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Freizeit Das Heavy-Metal-Konzert

Ein Metal-Fan ("Metalhead") blickt in die Kamera und zeigt die "devil horns"
Ein Metalhead par excellence: Lange Haare, devil horns, Bandshirt
© Magdalena Wosinska
Kopfschütteln kann jeder. Glaubst du. Die ganze Wahrheit über Metal in neunzehn Punkten.

Text: Moritz Herrmann

1. Das Konzert beginnt mit dem Ticketkauf  

Ein echter Metalhead geht zum Kartencenter seines Vertrauens, nennt Band, Termin und Preis. Metalheads wollen nicht wissen, ob Lang Lang bald in der Stadt spielt, auch Rabattaktionen wie „Bei zwei Konzerten ein Musicalbesuch gratis!“ sind nicht ihre. Geld hin, Karten her.

2. Ihr trefft andere Metalheads? 

Nickt ihnen anerkennend zu, mit der Gewissheit, dass es viele von euch gibt. Jedenfalls theoretisch. Laut einer Studie hören 15,5 Millionen der Deutschen Hardrock oder Heavy Metal sehr gern oder gern. Aber: Eine Studie, die Hardrock und Metal gemeinsam abfragt, ist so glaubwürdig wie Spinal Tap, die halb fiktive Band aus der Mockumentary von Rob Reiner.

3. Nu Metal, Shock Metal, Metalcore 

... und so weiter. Wie ein riesiges Origami faltet sich das Genre auf. Vorsicht ist geraten. Behaltet den Überblick. Wenn ihr zum Thrash-Metal-Konzert wollt, aber versehentlich Grindcore kauft, seid ihr so glaubwürdig wie, genau: Spinal Tap.

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4. Der Konzerttag

Früh auf- und spät erbrechen, alte Metaldevise. Metalfans reisen Auto fahrend an, dabei jeden freien Sitz im Wagen an andere Heads verschenkend. Nennt sich Metal Brotherhood, was gefühlsschwanger klingt, aber vor allem Schweiß, Enge und Dosenbier bedeutet. And nothing else matters.

5. Nur Anfänger streben sofort in die Location

Der echte Metalfan verbringt die nächsten Stunden auf dem Parkplatz vor der Halle. Hier kann man quatschen, also sich anschreien, und erfährt intime Details, also die Lieblingsdosenbiermarke des anderen. In „Psychology Today“ erklärt ein gewisser Dr. Friedman das Phänomen wie folgt: „Heavy-Metal-Fans sind begabte Außenseiter, die ein geringes Selbstbewusstsein haben, das aus ihrem Gefühl der Entfremdung resultiert. Im Metal suchen sie Inspiration und Unterstützung.“

6. Früher galten Metalheads als aggressiv und gefährlich

Sie waren Bilderbuchpsychos mit einem gen null tendierenden Sexleben. Diese Vorurteile sind widerlegt. Der Metal-Fan ist tatsächlich grundgütig und harmlos, beinahe schüchtern. Ein feiner Kerl, harte Kutte, weicher Kern. Man kann sich toll mit ihm unterhalten. Vor allem über Metal. Wenn nicht gerade Metal läuft.

7. Das kollektive Schlangestehen am Eingang

Unbedingt vergegenwärtigen, dass das Metalkonzert an sich ein zeitloses Ereignis ist. Seit dreißig oder mehr Jahren hat sich der grundsätzliche Style der Szene nicht geändert. Haben wir 1986 oder 2016? Es ist faszinierend. Früher war nicht alles besser. Früher war alles genauso.

8. Die Bühne ist leer 

Noch eine knappe Stunde bis zum Konzertbeginn. Demnach eine 97-prozentige Chance, dass jetzt Iron Maiden oder Deep Purple vom Band läuft. Höchste und genug Zeit, das Merchandising zu sichten.

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9. Am Merchandise-Stand... 

Muss man mit ziemlicher Sicherheit anstehen. Während nämlich der T-Shirt-Kauf im Pop oder Indie längst ironisch verbrämt ist, gilt er im Metal immer noch als ultimativer und maximal ernst gemeinter Authentizitätsbeweis. Soll man das schwarze T-Shirt mit dem gerade noch auszuhaltenden Frontmotiv, dafür aber ohne Tourdaten am Rücken nehmen oder das schwarze T-Shirt mit völlig verkorkstem Frontmotiv, aber den Tourdaten hinterseitig? Die Wahl der Qual.

