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Wissen Gute Ausstrahlung!

Wissen: Gute Ausstrahlung!
Bis 2022 soll Deutschland atomstromfrei sein wie geht’s eigentlich so voran? Der Atomausstieg von A bis Z.

Fotos: Michael Nehrmann

ATOMKRAFTWERKE
Momentan sind in Deutschland noch acht Reaktoren in Betrieb. Sie werden bis 2022 abgeschaltet. Bei den anderen 28 ist man schon weiter: Elf sind außer Betrieb, zwölf werden gerade stillgelegt, bei dreien ist die Stilllegung abgeschlossen, und zwei Kernkraftwerke hat man in Forschungseinrichtungen umgewandelt. Doch selbst wenn alle deutschen Atomkraftwerke aus sind, leben wir noch in einem Europa mit Kernkraft.
-> Internationaler Vergleich

BILANZ
Wenn Ende 2022 mit Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen, blickt Deutschland auf 61 Jahre Kernkraft zurück. Bislang wurden so über fünf Billionen Kilowattstunden Strom erzeugt.

CASTOR
Akronym für „Cask for Storage and Transport of Radioactive Material“, wird als Synonym für Behältnisse mit hoch radioaktivem Abfall verwendet. Castoren sind über hundert Tonnen schwere Behälter aus Gusseisen, Polyethylen und Stahl und für eine Zwischenlagerung von vierzig Jahren Dauer vorgesehen.

DEKONTAMINATION
Reinigung von radioaktiven Ablagerungen; personalintensiv, dauert Jahre. Bevor etwa alle Komponenten eines Atomkraftwerks wie Rohre, Pumpen, Armaturen, Behälter abgebaut werden können, müssen sie dekontaminiert werden. Das geschieht zum Beispiel mit speziellen, sehr starken Hochdruckreinigern oder Säurebädern, bei schwächer kontaminierten Teilen reicht ein herkömmlicher Lappen und Wasser. Die verwendeten Putzutensilien werden zu Atommüll.

ENGPASS
Könnte, was den Strom betrifft, theoretisch entstehen, da erneuerbare Energien vom Wetter abhängig sind. Allerdings wird laut zwei Studien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie die Stromversorgung in Deutschland zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Abgesichert werden soll das durch Speicher und einige „nicht grüne“ Kraftwerke, die vor allem während des Übergangszeitraums von 2017 bis 2021 bestehen bleiben. Im Fall eines Versorgungsengpasses bekommen wir also Strom aus Europa mit großer Wahrscheinlichkeit auch Atomstrom.

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FUCK YOU
Der Atomausstieg ist der größte anzunehmende Stinkefinger in Richtung Atomlobby.

GABRIEL, SIGMAR
Bundesminister für Wirtschaft und Energie, und damit der zuständige Minister für den Atomausstieg. Er taktiert zwischen den Betreibern, dem Staat und den Steuerzahlern. Es geht vor allem um die Kosten und wer die fehlenden Milliarden bezahlen muss.

HYSTERIE
Deutsches Phänomen, eng verwandt mit der „German Angst“.
Manifestierte sich nach Fukushima etwa darin, dass viele Deutsche Angst vor Sushi und grünem Tee hatten, während sie über 9000 Kilometer von der Katastrophe entfernt waren. Von „Germany’s Nuclear Panic“ schrieb das „Wall Street Journal“ daraufhin.

INTERNATIONALER VERGLEICH
Die drei Länder mit den meisten Atomkraftwerken sind die USA (99), Frankreich (58) und Japan (43). In unseren neun Nachbarländern stehen 77 Reaktoren. In den EU-Staaten und der Schweiz zusammen 126 (Deutschland nicht mitgerechnet). Und es werden weltweit mehr. Polen plant gerade sein erstes Kernkraftwerk nahe der deutsch-polnischen Grenze, das 2019 gebaut werden soll; ein zweites soll folgen.

JAPAN
Die Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 war der letzte Wendepunkt in der deutschen Atompolitik. Beschlossen wurde der Ausstieg bereits 2001 mit dem „Atomkonsens“ durch die rot-grüne Regierung und das? Quartett. Der Konsens mündete 2002 in ein Gesetz, das den Ausstieg regelt. Mit ihrer schwarz-gelben Regierung hatte dann wiederum Kanzlerin Angela Merkel gerade 2010 die Laufzeiten verlängert, als der GAU sich ereignete. Die Regierung schwenkte um und beschloss das endgültige Aus bis 2022. Japan hingegen nahm 2015 gerade wieder das erste Kernkraftwerk in Betrieb und setzt weiterhin auf Atomkraft.

KOSTEN
Niemand kann momentan abschätzen, wie viel das deutsche Ende der Atomkraft kosten wird. Es könnten über hundert Milliarden Euro werden. Der Rückbau eines einzigen Atomkraftwerks wird auf 700 Millionen bis eine Milliarde Euro taxiert. Experten schätzen die Kosten für das Abwracken aller Atomkraftwerke, die Lagerung des radioaktiven Mülls in Zwischenlagern und die Endlagersuche, für die ebenfalls zum Großteil die Betreiber aufkommen müssen, auf mindestens 69 Milliarden Euro zurückgelegt haben die Kraftwerkbetreiber allerdings nur um die 39 Milliarden Euro. Allein die Erkundung von Gorleben als möglichem Endlager hat mehr als 1,6 Milliarden gekostet. Einen Teil der Energiewende finanziert der Steuerzahler. Für die Förderung des erneuerbaren Stroms werden 21 Milliarden Euro auf die Nutzer umgelegt, ein deutscher Vierpersonenhaushalt zahlt bereits jetzt 200 Euro pro Jahr. Das wird mehr, sobald Kosten für den Bau eines neuen Stromnetzes und für den Abbau von acht Kohlekraftwerken anfallen.

