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Politik Kosmisch oder komisch?

Politik: Kosmisch oder komisch?
Demeter-Lebensmittel gelten als das Nachhaltigste und Gesündeste, was es überhaupt gibt. Aber wissen die Kunden, dass die Bauern die Sonne anbeten und magische Kuhhörner im Acker vergraben? Und warum machen die das? Ein Besuch auf dem Schwalbenhof.

Fotos: Daniel Delang

Wollschweine, eine Sau und fünf friedliche Ferkel. Sie schnarchen hinter dem Kuhstall in einer würzigen Mischung aus Futter, Stroh und Scheiße und träumen ­Schweineträume. Die meisten Menschen, die solche Tiere ­betrachten, denken: Wie nett. Was die meisten Menschen eher nicht denken, ist: »Ach, die Schweine, die fetten, sind ja so himmlische ­Tiere! Denn in ihrem fetten Leibe, da haben sie ja, insofern es nicht Nerven-Sinnes-System ist, ganz kosmische Substanz, nicht irdische.«

Das ist ja auch ein bisschen abwegig.
Der Mann, dem das trotzdem eingefallen ist, hieß ­Rudolf Steiner, Begründer der Anthro­posophie, der Waldorf­schulen und irgendwie auch, das wissen viele nicht, der Bioland­wirtschaft. Steiner war kein gelernter Landwirt, sondern ein Philosoph oder Guru oder Spinner (hängt davon ab, wen man fragt). Er hielt 1924 aber ein paar Vorträge, die als »Land­wirt­schaftlicher Kurs« berühmt wurden. In dem Lehrgang fiel das erwähnte Schweinezitat, und aus ihm leiten sich auch die Regeln der sogenannten biologisch-dynamischen Landwirtschaft her. Die sind ein bisschen verrückt. Zum Bei­spiel soll der Bauer ein Kuhhorn mit Mist ­vollstopfen und es ­ver­graben, damit es über den Winter besondere Kräfte aufnimmt. Biologisch-dynamische ist, wenn man so will, magische Landwirtschaft. Mitten im Europa des 21. Jahrhunderts wird gezaubert.

Politik: Die Wollschweine leben auch auf dem Schwalbenhof.
Die Wollschweine leben auch auf dem Schwalbenhof.

Diesen Theorien und Glaubenssätzen begegnen wir ­jedes Mal, wenn wir im Biomarkt oder Reformhaus ein Demeter-Produkt in ­Händen halten. Demeter ist ein »geschütztes Markenzeichen«, ein Label, ein Logo, unter dem nur Erzeugnisse verkauft werden dürfen, die im Einklang mit Steiners Lehren stehen (siehe Kasten auf Seite 36). ­Demeter ist also kein Unternehmen, eher eine Philosophie: so ­gesund und nachhaltig, dass es fast nicht mehr mit rechten Din­gen zugeht. Diese Philosophie, die sogar mit einem ei­genen Lifestylemagazin ­beworben wird (»Beim Sport: Lächeln statt hecheln«), verkauft sich prächtig. Weltweit werden ­jedes Jahr etwa 220 Millionen Euro mit Demeter-Produkten umgesetzt. Laut der Umfrage »Marken3Klang« kennen 97 Prozent der Deutschen das Label, mehr als 75 Prozent finden es sympathisch. Während der Biogesamtumsatz im Jahr 2013 um sieben Prozent stieg, wuchs Demeter im gleichen Zeitraum um sechzehn.

Die träumenden Wollschweine, die irgendwann ein­mal als Demeter-Produkte enden ­werden, leben noch auf dem Schwalbenhof, einem biologisch-dynamischen Betrieb in Berschweiler im Hunsrück. Der Bauer heißt Cle­mens Dorn. Der Schwalbenhof ist für Clemens, ­Boxernase, lange ­Haare, ­grobe Hände, sanfte Stimme, nicht bloß Arbeits­platz und Lebensraum, sondern eine Mission.

Politik: Bauernsohn Anselm verteilt Stroh im Kuhstall.
Bauernsohn Anselm verteilt Stroh im Kuhstall.

