Im Herbst fanden hier die letzten Vorbereitungssitzungen für die 21. COP in Paris statt. Außer der Eiscreme gibt es wenig Gründe für gute Laune. »Der Text ist nicht sehr weit«, sagt Sönke Kreft, Leiter der Abteilung Klima- und Entwicklungspolitik bei der NGO Germanwatch, »aber die Stimmung ist konstruktiv.« Kreft ist 32 Jahre alt und bereits ein Veteran der Klimadiplomatie. »2015 ist kein normales Jahr. Wir stehen deshalb alle sehr unter Strom.«

Weil es aussichtslos erscheint, auf der Konferenz eine Emissionsreduktion vorzugeben, die für alle Staaten verbindlich ist, geben nun alle Staaten eine Absichtserklärung ab (»Intended Nationally Determined Contributions«). Bislang haben das 146 Staaten gemacht – noch reichen die Verpflichtungen bei Weitem nicht aus, um das Zwei-Grad-Ziel zu halten. Ebenso wenig ist man sich darüber einig, wie die Zusagen kontrolliert werden, ob es einen Klimagerichtshof geben wird, der Sanktionen aussprechen kann, und wer die horrenden Kosten des Klimawandels zahlt. »Wir müssen unbedingt ein zweites Kopenhagen verhindern«, hört man in Bonn die ganze Zeit. 2009 sollte bei der 15. COP in Kopenhagen schon einmal ein neuer Vertrag unterschrieben werden die Verhandlungen scheiterten in der letzten Nacht. »Wir hatten drei Jahre lang einen schweren Kater«, sagt Sönke Kreft. Erzählen die Diplomaten und Aktivisten von Kopenhagen, klingen sie, als berichteten sie von einer existenziellen Krise. Die britische Psychoanalytikerin und Klimawandelexpertin Sally Weintrobe schreibt, dies sei der Moment gewesen, in dem sie realisiert habe, dass »unsere Regierungen sich nicht um uns kümmern und ihnen unser Überleben gleichgültig ist«. Kreft spricht über die Klimakonferenz wie über eine Expedition in eine extreme Umwelt. »In unserem Team passen wir aufeinander auf«, sagt er. »Helfen einander, wenn es zu viel wird.«

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MANPOWER


Die Klimaverhandlungen werden immer ­komplexer – aber auch effizienter?

Wer sich täglich um den Fortbestand der menschlichen Zivilisation sorgt, steht unter einem enormen Druck. Langjährige Klimaaktivisten, fand Jim Driscoll vom National Institute for Peer Support heraus, berichten immer häufiger über Traurigkeit, Angst und Wut. »Viele von uns leiden unter prätraumatischem Stress«, meint die Psychiaterin Lise Van Susteren, die mit Al Gore zusammengearbeitet hat. »Sie zeigen die Zeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung: Wut, Panik, obsessive Gedankengänge.« Wenn Burn-out und berufsbedingte Depressionen durch eine übergroße emotionale Verstrickung in den Beruf und das Leiden unter Bedingungen, die man nicht beeinflussen kann, ausgelöst werden, dann sind Klimaaktivisten besonders gefährdet bei ihnen vermischen sich moderne und archaische Antriebskräfte: Selbstverwirklichung im Job und Selbsterhaltungstrieb.

Raju Pandit Chhetri ist 33 Jahre alt und Teil der Delegation Nepals, eines der ärmsten Länder der Welt. Er hat gletscherblaue Augen und einen melancholische Zug um den Mund. Raju erzählt vom Imja-See unter dem Mount Everest, der vor fünfzig Jahren noch nicht existierte. Heute ist der See bis zu 97 Meter tief gefüllt mit dem Schmelzwasser der Himalaya-Gletscher. Raju fürchtet »Glacier Lake Outburst Floods«: »Wenn das Becken das Wasser nicht aufnehmen kann, rast eine Schlammlawine zu Tal.« Nepal brauche Unterstützung bei der Installation von Warnsystemen. »Alle Länder müssen sich anstrengen«, sagt er. Ein klarer Satz. Der Vertragstext sieht dann aber so aus:

The Parties aim [to achieve the global temperature goal], […] through [long-term global [low-][carbon] [emission] transformation] [[climate] [carbon] neutrality], [and peaking their [net] emissions] [by 2030] [20XX] [as soon as possible], [with a [x] 40-[y]70% net emission reduction below 2010 levels by 2050] [according to the global carbon budget distribution based on climate justice]

