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Liebe Die netteste Erpressung der Welt

Partnerschaft: Das erste »Ich liebe dich«. Rosafarbene Rosen liegen auf einer Folie, die buntes Licht reflektiert.
Wann ist in einer Partnerschaft der richtige Augenblick für das erste »Ich liebe dich« gekommen?
© Brian Vu
Der Satz »Ich liebe dich« gilt als Startschuss für eine Beziehung, als eine Art Maßeinheit für eine gute Partnerschaft. Der Satz kann glücklich machen und unglücklich. Zeit also, ihn mal näher zu untersuchen.

Text: Nora Reinhardt & Fiona Weber-Steinhaus

Man untertreibt nicht, wenn man sagt: In Filmen und Serien gibt es fast ausschließlich euphemistische Darstellungen von »Ich liebe dich«-Schwüren: Boy meets girl, »I love you«, »The End«. Der Satz wird als größter Liebesbeweis, als besonders romantische, großartige Geste dargestellt. Irrtum!

Ein »Ich liebe dich« ist meist überhaupt kein selbstloses Geschenk. Denn dann würde man den Satz sagen, nur um den anderen zu erfreuen, und wie bei einem Geschenk keine Gegenleistung erwarten. In Wahrheit ist ein »Ich liebe dich« aber viel öfter ein Beziehungstest als eine arglose Zuneigungsbekundung, quasi die netteste Erpressung der Welt. Wer »Ich liebe dich« sagt, fordert sein Gegenüber auf, sich zu positionieren. Der Liebende möchte wissen: Liebt mein Gegenüber mich auch? Zögert es mit der Antwort? Sagt überhaupt nichts? Widerspricht? Witzelt sich aus der Affäre? Oder sagt etwas absolut Bescheuertes? (»Och, danke«, wahlweise: »Na toll!«)

Wie wichtig ist ein »Ich liebe dich« für die Partnerschaft?

Wie wichtig ein »Ich liebe dich« gesellschaftlich ist, zeigt sich daran, dass es Apps gibt, die einen daran erinnern sollen, dem Partner die Liebe zu gestehen. Dass es Statistiken darüber gibt (Männer sagen es meist zuerst in einer Beziehung). Und dass Popsongs kaum ein anderes Thema haben, gefühlt geht’s in neunzig Prozent um »I love you«.

Schwierig ist auch, dass es im Grunde außer »Ich dich auch« keine gute Entgegnung gibt. Wer nicht »Ich liebe dich auch« antwortet warum auch immer , versucht es vielleicht mit einem innigen Kuss. Oder Verlegenheitsantworten wie: »Ich hab dich lieb«, »Ich steh auf dich« oder »Ich find dich toll«. Natürlich entgeht dem anderen dann nicht, dass das Gegenüber einfach nicht »Ich liebe dich« erwidern will. Eine vergiftete Situation.

Um so einen peinlichen Moment zu verhindern, würde es natürlich helfen, den Satz zum richtigen Zeitpunkt zu sagen. Das Timing ist nur leider ähnlich vertrackt wie beim perfekten Reifegrad von Avocados. Immer zu früh oder zu spät.

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Lieber nicht: »den Ted Mosby machen«

Ein sehr bekanntes Beispiel für ein viel zu frühes »Ich liebe dich« ist das der Hauptfigur aus der Fernsehserie »How I Met Your Mother«. Ted Mosby, der seinen Kindern in der Rückschau erzählt, wie er deren Mutter kennenlernte, gesteht gleich in der ersten Folge Robin Scherbatsky seine Liebe. Nachdem er sie ein paar Stunden zuvor in einer Kneipe kennengelernt hat. Robin, aber auch alle, denen Ted davon erzählt, sind schockiert. Wie kann er nur? Zu früh »Ich liebe dich« zu sagen, ist seither in den Sprachgebrauch als »den Ted Mosby machen« eingegangen. Auch nicht besser: den Zeitpunkt verstreichen zu lassen. Irgendwann wird es nämlich komisch, egal wie nonkonformistisch man sein mag. Der Druck steigt ins Unermessliche und eine an sich glückliche Beziehung wird zerrüttet, weil der Partner oder die Partnerin noch nie »Ich liebe dich« gesagt hat. Entweder stört es einen selbst irgendwann, oder die Freunde beginnen, die Beziehung unangenehm zu beäugen. Spätestens hier offenbart der Satz, der an sich etwas Schönes sein sollte, sein zerstörerisches Potenzial. Von Schattierungen wie »zu selten« und »zu oft« ganz zu schweigen.