LALALALA
Jahrzehntelang stellten sich wechselnde Regierungen gegenüber den Atomprotesten taub.

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MELDEPFLICHTIGE EREIGNISSE
Das Bundesamt für Strahlenschutz verzeichnete bis heute 6000 meldepflichtige Ereignisse, davon waren elf Grenzwertüberschreitungen, die aber als unbedenklich eingestuft wurden. Seit 1983 gab es nur eine Grenzwertüberschreitung, im Jahr 2004.

NACHWUCHS
Die Atomverbände klagen seit Jahren, dass sie keinen qualifizierten Nachwuchs finden. Oft können keine Kerntechniker eingestellt werden, sondern nur Maschinenbauer, Ingenieure und Physiker, die fortgebildet werden müssen.

OPAS UND OMAS
Das erste kommerzielle deutsche Kernkraftwerk Kahl ging 1960 in Betrieb. Die Ingenieure und Verantwortlichen aus dieser Anfangszeit sind heute im Rentenalter und können nicht langfristig bei der Abwicklung beraten.

PHASEN DES RÜCKBAUS
Üblicherweise gibt es zwei Arten, ein Atomkraftwerk abzubauen. Den „sicheren Einschluss“, bei dem die Anlage bis zu vierzig Jahre gesichert wird, bis die Radioaktivität nachgelassen hat. Die Abbauarbeiten erfolgen unter geringerer Strahlenbelastung aber es wird womöglich schwieriger, dafür qualifiziertes Personal zu finden. Beim häufiger praktizierten „direkten Rückbau“ sind die Arbeiten durch die hohe Strahlung erschwert und es entsteht mehr Atommüll.

QUARTETT
Die vier deutschen Stromgiganten Eon, RWE, EnBW und Vattenfall werden als das „Atomquartett“ bezeichnet. Sie klagen gegen den Ausstieg und fordern zwanzig Milliarden Euro.

RISIKO
Das Gerücht, wonach abgeschaltete Atomkraftwerke gefährlicher sind als laufende, trifft nicht zu. Zwar können beim Abbau, der Lagerung und dem Abtransport des hoch radioaktiven Materials natürlich Unfälle passieren. Aber der Rückbau läuft unter denselben Sicherheitsstandards ab wie der Betrieb des Reaktors. Der Abbau der Brennelemente mit hoch radioaktiver Strahlung ist am risikoreichsten, weshalb ihn Roboter erledigen. Am Ende bleibt knapp ein Prozent radioaktives Material übrig, schätzungsweise 3000 Tonnen.

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STIMMUNG
Ist bei den Deutschen trotz der extrem hohen Kosten phänomenal. Ganze 92 Prozent sprachen sich zuletzt bei einer Befragung durch die Unternehmensberatung Pricewaterhousecoopers für die grüne Wende aus. Vor Fukushima waren es laut einer Emnid-Umfrage 49 Prozent.

TRUGSCHLUSS
Die Energiewende schützt Deutschland nicht vor Atomkatastrophen. Denn in direkter Nachbarschaft gibt es Dutzende aktive und alte Reaktoren. Internationaler Vergleich

ÜBERZEUGUNGEN
Kurze Halbwertszeit, gerade bei Politikern.

VORREITER
Deutschland ist das erste und einzige Industrieland der Welt, das den Atomausstieg durchzieht. Das wird weltweit beobachtet, weil Deutschland auslotet, wie man Meiler abwrackt, welche erneuerbaren Energien die besten sind, wodurch man Schwankungen in der Stromerzeugung ausgleichen kann, wie ein neues Stromnetz konzipiert sein muss und welche neuen Technologien man braucht. Wir sind das Labor der Welt. Die „New York Times“ jubelte, Deutschland werde die erste „grüne Weltmacht“ und leiste „einen riesigen Beitrag zur Stabilität des Klimas und des Planeten“.

WETTER
Deutschland setzt vor allem auf Wind- und Sonnenenergie und das auf demselben Breitengrad wie Alaska. Windenergie wird vor allem im Norden erzeugt, weshalb das neue Netz den Strom bundesweit gerecht verteilen muss.

X
Das gelbe Kreuz ist ein Symbol für den Widerstand gegen Atomkraft.

TSCHERNOBYL
Am 26. April 1986 ereignete sich in Tschernobyl in der Ukraine eine der schwersten Nuklearkatastrophen weltweit. Gewaltige Mengen Jod131 sowie Cäsium-134 und -137 traten aus, bis zu 800 000 Menschen wurden einer starken Strahlenbelastung ausgesetzt. Erst im Jahr 2000 wurde der letzte der vier Reaktoren endgültig abgeschaltet; bis dahin wurde in Tschernobyl noch Atomstrom produziert. Vor fünf Jahren wurde das Sperrgebiet für Touristen in geführten Touren zugänglich gemacht.

ZWISCHENLAGER
Fast alle Kernkraftwerke in Deutschland haben mittlerweile ihre Atommülllager, sogenannte dezentrale Zwischenlager. Zudem gibt es drei deutsche zentrale Zwischenlager: in Gorleben, Ahaus und Lubmin. Einige deutsche Zwischenlager müssen modernisiert, aufgerüstet und umgebaut werden, auch um sie vor Terrorangriffen und Flugzeugeinschlägen zu schützen. Weltweit gibt es jedoch kein einziges sicheres Endlager für hoch radioaktiven Atommüll. Nachdem sich der Salzstock in Gorleben als untauglich für ein Endlager herausgestellt hat, beginnt die Suche von vorne. In Deutschland kümmern sich 33 Experten um die Endlagersuche.

Dieser Text ist in der Ausgabe 05/2016 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen.

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