Jede Klammer steht für eine Entscheidung, die aussteht. Es gibt Hunderte davon in dem fünfzigseitigen Textdokument. »Ich habe Angst, nach Hause zu fliegen und meinen Leuten wieder sagen zu müssen, dass wir nichts erreicht haben.« Fragt man Raju, ob das nicht ironisch ist, dass 50 000 Menschen aus der ganzen Welt nach Paris fliegen und in klimatisierten Meetingräumen sitzen. »Nein«, sagt er, »ironisch wäre es nur, wenn wir all den Aufwand betreiben würden und dann keine Ergebnisse vorweisen könnten.«

Die Pennsylvania State University liegt im Happy Valley in Pennsylvania: Kühe, riesige Bauernhöfe, ab und zu eine Tankstelle, endlose Laubwälder. Auf dem Weg zu Professor Mann versteht man, warum fünfzig Prozent der Amerikaner gar keine oder kaum Angst vor dem Klimawandel haben. Alles so grün hier. Es ist Anfang Oktober und in den TV-Nachrichten sieht man, wie Hurrikan Joaquin mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Stundenkilometern über die Bahamas und in Richtung New York City rast. »Ein erstaunlicher Sturm«, sagt Michael Mann, der über Hurrikane spricht wie Autofans über einen Ferrari: Wow – so schnell, laut und leistungsstark! Wenige Tage bevor Joaquin New York bedroht, veröffentlicht Mann eine Studie, in der er aufzeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass New York von einem Supersturm wie Sandy getroffen wird, der 2012 Schäden in Höhe von mehr als dreißig Milliarden Dollar verursachte, durch den Klimawandel um den Faktor zwanzig steigt. Mann gibt Dutzende Interviews, soll erklären, wie schlimm es wird (am Ende verschont der Sturm die USA). In vielen konservativen Medien werden seine Erkenntnisse jedoch vehement angezweifelt. Googelt man seinen Namen, findet man schnell eine Fotomontage, die ihn als Häftling zeigt mit der Überschrift: »Climate Criminal«.

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UNTER DEM STRICH


Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beziffert den möglichen wirtschaftlichen Schaden, der bis 2050 durch den Klimawandel entsteht, in Deutschland auf 800 Milliarden Euro. Das globale Bruttoinlandsprodukt wird um bis zu 25 Prozent sinken. Experten sind sich einig, dass der Nutzen der Klimawandelbekämpfung die Kosten überwiegt.

Weil er in den 90er Jahren bewies, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten anstieg, wurde Mann zur Hassfigur der Industrie und der republikanischen Partei. Lobbygruppen versuchten, die Pennsylvania State University dazu zu bringen, dass sie ihn feuern. Politiker zitierten ihn vor den US-Senat und bezeichneten ihn als Lügner. Er bekam Morddrohungen: »Man sollte dich vierteilen, du fettes Schwein!« Mann wird nicht nur ignoriert, sondern zugleich attackiert und diffamiert. Warum hat er sich nicht zurückgezogen? »Ich habe eine Tochter, ich kann nicht einfach dasitzen und zusehen, wie wir ihre Welt zerstören.«

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STARKE FRAU


Seit 2010 ist die 59-jährige Christiana Figueres aus Costa Rica Generalsekretärin des UNFCCC. Ihr Vater José führte 1948 die Revolution in dem mittelamerikanischen Staat an und die Demokratie ein. ­Vielleicht sagt Christiana ­Figueres deshalb: »Ich habe kein Pro­blem mit dem Wort ›Revolution‹. Meiner Erfahrung nach haben Revolutionen positive Folgen.« Sie gilt als tatkräftige, optimistische Politikerin: »Ich kenne keinen Menschen, der durch schlechte Nachrichten motiviert wird.«

Als Wissenschaftler, das ist das Problem, sind ihm Gefühle eigentlich verboten – er kann nicht so dringlich argumentieren, wie er gerne möchte, denn Prognosen sind eben genau das: Prognosen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreffen. Oder weniger schlimm ausfallen. Oder viel schlimmer. »Man muss versuchen, wissenschaftlich korrekt und doch verständlich zu argumentieren.« Der Geophysiker ist zu einem Experten für die menschliche Psyche geworden: »Es ist erstaunlich, dass wir etwas verdrängen, obwohl es unsere Existenz bedroht.« Für die Klima-Ignoranz gibt es Gründe:

Egoismus: Warum sollte man sich heute einschränken, um die Probleme von morgen zu lösen? Die intergenerationelle Solidarität ist offenbar schwach ausgeprägt.

Ideologie: Studien zeigen, dass man Tatsachen, die nicht in das Weltbild passen, ignoriert. Neoliberale (»Wachstum!«) und Christen (»Macht euch die Erde untertan«) zweifeln oft am Klimawandel.

Fehlende Fantasie: Die Herausforderung durch den Klimawandel sei so überwältigend, schreibt Naomi Klein in ihrem Buch »This Changes Everything«, weil man viele Regeln auf einmal brechen müsste, um sie zu bestehen: Alles müsste sich ändern.