Wobei: Vermutlich ist es eine ganz gute Strategie der Amerikaner, den Satz einfach penetrant so oft und zu jeder Gelegenheit zu sagen, bis er bedeutungslos wird. Die Protagonistin im Film »The Prestige« entgegnet auf sein »I love you« zum Beispiel: »Not Today.« Ein guter Ansatz. Wer ab und an amerikanische Telefonate belauscht, bekommt nämlich den Eindruck: »I love you« ist im dortigen Sprachgebrauch inzwischen zum höflicheren »Tschüss« avanciert. Das nimmt zumindest die Bedeutungsschwere von diesen drei Worten. Man könnte dann den Beziehungsstatus unabhängig von »Ich liebe dich« diskutieren. Und den Satz einfach verschenken, bedingungslos.

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DAS ERSTE KENNENLERNEN

Der Schnellschuss

Es ist alles fabelhaft. Du hast gerade diese fantastische Frau kennengelernt. Sie hat dein Fahrrad vor der Kneipe umgeworfen, den Gin Tonic auf deine Jacke verschüttet. Ihr habt an der Bar zehn weitere Gin Tonic bestellt. Sie hat dich geküsst, ihr wurdet aus der Bar rausgeworfen, aber das war noch nie so egal wie heute. Beim Spaziergang am Kanal erzählst du ihr von deiner verstorbenen Großmutter, sie von den vergebenen Chancen ihres Lebens. Im Gegenlicht lauft ihr zum Bäcker. Die Croissants schmecken nach Amour, nach Paris auch wenn die Stadtbäckerei Marburg die Hörnchen gerade erst aufgebacken hat. Ihr sitzt an den Bahngleisen, sie legt den Kopf auf deine Schulter. Was für ein perfekter Moment! Du liebst diese Frau! Und musst es ihr sagen!

Das Problem: In der blauen Stunde wurden schon viele schlechte Entscheidungen getroffen.
Stattdessen: Es an ihren Hals nuscheln. Wenn sie nachfragt, schnell sagen: »Nichts, es ist einfach toll mit dir!«

DER PRÄSEXUELLE KONTAKT

Der Schlüpfersprenger

Du bist mit ihr in dieser unklaren Affärenphase, in der ihr euch etwas zu oft nachts Nachrichten schreibt, als dass es komplett unverbindlich wäre. Aber Sex hattet ihr noch nicht. Donnerstagabends trefft ihr euch zum »Seriengucken«. Zur Tarnung und fürs gute Gewissen läuft im Hintergrund Pro Sieben, du hast es nicht einmal geschafft, die DVD einzulegen. Aber das ist egal, es gibt ja Bier, Geknutsche und Gefummel. Du willst mehr, sie aber nicht sie mag diese Spannung des postpubertären Pettings. Um die Sache zu beschleunigen, vergräbst du dein Gesicht in ihrem Haar und murmelst: »Marie … ich … ich liebe dich.«

Das Problem: Es ist leider so klischeehaft wie ein »So kriegst du sie rum«-Tipp aus der »Men’s Health«.
Stattdessen: Erwachsen verhalten. »Ich würde gern einen Schritt weitergehen.«

