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Unser Autor gibt Ratschläge Wie man einem Rassisten auf offener Straße begegnen sollte

Michel Abdollahi steht in Uniform zwischen großen Grünpflanzen und hält ein Gewehr in der Hand.
Gewalt erzeugt Gegengewalt, sangen "Die Ärzte". Enthemmung erzeugt noch größere Enthemmung, sagt Michel Abdollahi.
© Tim Bruening
Rassismus ist salonfähig geworden. Autor Michel Abdollahi gibt Ratschläge, wie man dem entgegentreten kann.

Vor ein paar Tagen am Hamburger Hauptbahnhof: Ein älterer Herr, gut gekleidet, typischer Hanseat, spuckt einem Schwarzafrikaner auf der Rolltreppe aus dem Nichts verbal ins Gesicht: „Was wollen Sie hier? Wann gehen Sie wieder?“ Von wegen besorgter Bürger, der Mann ist völlig enthemmt. Ich war kurz davor, ihn zu fotografieren, das Bild ins Netz zu stellen und zu schreiben: Dieser Mann ist ein Rassist.

Aber dann wäre ich nicht besser als er. Ein Tabu ist gefallen. Offener Rassismus ist keine Spezifität mehr vom rechtsradikalen Mob auf der Straße. Eine Befreiung für all jene, die der Meinung sind, dass es jetzt mal reicht mit Drittem Reich und Schuldfrage. Man wird ja wohl noch sagen dürfen, dass Schwarze stinken, Araber klauen und Konzentrationslager partiell wiedereröffnen können. Ist doch die Wahrheit! Und wer sie ausspricht, ist mutig.

"Lies keine Kommentare, wenn du glücklich sein willst."

Mit der völlig enthemmten Gesellschaft im Netz habe ich mich längst arrangiert. Jeden Tag spreche ich dasselbe Mantra, und zwar mehrmals: Lies keine Kommentare, wenn du glücklich sein willst.

Aber die Enthemmung verlängert sich mittlerweile gnadenlos in das reale Leben. Ob Horst Seehofer rassistischen Unsinn von sich gibt oder die völlig außer Rand und Band geratene Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der CDU, Erika Steinbach, für ihre krude Propaganda Beifall erntet, den Mut gehabt zu haben, die Wahrheit auszusprechen. Da brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn andere auch mutig sein wollen und Busse stoppen, Handgranaten werfen oder Politiker niederstechen. Das Abendland ist in Gefahr, es braucht Mutige, die es verteidigen.

Autor Michel Abdollahi gibt Ratschläge, wie man offenem Rassismus entgegentreten kann.
Leider denken noch zu viele Menschen, offener Rassismus sei okay.
© nile auf pixabay


 

Michel Abdollahi: Reagieren Sie mit großer Hemmung

Was tun wir, die von alledem angeekelt sind? Wir dürfen uns nicht der Enthemmung hingeben. Gewalt erzeugt Gegengewalt, sangen schon "Die Ärzte". Ich sage: Enthemmung erzeugt noch größere Enthemmung. Deshalb mein sachdienlicher Hinweis: Reagieren Sie mit großer Hemmung. Bleiben Sie ruhig, wenn ein wütender Passant das nächste Mal am Hauptbahnhof fragt: „Wann geht der Neger denn ­endlich?“, fordern Sie aber penetrant Argumente ein. Lassen Sie nicht locker. Warum soll der ­„Neger“ denn gehen? Aha, darum. Und wohin nach ­Afrika? Irgendwo. Wo denn da genau? Hm, das wissen Sie nicht? Eher Kamerun oder Namibia? Kennen Sie gar nicht? Erst am Schluss dürfen Sie analysieren und eine Handlungsanweisung aussprechen: „Wissen Sie, was ich glaube? Sie sind ein Rassist, ohne es zu wissen. Arbeiten Sie dran.“

Bei großer Wut stelle ich die Leute trotzdem an den Pranger, aber nur im Geiste. Das Foto ist gemacht, der Text fertig, aber er wird niemals abgeschickt. Denn ich bin ein vernunftorientierter Mensch. Sagen Sie das auch gern Ihrem Gegenüber. Zeigen Sie ihm das, begleitet von einem kreativen Satz, toben Sie sich aus: „Ich möchte nicht so sein wie Sie.“ Machen Sie eine freundliche Geste und gehen. Tief einatmen, Sie haben es geschafft. Argumentiert, Meinung gesagt und dabei friedlich geblieben. Die damit verbundene Entlarvung ist ein Genuss. Klappt übrigens auch im Netz.

Michel Abdollahi ist Journalist und Fernseh­moderator. Für seine Reportage „Im Nazidorf“ bekam er den Deutschen Fernsehpreis. An dieser Stelle meldet er sich regel­mäßig zu Wort.

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Dieser Text ist in der Ausgabe 05/2016 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen.
 

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