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Liebe und Alkohol Drunk in Love: Wenn man den Partner auf einmal nüchtern erlebt

Alkohol und Liebe: Wie wirken sich Drinks auf unsere Beziehungen aus?
Ist das wirklich der andere, der diese Gefühle auslöst? Oder hat es auch damit zu tun, dass man bei den ersten Treffen immer ordentlich Alkohol im Blut hatte?
© Alice Moitié
Kennenlernen auf der WG-Party, erstes Date in der Bar, zweites beim Italiener mit Rotwein. Beziehungen beginnen meist benebelt. Doch was passiert, wenn die Liebe plötzlich ohne Rausch auskommen soll?

In den ersten Staffeln von »The Big Bang Theory« hat Raj ­Koothrappali diesen lustigen Defekt: Er kann nur dann mit Frauen sprechen, wenn er – wie man im Rheinland sagt – ordentlich einen im Schlappen hat. Ist er nüchtern, muss er seinen Freunden Howard, Leonard und Sheldon die Botschaften ans andere Geschlecht ins Ohr flüstern und darauf hoffen, dass sie ihm daraus keinen Strick drehen. Das ist süß. Und ziemlich traurig. Wenn man es sieht, denkt man: Gut, dass ich nicht so bin! Bis man selbst wieder so ist.

Denn da ist gleich schon wieder alles so überfordernd: Dieser neue Mensch, diese neuen Augen, dauernd ist man auf der Hut, ob irgendetwas an einem irgendwie seltsam rüberkommt (Stimme, Hände, Haare, Atem- und Kaugeräusche), schlimmstenfalls abstoßend wirken könnte. Erste Dates meistern – das ist die schwierigste Disziplin im Kennenlernkampf (und ein Kampf ist es immer, trotz all der romantischen Ideen und der Lockerheit, zu der wir uns selbst ermahnen). Den anderen und sich selbst gleichzeitig toll finden – schon eine Leistung. Was dabei hilft, ist Alkohol. Das ist nicht politisch korrekt und nicht würdevoll, und sexy ist es oft auch nicht. Aber jeder, dem schon mal die Beine weich geworden sind, als die Verabredung die Stammbar betrat, weiß, wie viel Stabilität ein Weißweinglas bieten kann, an das man sich klammert. Auch wenn es nur mit Schorle befüllt ist.

Wenn die Liebe noch frisch ist

Wenn Verliebte im Nachhinein von ihren ersten Dates berichten, klingt dann trotzdem immer alles nach wunderbarem Rausch. Große Gefühle, schemenhafte Körper, schummriges Licht. Es liegt eine unausgesprochene Eindeutigkeit in diesen Stunden. Auch wenn man noch nicht zusammen ist, auch wenn sich die Dinge gerade erst finden, ist das Gefühl füreinander scheinbar klar: Man verliert bei jedem Wiedersehen den ­Boden unter den Füßen, geküsst wird quasi sofort, der Sex ist leidenschaftlich; so weit keine Fragen.

Wenn man den Partner auf einmal nüchtern erlebt
Jeder, dem schon mal die Beine weich geworden sind, als die Verabredung die Stammbar betrat, weiß, wie viel Stabilität ein Weißweinglas bieten kann, an das man sich klammert. 

Aber dann, ein paar Tage später, im Stau auf dem Weg zur Arbeit, vor dem Kaffeeautomaten im Büro, an der Supermarktkasse, kommen sie doch, die Fragen: Ist das wirklich der andere, der diese Gefühle auslöst? Oder hat die Beschwipstheit des Frischverliebten, der man gerade ist, auch damit zu tun, dass man seit dem ersten Treffen quasi ununterbrochen angeschickert war: Kennenlernen auf der WG-Party bei Mos­cow Mule, erstes Date an der Bar bei Gin-Fizz, zweites mit Abendessen und zwei Gläsern Rotwein. So geht das ein paar Wochen. Der erste Sex, das wird einem erst später klar, ­passiert selten ganz bei Sinnen. »Last thing I remember is our / ­Beautiful ­bodies grinding up in the club / Drunk in love«, singt ­Beyoncé in, eben, »Drunk in Love«. Worauf liegt da eigentlich mehr Betonung? »Drunk« oder »Love«? Wie viel Liebesrausch bleibt übrig, wenn man die Promille abzieht? Und wie soll das weitergehen, beim nächsten Date am Sonntagmittag ­verabredet zum Spazierengehen oder »Narcos« schauen? Wie ernüchternd wird der erste nüchterne Sex sein? Und warum ist man plötzlich wieder so nervös?

Mehr Selbstbewusstsein dank Alkohol

Einer Studie zufolge, für die über 5500 Menschen zwischen 18 und 50 Jahren aus elf Ländern im Auftrag der Onlinedating­plattform C-Date befragt wurden, sind 55 Prozent der Frauen beim Sex gerne beschwipst. Sieben Prozent gaben sogar an, sie wären im Bett am liebsten betrunken bis sehr betrunken. Der Alkohol sorgt für gelöste Stimmung und mehr Selbstbewusstsein. Andernorts sieht es noch besorgniserregender aus: In Australien hatten 92 Prozent der jungen Erwachsenen im letzten halben Jahr vor der Umfrage unter Alkohol- oder Drogeneinfluss Sex. Das Trinkverhalten ändere sich auch nicht, wenn aus der Bettgeschichte eine Beziehung werde.

