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Freizeit Das NEON Musiktribunal #4

Freizeit: Das NEON Musiktribunal #4
Helmut Mauró – Klassikkritiker der Süddeutschen Zeitung

Es ist natürlich einfach, sich beim Musik hören (und kritisieren) auf die Sachen zu konzentrieren, die man eh schon spannend, eh schon fresh, eh schon supertoll findet. Nur umgibt einen im Alltag ja etwas ganz anderes. Im Autoradio, im Kaufhaus-Fahrstuhl, auf der Geburtstagsparty des kleinen Bruders steht man nicht inmitten plätschernder Klangbächlein voller musikalischer Preziosen, auf deren Kenntnis man sich ach was nicht alles einbildet. »Oho, ein seltenes Bootleg von Hastenichgesehen..« Nein! Man steht bis zum Hals im Mainstream. Und der ist manchmal klebrig oder miefig, aber: Er hat die Kraft des breiten Stroms. Und wenn man mal die Hand reinhält, findet man auch Interessantes.

In der Musikkolumne kommen deshalb einmal im Monats die Top Drei der deutschen Singlecharts auf den Horchstand. Es lauschen:

Patrick Morgan – Programmdirektor des Radiosenders bigFM
Alard von Kittlitz – Musikredakteur von NEON

Cheerleader (Felix Jaehn Remix)

Patrick Morgan Omi? Kommt jetzt meine Großmutter um die Ecke? Nicht ganz: Omi ist aus Jamaika und der Titel ist schon gut zwei Jahre alt. Der Hamburger DJ Felix Jaehn hat den Titel »gepimpt«. Das Original ist insgesamt langsamer. Nun wurde ein schöner Beat daruntergemischt und um ein paar Klicks beschleunigt, ohne hektisch zu werden. Der beste Schachzug ist allerdings das Trompeten-Intro. Die Nummer beginnt so sehr entspannt und macht glücklich. Gehört, für gut empfunden und die Melodie nicht mehr aus dem Kopf bekommen… »Oh I think I found myself a cheerleader…«

Helmut Mauró Die Mischung machts: Ein bisschen Bananenröckchen-Jamaica, ein bisschen Plantagensklaven-Traurigkeit. OMIs technik-gestützte flexible Stimme springt fröhlich durch alle Lagen und ist doch gefesselt in einem Rhythmuskäfig aus Trompete, Bongos und einem stupiden E-Piano, das die immergleiche Bass- und Harmoniefolge wiederholt. Es ist kein Käfig aus Gold, sondern aus grauem Maschendrahtzaun, hinter dem OMI recht eingängig seine feuchten Tagträume von einer willigen Cheerleaderin fantasiert und sich dabei natürlich »I am the wizzard of dick« für den Größten hält. Have fun!

Alard von Kittlitz Ich glaube, dieser Song wurde explizit dazu erdacht, Menschen im Auto zu lobotomisieren. Morgens, halb acht in Deutschland, kein Knoppers, sondern Stau. Der Song kommt im Radio. Das geht schon so anstößig happy happy los, während die Heizung im Auto nicht funktioniert, die Trompete pisst einem so gleichgültig in die Ohren, während draußen Nebel vorbeizieht, dass man, wenn man da im Stau steht und nur darauf wartet, endlich ins Büro zu kommen, weil man dort 87 ungelesene Emails vorfindet und von der Chefin angekackt wird, dass man also, wie man da im Auto sitzt und Radio hört, um trotz allem irgendwie klar zu kommen, und einem dann dieser Omi mit seiner elend guten Laune und seinem hübsch misogynen Text um die Ohren gehauen wird, der besagt, dass er seine Cheerleaderin toll findet, weil er andere Frauen ihretwegen nicht mehr beglücken kann, weil er, ja, das singt er, halt leergevögelt wurde von ihr, dass man dann jedenfalls nur noch mit dem Kopf rhythmisch auf das Lenkrad hämmern kann, so lange, bis man ganz benommen wird und in geistiger Umnachtung Omis Single kauft. So klettert sie in den Charts und kommt noch häufiger im Radio. Mehr Menschen hauen die Köpfe auf das Lenkrad. Und so weiter. Modernes Marketing, some dope-ass shit.

James Newton Howard (feat. J. Lawrence) – The Hanging Tree

Gratulation James Newton Howard und Jennifer Lawrence. Der Track ist noch immer unter den Top 3. Texte dazu: In der letzten Kolumne.

Mark Ronson – Uptown Funk

Patrick Morgan Girls hit your hallelujah –Yes! Der Funk ist zurück. James Brown wäre stolz auf die Jungs. Die Bassline grooved wie Hummeln im Arsch – man möchte gleich lostanzen. Wenn es Dich da noch nicht gepackt hat, dann spätestens im Refrain, wenn die Bläser loslegen, die allerdings sehr stark an Michael Jacksons Jam erinnern. Wobei das Video ebenso stark vom King of Pop beeinflusst scheint. Plagiat oder Hommage… Upton Funk ist der perfekte Titel für alle Morgen-Muffel, die nicht gleich aus dem Bett kommen. Einfach über iTunes Titel kaufen, auf dem iPhone die Uhr wählen, Weckzeit einstellen und als Ton »Uptown Funk« eingeben, dann kann der Tag beginnen.

Helmut Mauró Oh my god, we are back in funky town. Lange nicht mehr da gewesen. Zuletzt mit David Bowie, dessen androgynes Drogenmusikleben momentan in Kunstmuseen ausgestellt wird. Obwohl da viel eher Mark Ronson und Bruno Mars mit ihrem Uptown Funk hineingehörten, der dem Funk Spirit und Sound hinterherhinkt wie Peter Maffey dem Stadion-Rock. Ist einfach ein bisschen zu lahm geraten, die Rhythmen zu exakt aufgereiht, der Text zu großmäulig, die Ironie zu sehr unterm Teppich. Trotz der sexy Stimme von Bruno Mars einfach zu steif, um really funky zu sein.

Alard von Kittlitz Das ist krass, den Song hat eine Maschine gemacht, da bin ich sicher. Da wurden einfach alle Songs von MJ, also alles, was er auf »Off The Wall« und »Thriller« gemacht hat, in einen Mixer gesteckt. Will it blend? Yes it will! Am Ende kommt eine Saucen-Suppe raus, die ziemlich stark nach Maggi Fix für Schnelle Hits klingt, aber wegen der imitierten Qualität absolut okay. Salz und Zucker bis zum Diabetes, das sind die Geheimnisse! Bruno Mars ist eine merkwürdige Gestalt, er kann echt singen und ist auch äußerlich ein bei der Geburt etwas uffgestubbter Klon vom King of Pop, so ähnlich sah jedenfalls Michael auch aus, bevor er anfing, sich in eine Art Pharao zu verwandeln. Im Video sind die alle gekleidet wie Don Johnson mit ihren bunten Anzügen und so, ich dachte, dass sei 2013 wieder »cool« gewesen, egal, vielleicht jetzt einfach schon wieder, geht ja alles immer schneller, wird ja alles immer doller.

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