Als Clemens in den 70er Jahren anfing, gab es in Berschweiler zwanzig Bauern. Heute sind es noch zwei. Es gibt den Demeter-Hof und einen herkömmlichen Betrieb, der kein grünes Logo auf seine Erzeugnisse druckt. »Konventionelle« nennt Clemens diese Bauern, er meint damit: groß, automa­tisiert, unnatürlich, falsch. 1960 existierten in Deutschland noch etwa ­eineinhalb Millionen Agrarbetriebe, heute sind es nicht mal mehr 300 000. Und nicht nur die Anzahl der Betriebe hat sich verändert. Hatte ein Hof 1950 durchschnittlich nur vier Kühe, sind es heute fünfzig. Die deutsche Landwirtschaft ist von den Gesetzen des ­Mark­­tes ­nicht ausgenommen – Wachstum! Konsolidierung! Konzentration! –, und so gibt es immer weniger Betriebe, die immer grö­ßere Erträge erwirtschaften. Auf der einen Sei­te sind da Konzerne wie die KTG Agrar, die allein in Ostdeutschland mehr als 31 000 Hektar Fläche bestellt, oder die Tönnies-Schlachtbetriebe, in denen täglich etwa 50 000 Schweine getötet werden. Auf der anderen Seite überleben ein paar Agrarmanufakturen wie der Schwalbenhof. Auch in der Landwirtschaft gibt es nur noch den Massenmarkt und die ­kleinen Luxuslabels.

Der Schwalbenhof ist auf jeden Fall der Bilderbuch­bauernhof, von dem man als Kind geträumt hat. Es gibt zwei schnaufende Trecker, einen Stall, etwa dreißig ­Rinder, Clemens kennt sie alle beim Namen. Es gibt Schweinchen, Pferdchen, Gemüsebeetchen und Äckerchen, die im Spätsommer voll goldenem Getreide stehen. 121 Hektar Land hat Clemens, über hundert Parzellen verstreut, auf dem Trecker fährt er hin und her, die Ähren wehen unter ­grauem Hunsrückhimmel im Wind.

Politik: Das Zauberwasser: Mit einem Besen verrührt Clemens ein Präparat in einer gefüllten Regentonne.
Das Zauberwasser: Mit einem Besen verrührt Clemens ein Präparat in einer gefüllten Regentonne.

Der Schwalbenhof ist höchs­tens ein bisschen schmuddeliger als der Bauernhof, von dem man als Kind immer geträumt hat, staubiger, matschiger, windschiefer auch an manchen Stellen.

Auf dem Hof arbeiten: Clemens, seine Frau Lisa und ihre Söhne Thaddeus und Valentin. Dann sind da noch Clemens’ Söhne aus erster Ehe, Anselm und Marian, mit ihren Lebens­gefährtinnen Anna und Melanie und je zwei Kindern. Ein ­Lehrling, zwei Praktikanten. Fünfzehn Menschen insgesamt. Sie ar­beiten von morgens bis abends. Treffen sich zur Früh­besprechung, diskutieren, was zu tun ist, dann stapfen sie in Gummistiefeln los durch den Matsch, fahren auf Treckern umher, schip­pen Beton, füttern Kühe, melken Kühe, striegeln Kühe, backen Brot, machen Käse.

Die Kinder rasen auf ihren Fahrrädern ähnlich geschäftig über die Dorfstraße und spielen mit schlammbespritzten Hunden. Der Schwalbenhof ist Bullerbü im echten Leben, und so sehen auch alle aus, Outdoormenschen, total fit, mit roten, gesunden Wangen. Mittags kommt man zum Essen zusammen, aber bevor die Nudeln, die natürlich auch Demeter sind, auf die Teller wandern, reicht man sich die Hände, spricht gemeinsam: »Erde, die uns dies gebracht, ­Sonne, die es reif gemacht, liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde.« Diese Leute sind offensichtlich nicht nur Ökos oder Bullerbü-Bauern, sie reden auch noch feierlich zu den Sternen und Planeten. Was ist hier los? Clemens soll erklären. Macht er aber nicht. Nicht ­sofort. Am Abend, sagt er. In Ruhe. Er weiß, dass die meisten Leu­te für seine Ansichten und Arbeitsweisen wenig ­Verständnis aufbringen. Erst mal erzählt er, wie es begann.