Wenn man den Partner auf einmal nüchtern erlebt
»Man muss – ganz schlicht – erst einmal nur sich selbst und den anderen toll finden. Auch in Kombination. Genau das kann man aber gar nicht einschätzen, wenn man nicht bei Sinnen ist.«
© freestocks.org

Was mit »ein bisschen Mut antrinken« beginnt, kann dann zur sexuellen Störung werden. Plötzlich geht es nicht mehr ohne. Das heißt, es ginge schon. Aber die Angst wächst. Weil sich der Moment der nüchternen Zweisamkeit immer weiter hi­naus­zögert. »Paare, die nur betrunken Sex haben, gehören bei mir zum Alltag«, sagt die australische Sextherapeutin Jacqueline Hellyer. »Sich ohne Drogen und Alkohol auf den Partner zu konzentrieren, fällt ihnen schwer.« Nicht selten würde die Liebe sogar in die Brüche gehen, wenn sie plötzlich nüchtern funktionieren soll.

Eine bedenkliche Entwicklung

Von Vollrauschromanzen wie diesen berichten deutsche Stu­dien zwar nicht. Aber Sex und Alkohol koppeln auch hierzulande viele Menschen aneinander. Bettina Kirchmann, die in Düsseldorf sowohl Singles als auch Paare therapeutisch berät, nennt das »eine bedenkliche Entwicklung«. Vielen diene der Alkohol gerade in der Kennenlernphase als unverzichtbare Stütze. »Das hat gar nicht so viel mit dem Gegenüber zu tun, sondern eher mit den Ansprüchen an sich selbst«, sagt Kirchmann. Wir trinken uns nicht den anderen schön, sondern uns selbst.

Aber woher kommt diese Versagensangst? In einer sexualisierten Gesellschaft wie der unseren fehle absurderweise die Entspannung gegenüber Sex, sagt Kirchmann. »Sex ist überall. Und genau deshalb denken wir: ›Bei den anderen geht bestimmt die Post ab‹, oder: ›Wer weiß, was seine Exfreundin alles draufhatte‹.« Ihren Patienten versuche sie zu vermitteln, dass es beim Sex mit einem neuen Partner eben gerade ums Üben miteinander gehe. »Man muss – ganz schlicht – erst einmal nur sich selbst und den anderen toll finden. Auch in Kombination. Genau das kann man aber gar nicht einschätzen, wenn man nicht bei Sinnen ist.«

Mit Dauerschwips durch die Beziehung

Dazu kommt: Nach den ersten drei Monaten flacht der Frisch­verliebtenhormonspiegel (unter anderen Dopamin, Adre­nalin) ohnehin langsam wieder ab. In diesen Wochen entscheidet sich bei vielen Paaren, ob sie weitermachen – oder weiterziehen. Besonders dumm, wenn man in dieser Phase der Verunsicherung auch noch den ersten nüchternen Sex erlebt. Auf dem lastet dann in zweierlei Hinsicht die Frage, die man eigentlich längst beantwortet haben könnte: »Passt das mit uns wirklich?«

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Nun führen wir natürlich nicht alle theraphiebedürftige Promillebeziehungen. Schaden kann uns der Dauerschwips trotzdem, sagt Dania Schiftan, Sexologin aus Zürich. Denn insgeheim, so die Psychologin, messen wir lockere Sexaffären und eine beginnende Partnerschaft mit sehr unterschiedlichem Maß. Wer eine Beziehung sucht, sollte sich und dem anderen möglichst nicht lange durch Vernebelung etwas vormachen. »Die Kennenlernphase ist ein Testlauf. Wer dabei nicht nüchtern ist, verfälscht die Ergebnisse«, sagt Schiftan.

Und davon abgesehen: Beim ersten nüchternen Sex fühlt man sich vielleicht zunächst ausgeliefert – genau das macht es aber auch toll. Man spürt mehr, sieht mehr, fühlt mehr. Wer nicht bloß Interesse an bedröhntem Gelegenheitssex hat, sollte beim nächsten Kochabenddate lieber zur Apfelsaftschorle grei­fen. Und die eigenen Knie im Auge behalten. Kürzlich haben Forscher entdeckt, dass Verknalltsein uns fast ebenso betrunken machen kann wie Wein oder Whisky. Das liegt am ­Hormon Oxytocin, das zwar an anderen Rezeptoren im Gehirn wirkt als Alkohol, dort aber ähnliche Prozesse auslöst. Unter anderem steigert es: unseren Mut. Kann also gar nichts schiefgehen

Wenn man den Partner auf einmal nüchtern erlebt
Am Ende ist die Liebe ja auch wie Alkohol: ein Rauschmittel.
© unsplash.com

Dieser Text ist in derAusgabe 01/16 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen.

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