Zynismus und Apathie: Viele glauben, man könne den Prozess eh nicht mehr aufhalten. »Die Erde«, schreibt Jonathan Franzen im »New Yorker«, »sieht aus wie ein todkranker Krebspatient, den wir entweder so aggressiv behandeln, dass er entstellt wird, oder wir lindern Schmerzen und zeigen Sympathie.«

»Bullshit«, sagt Michael Mann verärgert. Zynismus laut Peter Sloterdijk »das aufgeklärte falsche Bewusstsein« ist Manns neuestes Problem. Er wird in Interviews gefragt, ob man den SUV behalten dürfe, wenn sowieso alles zu spät sei. »Auch auf Klimakonferenzen hört man das«, sagt er. »Ich sage: Nein, es ist nicht zu spät. Und dann sage ich es noch mal.«

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UND JETZT?


»Wir denken alle, das Pro­blem sei so groß, dass wir alleine eh nichts ausrichten können«, sagt Klimaforscher Michael Mann. Das ist falsch. Im Netz kann man seinen CO²-Fußabdruck berechnen und durch Veränderungen ­seines Lebensstils viele Tonnen CO² einsparen.

Am 23. Oktober 2015 vermeldet die »Tagesthemen«-Sprecherin, dass in Bonn das letzte Vorbereitungstreffen für den Klimagipfel zu Ende gegangen sei: »Ziel des geplanten Abkommens ist es, die Erderwärmung zu begrenzen.« Sie sagt das nüchtern, als hätte man die Sache im Griff. Am selben Abend verlässt Hindou Oumarou Ibrahim das World Conference Center, sagt: »Ich bin so frustriert.« Der Vertragsentwurf ist immer noch nicht gut, die Stimmung wird schlechter. Nun sollen die Regierungschefs Kompromisse finden wie damals in Kopenhagen. Hindou, 31, ist Delegationsmitglied der Republik Tschad. Sie stammt aus einem Nomadenvolk, das mit Viehherden durch die Steppe zieht. Die dramatischen Dürreperioden gefährden nicht nur das Auskommen der Menschen, sondern auch die Struktur der Gesellschaft. »Die Männer reisen auf Jobsuche bis nach Europa«, sagt sie. »Familien werden zerstört.« Der Klimawandel verändert bereits heute die Welt. »It’s gonna be real messy, real soon«, sagt Hindou. Das scheint die Formel zu sein, auf die sich die Klima-Community geeinigt hat – auch weil es deprimierend ist, immer vom Weltuntergang zu reden. »Messy« chaotisch, ungeordnet, wild. Das Gegenteil der Welt, wie wir sie kennen, die auf stabilen Preisen, festen Abläufen, sozialem Frieden basiert.

2015 sind Millionen Menschen auf der Flucht. Aber was passiert erst, wenn 100 Millionen Menschen aus Bangladesch eine neue Heimat suchen? »Es ist schwer zu akzeptieren, wie langsam alles geht«, sagt Hindou. Und dann beginnt die selbstsichere, kosmopolitische Frau heftig zu weinen. Man sucht nach tröstenden Worten, aber was sagen? Alles wird gut? Vielleicht irren sich die Wissenschaftler? Vielleicht halten die Industriestaaten diesmal Wort? Lächerlich.

Die Aktivistin Gillian Caldwell, die selbst unter Depressionen litt, veröffentlichte eine Liste mit »Sechzehn Tipps gegen den Klima-Burnout«: »Schwimmen ist eine beruhigende Tätigkeit.« Oder: »Deine Ängste sind realistisch. Das muss nicht auch für deine Erwartungen an dich selbst gelten.« Weil man die globale Temperatur nicht selbst herunterdrehen kann, müsse man an der inneren Haltung arbeiten. »Wir kommen langsam voran, aber wir kommen voran«, sagt der Aktivist Sönke Kreft. »Fatalismus ist keine Lösung«, sagt der Forscher Michael Mann. Man kann das für Motivationsparolen halten. Irgendwie hat man aber den Eindruck, dass die Klimakämpfer von dem, was auf dem Spiel steht – nämlich: alles! – sowohl zu Boden gedrückt als auch angetrieben werden. Deshalb ist ihr Job so belastend. Nur deshalb gibt es noch Hoffnung, die Katastrophe abzuwenden. Ob sie nach Paris fahren werde, will man von Hindou wissen. Sie blickt zu Boden, atmet tief ein, sagt dann: »Natürlich.«

Über ihren Alltag, ihre Ängste und Hoffnungen erzählen uns vier Forscher und Aktivisten in Kurzinterviews.

Dieser Text ist in der Ausgabe 12/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.

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