Clemens ist 24 Jahre alt, als er Ende der 70er Jahre beschließt, Bauer zu werden. Biologisch-dynamischer Bauer, eh klar: Hippiezeit, Drogen, Umwelt, neue Systeme, neue Menschen. Ein erster Versuch mit einer Kommune scheitert, zu viele Leute, zu viel Chaos. Irgendwann entdeckt Clemens dann den Schwalbenhof, der damals besser Schwalbenruine hätte heißen sollen. Jeder vernünftige Mensch wäre auf der Stelle umgekehrt. Clemens aber steht mit seiner damaligen Frau vor dem Kuhstall, und dann, sagt Clemens, haben die beiden »hingefühlt«. Clemens hat die Schwalben gesehen, die um den Hof flogen, und da wusste er, dass der Hof leben will. So ist ­Clemens. Er fühlt hin. Der Verstand ist für ihn nur eine von ­verschiedenen menschlichen Arten, sich der Welt zu nähern. Fühlen ist mindestens genauso wichtig.

Politik: Clemens‘ Sohn Marian in der Käserei, die er auf dem Schwalbenhof aufgebaut hat. Das Käsemachen hat er in der Schweiz gelernt.
Clemens‘ Sohn Marian in der Käserei, die er auf dem Schwalbenhof aufgebaut hat. Das Käsemachen hat er in der Schweiz gelernt.

Clemens hat die Sache nie bereut, sagt er. Manchmal wünscht er sich natürlich bessere Erde oder eine bessere Lage, nicht so blöd am Hang. Aber er hat trotz der Schufterei nie gezweifelt und ist nie müde geworden. Wahrschein­lich hätte der Hof sonst auch nie funktioniert. Wobei: Im strengeren Sinne funktioniert er ja auch nicht. Der Schwalbenhof wurde damals von der nachhaltig arbeitenden GLS-Bank mit günstigen Krediten versorgt und ging später ganz in das Eigentum eines gemeinnützigen Vereins über. Clemens sitzt nur als Pächter auf dem Hof.

Er hat eh kein Interesse an Privat­besitz, sagt er. Der Verein übernahm dann auch gleich die Kredite, und solange er ­gemeinnützig bleibt, müssen sie nicht zurückgezahlt werden.

Am Abend laden Clemens und Lisa zum Essen ein. Die beiden sitzen am Esstisch vor den Früchten ihrer Arbeit. Auf Brettchen und in Körbchen: Demeter-Brot, Demeter-Butter, Demeter-Käse und -Wurst und -Honig und -Rübensirup und -Gemüse. Es schmeckt alles wirklich überzeugend, sehr, sehr gut. Und dann ist Clemens endlich bereit, auszupacken, über die Kuhhörner und die Zauberformeln. Auf dem Tisch brennt eine Kerze. Man hat das Gefühl, einer kleinen Séance beizuwohnen.

Auf dem Tisch brennt eine Kerze. Man hat das Gefühl, einer kleinen Séance beizuwohnen.

Alles, sagt Clemens, fängt mit Steiner an, einem Mann, den schon seine Zeitgenossen sehr unterschiedlich beurteilten. Der Schrift­­steller Stefan Zweig bewunderte etwa Steiners »magnetische Kraft« und »stupende Bildung«. Und Kurt Tucholsky schrieb, Steiner sei der ­»Christus des kleinen Mannes« und glau­be selbst kein Wort von dem, was er erzähle. Den »Landwirtschaftlichen Kurs« hielt Steiner in einer Zeit, in der die Landwirtschaft vom traditionellen Handwerk zur Industrie mutierte. Der Ackerbau wurde mechanisiert, Erträge durch Kunstdünger wie Stickstoff gesteigert. Einige Bauern hatten vor dieser Entwicklung Angst und baten Steiner um Rat. »Die Vorträge zu lesen«, sagt Clemens, »das ist keine leichte Kost.« Stimmt. Noch eine Kostprobe: »Bringen Sie daher Kalkiges etwa in Form von Ätzkalk in den Komposthaufen, so entsteht das Eigentümliche, dass, ohne dass man zu stark wirkt auf das Verduften des Astralischen, das Ätherische aufgenommen wird von dem Ätzkalk, damit auch der Sauerstoff aufgesogen und das Astralische in einer schönen Weise zur Wirkung gebracht wird.«

Politik: Das Kuhhorn-Mist-Präparat, mit dem Demeter-Bauern die Erde anregen wollen.
Das Kuhhorn-Mist-Präparat, mit dem Demeter-Bauern die Erde anregen wollen.

