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Politik Von Kaczyński bis KOD

Politik: Von Kaczyński bis KOD
Seit in Polen die PiS an der Macht ist, wirkt die Gesellschaft so gespalten wie selten. Aber wofür steht die PiS? Wer protestiert gegen sie? Und was hat Protest mit Polen zu tun? Eine kleine Auswahl wichtiger Schlagworte.

Jarosław Kaczyński
… ist seit 2003 Vorsitzender der —› PiS. Wenn der durch seine Partei eingeleitete nationalkonservative Umbau Polens ein Gesicht hat, dann seins – und das, obwohl Kaczyński weder Ministerpräsident (Beata Szydło, PiS) noch Staatspräsident (Andrzej Duda, ja, genau, PiS) ist. Kaczyński ist kein unbeschriebenes Blatt. Vor zehn Jahren war er bereits Ministerpräsident. Sein Zwillingsbruder Lech, der 2010 bei einem von Verschwörungstheorien umrankten Flugzeugabsturz ums Leben kam, war damals Staatspräsident. Die Brüder sorgten früher schon für Diskussionen, unter anderem mit homophoben oder antideutschen Ressentiments. Ältere Polen kennen die Gesichter der Kaczyńskis schon lange: 1962 spielten die Zwillinge die Hauptrollen im Märchenfilm „Die zwei Monddiebe“. Darin spielte Jarosław Kaczyński seinem Umfeld nur auf der Leinwand Streiche, heute macht er das auf der weltpolitischen Bühne.

Kaczyński się śmieje

Hat (noch) gut Lachen: Der PiS-Vorsitzende Kaczyński.

KOD
… steht für „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ und ist eine Protestbewegung, die sich gegen den von der —› PiS initiierten Umbau wendet. Ihr Anführer ist Mateusz Kijowski, Jahrgang 1968, Informatiker und, schon in Zeiten der —› Volksrepublik, Oppositioneller. Nachdem die PiS im Dezember das Verfassungsgericht entmachtet hatte, gründete er auf Facebook eine Gruppe unter dem Namen des Komitees: 100 Mitglieder am ersten Tag, heute über 58.000. Das KOD zieht immer wieder Tausende auf die Straßen Polens, Linke wie Konservative. Der Name ist angelehnt an das KOR, „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“, einen Vorläufer der —› Solidarność, der sich Ende der 70er Jahre bildete.

Mythen
Jede Nation hat Mythen. So auch Polen, das, wie es die polnische Intellektuelle Maria Janion einmal schrieb, „an der Schnittstelle zwischen Ost und West“ liegt.

(1) Antemurale Christianitatis
Im Mittelalter hielt sich lange der Mythos von Polen als Bollwerk des Christentums. Ein wichtiges Datum, das diesen Mythos stützt, ist das Jahr 1683. Damals schlug der polnische König Jan III. Sobieski die osmanische Armee vor Wien. Damit war aber nicht nur der Schutz der christlichen Welt vor dem Islam gemeint, sondern auch vor der orthodoxen Kirche, die ihr Machtzentrum weiter östlich hatte. Polen habe so die Rolle als Europas Verteidigungswall vor nicht-christlichen, also barbarischen Völkern eingenommen, so der Mythos. Bis heute ist die polnische Nationalidentität eng mit dem katholischen Glauben verknüpft.

(2) Messianismus
Als Ende des 18. Jahrhunderts Polen durch die Teilungsmächte Russland, Preußen und Österreich von der Landkarte gestrichen wurde, entstand der Messianismus – ein Versuch, der Nation ohne Staat einen Platz in Europa zu geben. So prägte etwa der polnische Romantiker Zygmunt Krasiński das Bild von Polen als „historischem Vorbild der planetaren Unsterblichkeit“, als „Christus ähnlichste Nation, und zwar insbesondere deshalb, weil sie immer zuletzt an sich dachte, sondern stets anderen Hilfe und Rettung brachte und sich für sie aufopferte“. Dieser von religiöser Rhetorik durchtränkte Opfermythos wabert seit jeher durch die polnische Geschichte, etwa auch in Zeiten des Zweiten Weltkriegs oder der späteren —› Volksrepublik unter der Käseglocke des Sowjetkommunismus.

