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Wissen Einstellungssache: Das große Finale

Chef und Arbeitskollegen zurücklassen: Gesunder Egoismus hilft bei der Kündigung
Chef und Arbeitskollegen zurücklassen: Gesunder Egoismus hilft bei der Kündigung
© Jan Robert Dünnweller
Unsere Kolumnistin hat für NEON fast alle Wunder und Katastrophen der Arbeitswelt beschrieben. In der letzten Folge beschäftigt sie sich nun mit einer elementaren Frage: »Wann soll ich kündigen?«

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Florian Dehringer ist ein gutmütiger, sehr sanfter Mensch. Er spricht so leise, dass ich manchmal kaum ein Wort verstehe. Ich war ­also recht überrascht, als er vor zwei ­Monaten zum verabredeten Coachingtermin zur Tür ­hereinstürzte, nicht »Guten Tag« sagte, stattdessen im Raum auf und ab ging, laut atmete und immer wieder rief: »Ich bringe ihn um, ich ­bringe den Scheißtypen um!«

Warum ist eine Kündigung so beängstigend?

Dehringer, 32, arbeitet in der IT-Abteilung eines Autokonzerns, wo er ein kleines Team von zwölf Leuten unter sich hat. Vor Kurzem hatte er einen neuen Chef bekommen. Dieser IT-Leiter hatte zum Amtsantritt allen Mitarbeitern ein Buch geschenkt, die autorisierte Biografie von Steve Jobs. Aus dem Buch, hatte der Chef gesagt, könne man viel lernen über die moderne Arbeitswelt. Ein paar Wochen ­später lud er sein Team dann ohne Vorankündigung für einen Donnerstagnachmittag ins Kasino der Firma ein. Er selbst kam fünf Minuten zu spät und bat alle Mitarbeiter, sich zu erheben. Dann begann er, seine Untergebenen über den Inhalt des Buchgeschenks abzufragen. Wer eine richtige Antwort gab, durfte sich setzen. Florian Dehringer wusste aber nicht, warum Steve Jobs irgendwann einmal verboten ­hatte, dass die Post den Mitarbeitern direkt ins Büro geliefert wurde. Am Ende standen außer ihm noch drei andere Mitarbeiter. Der Chef verließ kommentarlos den Raum.

Von Anfang an war ein regelmäßiges Thema in den Sitzungen mit Dehringer gewesen, dass er kaum noch Aufstiegschancen für sich sehe. Die waren durch den neuen Chef und den Prüfungseklat ja tatsächlich auf null gesunken. Also fragte ich Dehringer, was ihn denn von einer Kündigung abhalte? Dehringer erschrak regelrecht, fand massenhaft Gründe: Er arbeite seit acht Jahren in der Firma, seine Kollegen seien für ihn wie eine Familie, er müsse für sie sorgen, vor allem für die Azubis. Außerdem wisse er nicht, wo er sich bewerben solle.

»Love it, change it or leave it«

Menschen schimpfen gerne über ihren Job: die Kollegen, das Gehalt, die Überstunden, den fehlenden Sinn. Auf derartige Klagen gibt es eine ganz einfache Antwort: »Da, wo Sie sind, wollen Sie auch sein. Alles andere war Ihnen bis jetzt zu teuer.« Klar, eine persönliche Veränderung ist immer mit Kosten verbunden: Vielleicht verdiene ich im neuen Job weniger oder habe sogar Probleme, etwas Angemessenes zu finden, vielleicht kränke ich meine alten Kollegen, vielleicht muss ich sogar umziehen, ganz sicher muss ich mich im neuen Job neu beweisen. Aber es kann eben auch teuer sein, im alten Job zu verharren, es kann mir die Laune verderben und manchmal sogar die Gesundheit oder das Leben.

In der folgenden Sitzung versuchte ich also Dehringer zu erklären, dass er kein Opfer sei, ganz egal wie tyrannisch sein Chef sich verhalte. Falls er sich entscheide, weiter unter einem Vorgesetzten zu arbeiten, den er am liebsten umbringen würde, sei das seine bewusste Ent­scheidung und insofern okay. Ich wollte, dass der sanfte, passive Florian Dehringer aktiv wird. Ich wollte, dass er nicht nur an seine Mitarbeiter denkt, sondern auch an sich selbst, dass er einen gesunden Egoismus entwickelt.

Vor wenigen Tagen hat mir Dehringer eine Postkarte aus Maui geschrieben. Er habe gekündigt und feiere seinen Urlaub ab, er werde gar nicht in die Firma zurückkehren. Ganz am ­Ende stand der Satz: »Es ist eigentlich ganz einfach: Love it, change it or leave it.«

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Dieser Text ist in der Ausgabe 12/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.

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