Steiner starb, einige Monate nachdem er die Vorträge gehalten hatte. Eine Gebrauchsanweisung zur Auslegung hinterließ er nicht. Die biologisch-dynamischen Bauern müssen deshalb selbst verstehen oder erfühlen, warum Schweine in Wahrheit kosmische Tiere sind oder was genau passiert, wenn Astralisches verduftet.

Clemens hat aus der Lektüre Steiners vor allem mitgenommen, dass man »Landwirtschaft als in sich geschlossenen Organismus« sehen müsse. Die Organe der Landwirtschaft, sagt Clemens, seien Pflanzen, Tiere, Boden, Mensch. Und bei einem Demeter-Hof hänge alles miteinander zusammen: Vieh frisst Heu, Vieh kackt, Mist düngt Acker, Acker produziert Korn, Korn füttert Mensch, Mensch melkt Kuh, Molke füttert Schwein, Mensch futtert Schwein etc. usw. Clemens sagt, in der konventionellen Landwirtschaft sei ebendieser Kreislauf der Organe unterbrochen. Er findet das krank. »Diese Landwirtschaft lebt nur, weil sie am chemischen Tropf hängt«, sagt er: Dünger, Pes­tizide, Genmais etc. usw. Das sind in Deutschland 2015 keine unpopulären Ansichten. Bio boomt. 1996 wurden etwa 350 000 Hektar Land in Deutschland ökologisch bebaut, heute sind es etwas über eine Million.

Politik: Die verschiedenen Präparate werden in einer mit Torf gefüllten Kiste aufbewahrt – ein Land-Arztkoffer, sozusagen.
Die verschiedenen Präparate werden in einer mit Torf gefüllten Kiste aufbewahrt – ein Land-Arztkoffer, sozusagen.

Clemens und die Demeter-Leute verzichten jedoch nicht bloß auf Chemie, sondern sind der Meinung, dass die industrielle Moderne die Natur krank gemacht habe. »Wir haben den Boden zerstört, die Pflanzen degenerieren lassen, die Tiere über­züchtet«, sagt Clemens. »Wir haben überall dermaßen ins Leben­dige eingegriffen, dass die Grundstrukturen zerstört sind. Da müssen wir über das Weglassen des Schädlichen hinaus noch was anderes tun.« Clemens will die Erde heilen. Dazu gehört für ihn nicht nur eine Rückkehr zur Fruchtfolge – dass man die Böden immer mal wieder brachliegen lässt oder sie so bestellt, dass sich die verbrauchten Nährstoffe wieder anreichern –, sondern er greift auch zu sogenannten »Präparaten«. Immerhin dafür hat Steiner ganz klare Angaben hinterlassen. Die Präpa­rate seien »Heilmittel für die Erde«, sagt Clemens. Unter anderem gibt es: Kamille (aus Blüte und Rinderdarm), Eichenrinde ­(Borke und Haustierschädel), Brennnessel (ohne Wurzel), Horn­­kiesel (Quarzmehl, Kuhhorn) und – natürlich – den ­berühmten Hornmist (Kuhmist, Kuhhorn). Regelmäßig rührt Clemens die Präparate in einem großen Bottich an. Ein Landwirt, der giftfreie Tomaten anbaut, aber keine Präparate ausbringt, darf das populäre Label Demeter nicht verwenden.

Der organische Kreislauf ist das Herz der Theorie, die Präparate sind das Herz der Praxis. Was genau aber soll das?

Analyse: Wie grün ist grün?

STAATL. BIO-SIEGEL (EU/D) Ein Produkt, das dieses Label trägt, wurde nach den Regeln der EU-Öko-Verordnung hergestellt. Mindestens 95 Prozent der Inhaltsstoffe kommen aus ökologischem Anbau. 0,9 Prozent können gentechnisch verändert sein.
BIOLAND Der Herstellerverband Bioland geht sogar noch ein wenig über die Vorgaben der staatlichen Stellen hinaus. Konkret bedeutet das: Ein Lebensmittelprodukt, das das Bioland-Siegel erhält, stammt zu hundert Prozent aus ökologischer Herstellung.
DEMETER Hier sind die Vorgaben noch spezieller: Jeder Demeter-Betrieb muss sowohl Ackerbau als auch Tierhaltung betreiben und die umstrittenen Regeln der biologisch-dynamischen Landwirtschaft befolgen. Inhaltsstoffe konventioneller Landwirtschaft sind verboten.
NATURLAND Ähnlich wie das staatliche Siegel erlaubt Naturland unter bestimmten Umständen die Verwendung von fünf Prozent konventionellen Inhaltsstoffen. Naturland hat aber wie Bioland und Demeter in der Tierhaltung deutlich strengere Vorschriften als die EU.