PiS
… steht für die Partei „Recht und Gerechtigkeit“, vor allem aber für ein Polenbild, das nationalistisch, erzkatholisch und antiwestlich ist. Seit den Wahlen im Oktober 2015 ist die PiS in Polen an der Macht. Seitdem hat sie umfassende Veränderungen nach dem Vorbild von Viktor Orbáns Ungarn durchgepusht, die in Polen und international auf Kritik gestoßen sind: zunächst eine Entmachtung des Verfassungsgerichts, dann ein Mediengesetz, das die Pressefreiheit gefährdet, und ein Polizeigesetz, das Bürgerrechte einschränkt, oder kürzlich die Forderung eines fast vollständigen Abtreibungsverbots, das Schwangerschaftsabbrüche mit bis zu fünf Jahren Haft ahnden soll. Immer wieder landen Politiker der PiS mit Sätzen in den Schlagzeilen, in denen sie vermeintlich polnische Werte vom Rest der Welt abgrenzen. So etwa Außenminister Witold Waszczykowski, der sagte, „eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen“ habe nichts mit dem Polen, dem Polen wichtig sei, zu tun. Nun ja.

Die Evolution des PiS-Wählers aus Sicht der Kritiker: Vom Homo Sapiens über den gottesfürchtigen Menschen zum „kaczor“ („Erpel“) – polemisch für Kaczyński.

Rechtsruck
… ist ein Wort, das in jüngster Zeit nicht nur in den Medien, sondern auch beim Frühstück, Abendbrot oder während der Zigarettenpause so oft verwendet wird wie lange nicht mehr. Wir verbinden damit nicht nur die drei Buchstaben —› PiS, sondern auch die AfD in Deutschland, die SVP in der Schweiz, die FPÖ in Österreich, die Front National in Frankreich und einen US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, dessen Frisur immerhin eine passable Karriere als Meme hingelegt hat.

Trump vs. Maiskolben: Wer kann’s tragen?

In Polen hat über ein Drittel der Jugend zwischen 18 und 24 bei den letzten Wahlen rechte oder rechtsradikale Parteien gewählt. Schon davor hatten sich über 30 Prozent der jungen Polen politisch rechts verortet: zwölf Prozent als „rechtsradikal“, nur gerade mal neun als „linksorientiert“. Seit den Wahlen im Oktober ist nicht nur die nationalkonservative PiS an der Macht, seither sitzt auch die rechtsradikale Bewegung des Rockmusikers Paweł Kukiz als drittstärkste Kraft im Parlament, teilt sich dort mit der rechtsextremen „Ruch Narodowy“ („Nationale Bewegung“) die Sitze.

Solidarność
… ist Polnisch für „Solidarität“ und der Name der ersten freien Gewerkschaft im ehemaligen Ostblock. Sie entstand 1980 aus Streiks und Gruppen wie dem —› KOR und trug erheblich zum Fall des Eisernen Vorhangs Ende der 80er Jahre bei. Ihr Anführer war der Elektriker Lech Wałęsa, der, wie es der polnisch-österreichische Schriftsteller Radek Knapp schön formulierte, „den Kommunismus kurzschloss“. Wałęsa bekam den Friedensnobelpreis, jüngst unter der PiS aber auch den Vorwurf, er sei ein Spitzel gewesen. Im Übrigen waren die Kaczyński-Brüder auch in der Solidarność, aber das wirklich nur im Übrigen, weil sie eher auf der Reservebank saßen, während Wałęsa und Co. das Spiel machten.

Wałęsa (rechts) und Lech Kaczyński – oder ist es doch Drogenboss Pablo Escobar?

Volksrepublik
… hieß Polen nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1989. Mit dem Kommunismus wurde damals zunächst auch der Stalinismus in Polen installiert. Die Zeit der Volksrepublik, eine Zeit des Realsozialismus, war geprägt von der Abhängigkeit zur Sowjetunion, gebeutelten Menschenrechten und immer wieder aufflammenden Protesten, die in den 80er Jahren in der —› Solidarność kulminierten. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs endete die Volksrepublik Polen. Die Dritte Republik begann, in der nun auch freie Wahlen möglich waren und Polen sich dem Westen öffnete. Bislang.

Die hier erklärten Schlagworte beziehen sich auf die Reportage „Von Ost nach Rechts“ in der NEON-Ausgabe #06/2016.

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