10. Unbedingt bedenken...

Dass das Tragen eines solchen Bandshirts für andere Metalheads eine Aufforderung zum Smalltalk ist, der schnell big wird. Man sollte sich also auskennen. Reicht nicht: „Die hatten doch mal diesen Song im Radio, habe ich auch als Klingelton.“ Besser: Jahresdaten der Frühphasenbootlegs kennen, wahlweise den Geburtsort des Bassisten. Entdeckt der Metalhead einen Poser, wird er zum Berserker, gemeiner debattierend als Maxim Biller im Literarischen Quartett.

11. Am Merchandise-Stand (2) ...

... Bitte nicht nach Jutebeuteln fragen.

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12. Es geht los

Das Publikum: Zunächst einmal der sehr junge, motivierte In-die-erste-Reihe-Dränger. Zweitens der sehr dicke, oberkörperfreie Mosher. Drittens der schwitzende Lemmy-Wiedergänger, der sich eben noch erbrochen hat und jetzt einfach nur prügeln will. Viertens der ältere Metaller, der schon das erste Konzert von Judas Priest live gesehen hat und das auch jedem erzählt. Fünftens die Freundin von Typ eins, die nicht wusste, worauf sie sich hier einlässt, und jetzt zweifelt. Am Konzert und an der Beziehung. Sechstens du selbst.

13. Nach dem ersten Lied...  

Hat jeder seinen Platz gefunden. Nach dem zweiten Lied hat jeder ein Video mit seinem Handy gefilmt, das er nie wieder angucken wird. Nach dem dritten Lied wird der Moshpit etabliert, der tanzende Kreis an der Bühne, in den alle Metalheads hineinpogen.

14. Zwischen Lied sechs und Lied zehn...

Entwickeln sich im Moshpit persönliche Fehden, die leicht in eine Massenschlägerei münden. Das ist unschön, gehört aber dazu. In Milwaukee kam es 1980 bei einem Black-Sabbath-Konzert zu einem Aufstand, als der Bassist nach zwei gespielten Songs von etwas im Gesicht getroffen wurde, die Band die Bühne verließ und dem Publikum gesagt wurde, es solle nach Hause gehen. 2010 war das Metallica-Konzert in Chile ausverkauft. Das veranlasste 2000 ticketlose Fans vor dem Stadion zu einer schweren Revolte, Stürmung der Eingänge inklusive. Bei einem Iron-Maiden-Gig 2009 in Bogotá schmissen Fans mit Steinen Richtung Polizei, mehr als hundert Leute wurden festgenommen.

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15. Kommt gut:

„Faster, harder, louder“ rufen. Ist der Wacken-Slogan. Kommt nicht so gut: „Faster, harder, Scooter“ rufen. Ist ein Slogan von H. P. Baxxter.

16. Kein Metalkonzert ohne Headbanging

Man dehne, strecke und drehe den Hals vorab, um Verrenkungen vorzubeugen. Man schwenke dann in den Beat des Drummers ein. Für den „hard slammer“ bis auf Hüfthöhe headbangen, aber im Takt der Basslinie bleiben. Für die „windmill“ Kopf und Haar kreisen lassen. Ist der Song vorbei, noch ein paar Sekunden auf die Knie gestützt verharren, damit sich der Kreislauf beruhigt.

17. Niemals... 

In die Songpausenstille hinein einen Song wünschen, erst recht nicht „Free Bird“ von Lynyrd Skynyrd. Ist zwar das wohl meistgeforderte Lied der Geschichte, deshalb aber auch das meistgehasste. Sofortiger Konzertabbruch realistisch. Ein Metalfrontmann ist kein Howard Carpendale und ein Metalgig kein Wunschkonzert.

18. Die dritte Zugabe 

Ein letztes Mal die „devil horns“ zeigen, den Metalgestenklassiker. Kleinen Finger und Zeigefinger spreizen. Nicht zu verwechseln mit dem „Hang loose“ der Surfer, das sind kleiner Finger und Daumen. Ein Surfer sagt „Mahalo“. Der Metalhead grüßt die Hölle.

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19. Je lauter...

Ein Heavy-Metal-Konzert, desto leiser die Welt danach. Alles scheint gedämpft, bis auf das penetrante Piepen im Ohr. Begrüßt es! Umarmt es! Wenn das Konzert die heilige Messe war, ist der Tinnitus die Hostie. Amen.

Dieser Text ist in der Ausgabe 05/2016 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen.

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