Das können wir heute mit unserem modern-wissenschaftlichen Denken kaum noch nach­voll­ziehen. Es geht, wenn man so will, um etwas sehr viel Älteres. Die Demeter-Gläubigen interessieren sich weniger für chemische Prozesse und die Mechaniken, die man nur unter dem Mikroskop erkennt, sondern arbeiten eher mit dem Prinzip der Ähnlichkeit, der Allegorie, der Vergleichbarkeit.

Strenge Leute werfen den Demeter-Anhängern vor, sie praktizierten Magie.

Das erinnert manchmal stark an das Mittelalter, und das ist auch der Grund, warum strenge Leute den Demeter-Gläubigen vorwerfen, sie praktizierten Magie. Ist man weniger streng, muss man zumindest feststellen, dass sie die Welt durch eine andere Linse betrachten. »Am Stammtisch«, sagt Clemens, »würde ich das nicht erzählen. Weil die Leute dann gleich sagen, der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.«

Im Folgenden also, nur ein wenig gekürzt: das Hornmist-Präparat, erklärt von Clemens Dorn.
»Das Kuhhorn-Mist-Präparat besteht in erster Linie aus Kuh­mist. Anders funktioniert das nicht. Kuhmist von Kühen, die nach Möglichkeit schon zwei bis drei Kälber gehabt haben, die also nach Möglichkeit schon in einem gewissen Fruchtbarkeits­prozess drinstehen. Der Mist wird in Kuhhörner gestopft, im Herbst. Dann werden die Hörner über den Winter vergraben.«
Warum ausgerechnet Kuhmist?
»Man muss sich die Kuh näher anschauen. Was macht die Kuh überhaupt? Das ist ein ­völlig phlegmatisches, in sich gekehrtes Tier. Trotzdem hat sie eine wahnsinnige Aktivität. Die geht nicht nach außen, die ist in ihr drin. Was macht sie da? Sie verdaut. Das ist ihre Hauptaufgabe. Sie frisst und frisst und frisst. Zwei Drittel ihres Lebens verbringt sie mit ­Verdauen. Sie holt dann ein bisschen gefressenes Gras wieder nach oben und kaut bis zu sechzigmal drauf rum. Ihre Grastagesration ­beträgt siebzig Kilogramm. Sie zerlegt ihr Futter bis ins kleinste Detail und nimmt so ihre Umwelt wahr. Sie nimmt alles, was in der Natur strahlt und lebt und wirkt, über ihr Verdauungssystem in sich auf. Deshalb ist dieser Mist der beste Mist, den es gibt. Das ­ge­füllte Kuhhorn muss man dann den ­Winter über vergraben.«
Warum das denn?
»Es ist ja so, dass im Kosmischen drei Kräfte wirken. Sonnen- und Mondkräfte merken wir. Dann gibt es noch eine ­an­dere Reihe von Himmelskörpern, die auch in die Erde hineinwirken. Saturn, Jupiter, Mars, Merkur und so weiter. Die strah­len vor allem im Winter in den Erdenbereich hinein. Da wird die Erde quasi aufgeladen mit kosmischen Kräften. Diesen Kräften ist das Präparat über den Winter ausgesetzt. Im Früh­jahr wird das rausgenommen.«
Und dann?
»Die Erde zu dieser Zeit wird regsam. Die Lebenskräfte stei­gen. Nun nimmt man von dem Hornmist – der riecht dann übrigens nicht mehr wie Mist, sondern wie Walderde, völlig umgedreht ist der – eine Handvoll und verrührt das eine ­Stunde lang in 300 Liter Wasser. Die Strahlenkräfte im Mist werden auf das Wasser übertragen und das Ganze dann auf zehn bis fünf­zehn Hektar ausgebracht. Das ist ganz fein, das ist in ähnlicher Weise wie in der homöopathischen Medizin so weit verdünnt, dass eigentlich nichts mehr nachweisbar ist. Das dient dazu, den Boden zu verlebendigen, die Lebenskräfte im ­Boden zu fördern.«

So sieht und beschreibt Clemens die Welt. Und weil er weiß, dass das alles erst einmal ziemlich schwierig klingt, zitiert er Studien von Instituten, die beweisen würden, dass De­me­ter-­Pro­dukte dem Supermarktzeug und auch anderen Bioprodukten überlegen seien. Clemens sagt auch, dass Bauern nach dem ­Reaktorunglück von Tschernobyl ihr Land mithilfe von Präparaten von radioaktiver Strahlung befreit hätten. Es gibt aber natürlich auch viele Studien von Instituten, die zu widerlegen scheinen, dass Biolandbau wirklich gesünder sei als konventionelle ­Land­wirt­schaft.