BEZIEHUNGSPHASE EINS

Der Zeitdruck

Ungefähr nach vier Monaten kommt der Moment, in dem du zweifelst, ob man es sich jetzt nicht eigentlich schon längst hätte sagen sollen, dass man sich liebt. Schließlich überlegt ihr bereits, im Sommer mit dem Bus drei Wochen durch Spanien zu fahren, mit seinen Eltern hast du schon Apfelkuchen gegessen. Und heimlich hast du schon überlegt, wie eure Namen zusammen auf dem Klingelschild harmonieren würden. Aber der Satz kommt dir nicht so recht über die Lippen. Weil der Satz so groß ist. Und weil du insgeheim zweifelst, ob du deinen Freund wirklich richtig liebst. Was ist denn das überhaupt, Liebe? Ist das nicht Gefühlskarussell, Sehnsucht und passionierter Sex statt jeden Sonntag Tatort schauen, auf dem Sofa mit Wollsocken? Deshalb schreibst du es auf seine Geburtstagskarte, ganz unten, und wartest ab, was passiert.

Das Problem: Hast du irgendjemandem je sagen können, dass du ihn liebst?
Stattdessen: Schrei es ihm besser auf der Tanzfläche ins Ohr und schau, wie du dich dabei fühlst.

DER ERSTE STRESSTEST

Das Ablenkmanöver

Um 20 Uhr ist deine Freundin schon zu Hause, der Rotwein atmet in der Karaffe, der Boden ist frisch gewischt, das Badezimmer glänzt auch, im Kühlschrank steht dein Lieblingskäse und frisches Brot vom Biobäcker auf dem Tisch. Deine Freundin, sonst eigentlich eher der pragmatische Typ, liegt wie ein Bond-Girl auf dem Bett, zieht dich zu sich hin und gurrt dir ins Ohr: »Wenn man sich so sehr liebt wie wir beide, dann sind viele Sachen doch egal. Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?«

Das Problem: Sie hat das Auto deines Bruders gegen den Laternenmast gesetzt Lackschaden, 800 Euro. Oder sie ist mit deinem Bruder fremdgegangen.
Stattdessen: Vorsichtshalber mal bei ihr nachfragen: »Hast du was angestellt?«

DER EINGESPIELTE ALLTAG

Die Verabschiedungsformel

Du sitzt in der U-Bahn, unter dem Arm Toilettenpapier, im Rucksack Mineralwasser und Spülmittel. Dein Freund ruft an, du sagst: »Hallo Schatz, wollt nur schnell sagen, dass ich gleich zu Hause bin, in fünfzehn Minuten. Ja, habe ich gekauft. Ja, auch das Spüli. Tschüss. Okay. Jaha, ich dich auch.«

Das Problem: Ein »Ich liebe dich« ist manchmal eine langweilige Phrase.
Stattdessen: Nach dem »Tschüss« auflegen.

DAS NAHENDE ENDE

Der Beziehungskitt

In den letzten Wochen ist die Beziehung vor sich hingekrebst, wie oft ihr Sex hattet, kann man an einer Hand abzählen, meist wart ihr auch dazu noch betrunken. Ihr streitet euch plötzlich wegen des Abwaschs und Zahnpastadeckeln. Dir fällt auf, dass deine Freundin beim Essen schmatzt, dass sie aus dem Mund riecht und nicht frech, sondern eine pedantische Klugscheißerin ist. Irgendwann sagst du: »Es geht nicht mehr. Ich möchte mich von dir trennen.« Sie fängt an zu weinen und sagt: »Aber ich liebe dich doch!«

Das Problem: Meist wissen beide, dass die Beziehung nur noch im Imperfekt funktioniert.
Stattdessen: Lieber nicht weich werden. Alles hat ein Ende.

DER ABSCHIED

Das letzte Mal

Dein Freund hat dir eine Kiste mit deinen wichtigsten Sachen vor die Tür gestellt. Ihr habt euch E-Mails geschrieben, die ziemlich nach »Revolverheld« klingen. Du rauchst, trinkst eine Menge Rotwein, schläfst mit dem Arbeitskollegen deiner besten Freundin, merkst aber: So geil ist das alles nicht. Dann triffst du deinen Ex und er sagt: »Ich liebe dich noch immer!«

Das Problem: Aufgewärmte Liebe funktioniert. Aber oft nur für eine Nacht.
Stattdessen: Du fragst ihn besser: »Warum eigentlich?«

Dieser Text ist in der Ausgabe 04/16 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen.

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