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Freizeit Mein Lebenswerk: Megaloh

Megaloh hält das Album »The Blueprint« von Jay-Z in der Hand
Musik, die Megaloh geprägt hat: »The Blueprint« von Jay-Z
© Christian Werner
Manche Werke verändern unser Leben. Hier stellen Prominente diejenigen vor, die sie besonders geprägt haben. Diesmal: Uchenna van Capelleveen alias Megaloh.

Text: Megaloh | Foto: Christian Werner

Ein Kopfhörer, zwei Freunde, »The Blueprint« von Jay-Z auf den Ohren und die Welt war für den zwanzigjährigen Uchenna van Capelleveen eine andere. Er wollte Rapper werden. Heute entert er als Megaloh die großen Bühnen. Leben kann er von der Musik allein aber noch nicht.

Uchenna van Capelleveen alias Megaloh, 35, ist Sohn einer nigerianischen Mutter und eines niederländischen Vaters. In Frankfurt am Main geboren, wuchs er in Berlin-Moabit auf. Das erste Album erschien 2005. Acht Jahre später folgte sein Comeback auf Max Herres Label Nesola. Nun kommt sein drittes Album: »Regenmacher« dort heraus.

Megaloh und die ersten großen Träume

Ich erinnere mich daran, als wäre es heute. Die letzten Spätsommertage im September 2001 brachen an. Mein Kumpel Bensa und ich hatten gerade unser Abi in der Tasche und wollten zwei Wochen Urlaub machen in Schweden, im Ferienhaus von Bensas Familie. Irgendwo mitten in der Natur, nur wir, das Haus und die Elche und Fische, das war unser Plan. Viel weiter blickten wir nicht in die Ferne, wir hatten kaum eine Vorstellung von unserer Zukunft und ich wusste nicht, was ich studieren sollte. Wir bestiegen also die Fähre nach Schweden. Es war bereits spätnachts und dunkel. Wir setzten uns in einen großen Aufenthaltsraum. Es war kaum was los und sehr ruhig, die meisten Menschen schliefen. Nur der Motor des Schiffs und die See waren zu hören. Ich packte meinen verschrammten eisblauen Minidisc-Player aus meiner Tasche. Zuvor hatte ich mir Jay-Zs neue Platte »The Blueprint« besorgt. Bensa und ich teilten uns den Sound: Er steckte einen Kopfhörerstöpsel in sein Ohr, ich den anderen in meines. Wir saßen da, wie man das von zwei Teenagermädchen oder einem verliebten Paar kennt, wir waren aber Kumpels und wollten einfach zusammen Jay-Zs neue Platte hören.

Ich drückte auf »Play«.

Das Album packte uns von Anfang bis Ende. Ohne einmal zu skippen, ohne miteinander zu reden, ohne Pause hörten wir zu. Ohne es zu ahnen, waren wir plötzlich auf dieser Fähre nach Schweden in eine Art meditativen Rausch geraten.

»You ever felt like this, you vibe with me / Walk with a nigga man, just vibe with me.«

»Wenn Jay-Z das kann, können wir das auch«

Die Überfahrt dauerte zwei Stunden. Auf der Fähre hatten wir zufällig den richtigen Ort für die Platte gefunden; man hat ja selten die Zeit und Muße, in Ruhe ein Album anzuhören. »The Blueprint« überzeugte mich in seiner irren Gesamtheit. Beim Hören wurde ich immer euphorischer. Andererseits dachte ich recht schnell: Ich hör jetzt besser auf mit dem Rappen, dem Musikmachen. Das ist zu gut! Das ist zu krass! Schnell habe ich an meinen eigenen Fähigkeiten gezweifelt und mich gefragt: Bin ich wirklich gut genug? Schaff ich das?

Doch das war nur ein kurzer Moment. Ziemlich schnell kam mein Ehrgeiz hoch: Jetzt erst recht. Ich wollte lernen, lernen von Jay-Z. Ein paar Jahre rappte ich zwar schon, aber eigentlich nur für meinen Freundeskreis. Das war unterster Untergrund.

Doch nachdem ich »The Blueprint« gehört hatte, wollte ich plötzlich mehr. Ich wollte von meiner Leidenschaft leben können und dachte: Wenn Jay-Z das kann, können wir das auch. Denke ich heute darüber nach (meine neue Platte »Regenmacher« erschien dieser Tage, darauf unterstützen mich Leute wie Max Herre, Jan Delay oder Patrice), denke ich manchmal: »The Blueprint« ist dafür verantwortlich, dass ich das bin, was ich heute bin.