Nun könnte man einfach sagen: An Brennnesselbaldrianhornkieseleichenrinde ist bisher noch niemand gestorben. Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Präparate vermutlich nicht nur unwirksam, sondern vor allem auch unschädlich. Lasst sie doch einfach machen! Aber ­Demeter hat tatsächlich hartnäckige Geg­ner, die die biologisch-­dynamische Landwirtschaft als »Okkultismus« bezeichnen – als schwarze Kunst. Was macht diese Leute nur so wütend? ­Vielleicht sehen sie in den Hardcorebiobauern ja Feinde fortschrittlichen Denkens, die sich eine Zeit zurückwünschen, als die Menschen noch Sonne und Mond anbeteten. Vielleicht beunruhigt sie, dass bald neun ­Milliarden Menschen auf der Welt leben und die biologisch-dynamische Landwirtschaft nun mal geringere Erträge erwirtschaftet.

Den Menschen und Tieren geht es gut – alles wirkt ein wenig runder, fröhlicher, natürlicher.

Biodynamiker wie Clemens sind aber wahrscheinlich vor allem deshalb eine Provokation, weil sie auf ihren Bilderbuchbauernhöfen so unverschämt zufrieden und ausbalanciert vor sich hinleben. Clemens ist ein glücklicher Bau­er, weil er sich via Kuhhorn in den Kosmos ­eingebunden fühlt, er lebt nicht bloß mit der Erde, den Jahreszeiten und den Pflanzen, er lebt mit dem Mond, den Sternen, den Brennnesseln, mit einer Natur, als deren Teil er sich begreift. Und wer den Schwalbenhof besucht hat, muss berichten, dass es den Menschen und Tieren dort gut geht, alles wirkt runder, fröhlicher, natürlicher. Da ist vielleicht Quatsch ­dabei, aber es ist auch schön.

Außerdem gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Viele Menschen kaufen Demeter-Produkte. Nicht nur, weil die schmecken, sondern auch, weil sie daran glauben, dass die ­grünen Produkte gesund machen und die Welt so ein wenig spä­ter kaputtgeht. Einbildung ­gehört zur Ernährung dazu wie das Einkaufen und Verdauen, das ist im Jahr 2015 nicht anders als 1924, das weiß jeder, der sich schon mal über das ästhetische Upgrade vom Plastik-Lidl-Quatsch zu den guten Biosachen gefreut hat.

Am letzten Abend steht Clemens nach dem Brotbacken mehlbestaubt im Abendlicht und raucht eine Zigarette, selbst gedreht. Er schaut in die Baumwipfel und die Wolken und das Gleißen und redet auf einmal sehr aufgebracht über iPhones und darüber, dass die Kinder, die manchmal auf den Hof kommen, nur noch »Pflanzen vs. Zombies« und »Angry Birds« kennen. Clemens regt sich auf, weil er nicht nur an Hornmist glaubt, sondern auch daran, dass die Menschen wieder näher an die Natur rücken könnten. Dass unsere Gesellschaft alle Lebensmittel auf eine Art und Weise herstellen könnte, mit der er einverstanden wäre. Wahrscheinlich müssten dafür wieder Millionen Menschen in der Landwirtschaft arbeiten und mit dem naturfernen Stadtleben aufhören. Vielleicht wären wir dann auch wieder näher an den 50er Jahren, in denen die Leute nicht vierzehn Prozent ihres Einkommens für Essen ausgaben, ­sondern gut vierzig Prozent. Es gab auch nicht so oft Fleisch. Für eine Welt, die nach den Regeln und Zauberformeln von Clemens funktioniert, müsste alles umge­stellt ­werden. Es ­wäre möglich, sagt er. Aber alle müssten ihr Leben ändern.

Dieser Text ist in der Ausgabe 04/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.

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