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Liebe Bettgeschichten: Harter Sex

Liebe: Bettgeschichten: Harter Sex
Unser Kolumnist trifft ein harmonisches Paar, das im Bett sanfte Gewalt ausübt. Warum machen sie das?

Text: Sascha Chaimowicz | Illustration: Stefan Bachmann

Sex in Beziehungen ist nie bloß eine Aneinanderreihung verschiedener Stellungen, er bedeutet immer etwas. Davon bin ich überzeugt. Was zum Beispiel will sich ein Paar sagen, bei dem ein Partner den anderen im Bett würgt und ohrfeigt?

Ich treffe Anna und Paul in ihrer Altbauwohnung. Sie sind beide dreißig und seit vier Jahren zusammen. Ihr Sex sieht so aus: Wenn Paul oben liegt und Anna unten, winkelt sie ihre Beine an, damit Paul kraftvoller und tiefer in sie eindringen kann. Er umgreift dabei ihren Hals, meistens mit seiner linken Hand, und würgt sie. Anna lacht: »Wenn man das so erzählt, klingt es echt hart. Was du machst, ist ja eher leichtes Würgen. Genauso wenig schlägst du mich richtig. Es sind Ohrfeigen. Oder ein gelegentlicher Klaps auf den Arsch.« Ihre Grundstellungen variieren sie kaum. Eigentlich gibt es nur drei Varianten: er-auf-ihr, ­sie-auf-ihm und eine Stellung, bei der Anna sich im Stehen am Fensterbrett festhält, während Paul sie von hinten pene­triert und an den Haaren zieht.

Ein Hang zu hartem Sex war bei beiden schon vor der Partnerschaft da: Paul gibt schon lange auf Youporn Suchbegriffe wie »Forced Anal« oder »Double Penetration« ein, Anna erinnert sich, dass sie sich in früheren Beziehungen oft gewünscht hat, härter genommen zu werden. Doch das Interessante ist: Beide haben sanfte Gewalt im Bett nie wirklich ausgelebt. Anna sagt: »Ich weiß gar nicht, ob ich diese Art Sex mit jemand anderem als mit Paul gut fände.«

In den ersten Monaten spielte Gewalt auch in ihrer ­Beziehung keine Rolle. Das kam erst mit der Zeit dazu. Aber es ging dabei nie um »Shades of Grey«-Spiele, bei denen die Frau Lust daraus zieht, die Verantwortung beim Sex an einen Mann abzugeben und sich seinem vorgefertig­ten Dominanz-Sex-Konzept hinzugeben. In Wahrheit ­beruht Annas und Pauls Sex auf feinsinniger Kommunikation. Der erste Schritt war das Würgen. »Ich weiß gar nicht, wie er darauf kam, dass es mir gefallen könnte. Es war wahrscheinlich Intuition«, sagt Anna. Paul ging achtsam vor, konzentrierte sich darauf, wie Annas Körper auf sein sanftes Zudrücken reagierte. Er bemerkte, dass sie ihren ­Körper anspannte. Sie presste ihn von unten gegen seinen. Das war für ihn das Zeichen. Bis heute sprechen sie miteinander kaum über Sex. Wahrscheinlich lachen sie deshalb oft, als sie mir davon erzählen. »Das ist schon eine Offenbarung, jemandem zu zeigen, dass es einen anmacht, gewürgt zu werden. Ich war auch selbst erstaunt, wie gut ich es fand«, sagt Anna. Paul ergänzt: »Umso toller ist es, wenn man merkt, dass der andere einen versteht und es auch gut findet.« Anna nickt: »Irgendwie schweißt das zusammen.«

Wahrscheinlich geht es genau darum: Die Komplizenschaft macht für die beiden einen großen Teil des Reizes aus. Denn es ist offensichtlich nicht nur die Gewalt an sich, die sie befriedigt – die haben sie in früheren Beziehungen ja nie ausgelebt. Anna sagt: »Ich weiß, wie Paul es meint, wenn er mich ohrfeigt. Dass es in dem Moment in seinem Kopf nicht um Macht geht. Und mir gefällt, dass er sich mir in diesen Sekunden von einer Seite zeigt, die sonst ­keiner kennt.« Annas und Pauls Sex ist eine eigene, stumme Sprache. Mit ihr erzählen sie sich, dass sie einander ­vertrauen. Sie ist klarer und verständlicher als alles, was sie sich je sagen könnten. Sie fühlt sich gut an.

Sascha Chaimowicz fragt jeden Monat Menschen, was für sie guter Sex ist. Was antwortet Ihr? Schreibt an bettgeschichten@neon.de

Dieser Text ist in der Ausgabe 10/14 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Bettgeschichten« findet ihr hier.