»Es war mir plötzlich ernster mit der Musik«

Bald nach der Schwedenreise habe ich mich mit meinem Kumpel David getroffen. Wir saßen im Keller und überlegten uns: Wie wäre es denn eigentlich, wenn wir selbst versuchen würden, ein Label zu gründen? Unser Selbstvertrauen war mit Jay-Zs Platte gewachsen und das, obwohl wir vom Geschäft keine Ahnung hatten. Doch Jay-Z erzählt auf »The Blueprint« viel von seinem Aufstieg vom armen Jungen auf Brooklyns Straßen zum globalen Rapmogul. Das veränderte uns. Wir produzierten eine DVD mit einem dreiminütigen Werbeclip unserer bisherigen Auftritte, meldeten uns bei der Gema an und gründeten unser eigenes Plattenlabel, Level Eight. Jay-Zs Label Roc-A-Fella Records stand dafür Pate. Ihn wollte lange Zeit keiner unter Vertrag nehmen. Doch mit seinem Label und seinen Hits brachte er sich in eine Position, in der sich die Majorlabels um ihn überboten. So ähnlich stellten wir uns das damals auch vor. Da war er plötzlich, dieser Königsweg.

Snoop Dogg hatte zwar 1993 mit seinem Debüt »Doggystyle« das Bedürfnis in mir geweckt, eigene Texte zu schreiben. Aber Jay-Zs Platte war nachhaltiger, es war mir plötzlich ernster mit der Musik. »The Blueprint« klang im Gegensatz zu Jay-Zs früheren Alben reifer. Die Soul-Samples von Al Green bis zu den Jackson 5 brachten diesen warmen, alten, tighten Sound der 70er Jahre. Das alleine soll über eine Million Dollar gekostet haben. Ich glaube seither, alles was hochwertig sein soll, kostet entweder Zeit, Energie, Aufwand oder eben Geld. Meine neue Platte habe ich, genau wie Jay-Z auf »The Blueprint«, von echten Musikern einspielen lassen und nicht auf generierte Sounds von irgendeiner Musikbibliothek zurückgegriffen. Man muss dafür natürlich Musiker ins Studio einladen und ihre Gagen bezahlen. Deswegen hat die Platte dann auch: Soul. Durch diesen warmen Sound fällt es Leuten leichter, das Album zu hören, die eigentlich nichts mit Rap anfangen können. Ich glaube, der Erfolg von Jay-Zs »The Blueprint« ist unter anderem auf diesen Effekt zurückzuführen.

»Meine Musik soll auch so sein: authentisch«

Mit dem Album war Jay-Z auch nicht mehr nur der Hustler und Gangsta-Rapper, nicht mehr nur der Held mit breiter Brust. Er erzählt von Schwächen und Brüchen in seinem Leben. Mit »Song Cry« hat er ein Stück geschrieben, in dem er sich mit einer gescheiterten Liebe auseinandersetzt. Mir war von Anfang an klar, dass Jay-Z und die Person dahinter, ein bürgerlicher Mann namens Shawn Carter, ein und derselbe sind. Meine Musik soll auch so sein: authentisch. »Regenmacher« ist mein bisher persönlichstes Album. Ein Song, »Alles anders«, erzählt davon, wie ich meiner früheren Freundin auf offener Straße ins Gesicht schlage. Wir sind uns alle darüber einig, dass Gewalt nicht sein darf. Das Stück war nicht einfach zu schreiben. Es zu veröffentlichen, ist mir schwergefallen. Eigentlich ist der Song eine Selbsttherapie und Aufarbeitung. Ich wollte verstehen, wie es zu so einer Situation zwischen zwei ganz normalen Menschen kommen konnte. Bei diesem Stück lasse ich am meisten die Hosen runter, erzähle von einer wunden Stelle in meinem Leben.

Mit meiner Platte zuvor hatte ich erstmals die Möglichkeit, mich einer größeren Menschenmenge vorzustellen. Das Album ist gut angekommen, war auf Platz neun der Charts. Dennoch arbeite ich noch immer als Packer im Lager eines Paketzustellers. Jeden Morgen um vier Uhr stehe ich auf, kurz darauf beginnt die Frühschicht, ich leere vier, fünf Container am Tag, mit bis zu sechzig Kilo schweren Paketen. Ein Knochenjob, an meinem Probetag vor knapp fünf Jahren musste ich kotzen. Ich mach den Job nicht aus Spaß. Ich trage die Verantwortung für eine kleine Familie. Mein Ziel ist es, von Musik allein leben zu können.

Ich bin noch längst nicht über den Berg, laufe noch hoch. Ich versuche noch immer, wie einst Jay-Z, mich aus dem Staub heraus aufzubauen. Er lehrte mich, meiner eigenen Überzeugung zu folgen und an mich zu glauben. Ich bin oftmals ein großer Zweifler, aber am Ende des Tages muss man selber mehr an das, was man tut, glauben als jeder andere. Eingeimpft hat mir das Jay Z-in einem Spätsommer vor fünfzehn Jahren.

Dieser Text ist in der Ausgabe 04/16 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für iOS & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen. Weitere Lebenswerke findet ihr hier.

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